Rundschau-Redakteurin Nina Baucke wandert auf dem Nordpfad Kuhbach-Oste - Von Nina Baucke

Grün, überall nur Grün

Grün, überall ist es Grün im Wald bei Kuhmühlen. Foto: Nina Baucke
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Groß Meckelsen. Grün, grün und nochmal grün: Überall um mich herum ein strahlendes Hellgrün, während ich über den rotbraunen Waldboden stapfe. Leises Vogelgezwitscher ertönt – sonst nichts. Der Himmel ist zwar zu bewölkt, als dass jetzt auch noch die Sonne durch die Blätter scheinen könnte, aber noch eine Schippe drauf würde das Bild in diesem Waldstück hinter Kuhmühlen fast schon unerträglich idyllisch-schön machen.

Zelten in den Rocky Mountains, Ausflüge in die Dschungel Ostasiens: Ich war immer etwas neidisch, wenn Freunde von ihren Urlaubsreisen berichtet hatten. Bis es mich im vergangenen Jahr auch in die Ferne verschlagen hat, wenn auch nicht ganz so weit fort – zum Wandern in das Tal von Glencoe im Westen Schottlands. Im Landkreis Rotenburg gibt es keine grünen Berge, keine Bären, und auch die Zahl der Palmen tendiert in der freien Wildbahn gegen Null. Aber was sagt das schon über die heimische Wildnis aus? Zeit, die Wanderschuhe zu schnüren und Antworten zu finden. Mit Petra Welz vom Touristikverband des Landkreises (Tourow) aus Rotenburg habe ich vor, 9,6 Kilometer einmal um Groß Meckelsen zu wandern – auf dem Nordpfad Kuhbach-Oste. „Nordpfade“ hat der Touristikverband des Landkreises (Tourow) sein Wanderwegeprojekt getauft – und unter diesem Titel ziehen sich über das ganze Kreisgebiet verteilt 24 verschiedene Routen durch die Landschaft, zwischen 5,2 und 32,5 Kilometer lang. Der Pfad Kuhbach-Oste gehört da noch mit zu den kürzeren. Vor der Freigabe der ersten Wege 2014 hatte der Tourow einige Jahre an dem Konzept getüfelt. „Unsere Fragestellung war, wie wir den Landkreis für Touristen attraktiver gestalten können. Viele Kreise setzten auf Fahrradfahrer, die Idee mit den Melkhüsern hatten wir uns aus anderen Kommunen geholt – wir wollten etwas, das einzigartig ist“, erinnert sich Welz. „Wir wollten eine eigene Marke, ein eigenes Produkt.“ Mit Udo Fischer hat der Tourow einen wanderbegeisterten Geschäftsführer, und auch Welz hat schon seit ihrer Kindheit an das Erkunden der Natur per pedes für sich entdeckt. Sie ist öfter auf den Nordpfaden unterwegs, nicht selten mit Kamera, Hammer, Nägeln und Hinweisschildchen ausgestattet. Denn inzwischen ist das Nordpfade-Projekt tatsächlich zu einer Marke geworden – und die will gepflegt werden. Hatte zuvor die Tourow-Crew von Zeit zu Zeit den Blick über die Kreisgrenzen geworfen, passiert dasselbe nun anders herum. „Wir sind damit Vorreiter in Niedersachsen, mittlerweile ziehen immer mehr Kreise nach“, freut sich Welz. So war kürzlich der Landkreis Wesermarsch zu Gast. „Unsere Region ist bekannter geworden.“ Das bedeutet allerdings auch, dass sich mehr Wanderer auf den Wegen tummeln, die nicht aus der Gegend kommen und demenstprechend Orientierungshilfe benötigen. Je nach Länge der Route sind es durchschnittlich 140 visitenkartengroße Hinweisschildchen mit dem orangefarbenem Nordpfade-Logo, mit denen die Wege jeweils gekennzeichnet sind – immer auf Sichtweite, an Bäumen, Pfählen und Zäunen. Das ist nicht immer einfach, an einer kleinen Gabelung stehen wir mitten im Gehölz bei Kuhmühlen und sehen uns ratlos um, bis Petra Welz das Hinweiszeichen fast verdeckt von Laub findet. Ein paar Schritte weiter zeigt sie auf eines, das an den dicken Stamm einer Eiche genagelt ist. „Der Baum wächst und drückt dabei den Nagel heraus“, erklärt sie mir. „An solchen Stellen müssen wir regelmäßig nacharbeiten.“ Längst lastet die Pflege und Kontrolle der Nordpfade nicht mehr auf lediglich zwei, drei Schultern: Der Tourow bildet Wegepaten aus, die sich fortan um „ihren“ Pfad kümmern. Dies beinhaltet, auf Mängel hinweisen, die Schilder kontrollieren, notfalls freizulegen und zu reinigen. Mittlerweile sind es rund 20 Ehrenamtliche, geht es nach dem Tourow, könnten es noch mehr sein. „Vor allem für Gnarrenburg, Scheeßel, Rotenburg und die Wümmeniederung hoffen wir noch auf Helfer“, sagt Welz. Sie selbst ist von Zeit zu Zeit auf einem Cross-Klapprad entlang der Nordpfade unterwegs. Und ich stelle fest, wie eigenartig entrückend es ist, quer durch ein Postkartenmotiv zu laufen: Fachwerkgebäude rund um einen großen Teich, in dessen Wasser sich die Bäume spiegeln. Umso weniger ins Bild passt da ein großer, schwarzer Hund, der auf einmal hinter uns auftaucht, uns beunruhigend anknurrt und dann vorbei sprintet. Gefolgt vom Herrchen, das es sich in einem Porsche Cayenne gemütlich gemacht hat und ebenfalls an uns vorbeifährt. Freundlicher dagegen ist ein struppiger Hund, der gelassen neben dem Fahrrad eines alten Mannes hertrottet. Das Gespann begegnet uns an der nördlichsten Stelle des Weges, und während Petra Welz dem Mann einen Nordpfade-Prospekt in die Hand drückt, bekommen wir eine kleine Lektion in Botanik. Denn er kennt offenbar jede Pflanzenart, die an den Wegerändern und auf dem kleinen Bahndamm vor uns wächst. Während mir Storchenschnabel irgendwo im Hinterkopf noch etwas sagt, hätte ich bei Reiherschnabel und Hungerblümchen passen müssen, wenn der Spontan-Dozent nicht auf die kleinen weißen Blümchen zwischen dem Schotter auf dem Bahndamm hingewiesen hätte. Überhaupt blüht es an jeder Ecke, als wir am Rand eines Waldes einen Feldweg entlang laufen. Nicht überall ist das selbstverständlich. Denn beispielsweise das Wäldchen Hohe Buchen, durch das der Nordpfad Kuhbach-Oste führt, liegt, wie so manche Teile anderer Nordpfade, auf Privatgrund. Das hatte bei der Planung zu einigen Diskussionen, Gesprächen und Infoabenden mit den Eigentümern geführt. „Aber letztlich gab es genügend, die mit dabei sein wollten“, erinnert sich Petra Welz. „Manche haben uns sogar geholfen, die Wege herzurichten.“ Auf die verschiedenen Routen war das Tourow-Team mithilfe einer Machbarkeitsstudie gekommen. „Wir haben öffentlich nach den schönsten Wanderwegen in der Region gesucht – und 85 Einsendungen bekommen“, sagt Welz zufrieden. Studenten der Universität Hannover sind dann die Routen abgelaufen, später kamen Experten aus Baden-Württemberg dazu und prüften das Potenzial der Wege. Die Zahl schrumpfte auf 40, am Ende blieben 24 übrig – bis auf wenige Ausnahmen zwei in jeder Kommune. Vier Pfade haben inzwischen sogar das Qualitätssiegel des Deutschen Wanderverbandes „Qualitätsweg Traumtour“ erhalten – neben Hölzerbruch-Malse im Nordkreis, Ostetal und Kempowskis Idylle ist es „mein“ Nordpfad Kuhbach-Oste. Köder für die Wanderer, die längst nicht mehr nur aus Deutschland auf die Nordpfade finden, sondern auch aus den Niederlanden und Dänemark. „Demnächst werden wir daher wohl noch mal unsere Internetseite mehrsprachig überarbeiten“, sagt Petra Welz. „Gerade diese Länder gehören ja mit zur Zielgruppe des Reiselandes Niedersachsen.“ Bei der Bewertung der einzelnen Pfade geht es um Beschaffenheit, die Abwechslung im Landschaftsbild sowie Sehenswertes entlang des Weges – aber auch die Infrastruktur, zum Beispiel was Einkehrmöglichkeiten angeht. Nicht mehr als 20 Prozent der Wegstrecke darf asphaltiert, mindestens 35 Prozent müssen naturnah sein. Das Überqueren von Kreis- und Bundesstraßen und das damit verbundene Geräusch von vorbeifahrenden Autos sind Minuspunkte, Pluspunkte gibt es vor allem für kleine, schmale Pfade – wie die gerade mal ein Fuß breite Passage zwischen dichtem Farngestrüpp und einem Teich. Warum gerade dafür? „Alle Wanderer müssen hintereinander gehen – und irgendwie entschleunigt das erheblich“, erklärt mir Petra Welz. Positiv fließen auch Hingucker entlang des Weges ein – wie der Vorgarten eines Architektenhauses am Rand des Kuhmühlener Waldes: Zahlreiche, zumeist skurrile Skulpturen aus Metall und Holz stehen dort. „Das ist eine der Vorgaben für das Qualitätssiegel – dass es immer wieder solche Highlights gibt“, sagt Welz. Mittlerweile gibt es Wanderer, die bereits alle 24 Nordpfade gelaufen sind und jetzt wieder von vorne beginnen – dieses Mal allerdings jeweils andersherum. Andere laufen im Winter absolvierte Pfade im Sommer erneut. „Selbst bekannte Routen wirken so anders“, erklärt mir Petra Welz, als wir die Brücke über den Kuhbach erreichen. Für einen Augenblick lehne ich mich an das Geländer, schaue in das Grün über mir, genieße die Ruhe. Und freue mich auf einmal, dass es noch 23 weitere Nordpfade gibt.

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