Reicht ein Führerschein oder benötigt man eine Fluglizenz? Der Kompressor-Sporttourer Kawasaki Ninja H2 SX Special Edition hat 200 PS und ist offiziell 299 km/h schnell.
Sporttourer agieren in der Regel nach dem Motto "man könnte, wenn man wollte". Aber man tut es nicht. Nämlich schnell fahren. Denn entweder limitieren die Gepäckbehältnisse nach Herstellervorschrift den Vorwärtsdrang oder man geht selbst gern vom Gas, wenn das an der Grenze des zugelassenen Gesamtgewichts beladene Motorrad Richtung 200 km/h reichlich unruhig über die Autobahn tanzt.
Da siegt der Selbsterhaltungstrieb und man fährt lieber langsamer. Nun aber tritt die Kawasaki mit dem Anspruch an, auch Porsche & Co. Paroli bieten zu können, und dies in vollem Ornat mit Koffern und Hauptständer.
So schnell ist die Kawasaki Ninja H2 SX Special Edition
Dem Anspruch wird der japanische Tiefflieger gerecht. Bis man die komplette Bezeichnung "Kawasaki Ninja H2 SX Special Edition" ausgesprochen hat, ist das Bike aus dem Stand fast schon 200 km/h schnell. 7,4 Sekunden dauert’s offiziell, bis diese Geschwindigkeit erreicht ist. Und dann ist noch lange nicht Schluss.
Mit montierten Koffern schafften wir es, dass der Wert von 290 km/h auf dem Display im Cockpit erschien, ohne Koffer waren es mal 292 km/h. Und wäre die Verkehrslage noch etwas ruhiger gewesen, hätten wir die 300er-Marke geknackt. Locker. Denn die Ninja hat stets Kraft im Überfluss und legt selbst in Geschwindigkeitsdimensionen noch spürbar zu, in denen so manchem vermeintlichen Supersportler bereits die Puste ausgeht.
Dass Kawasaki schnelle Motorräder bauen kann, haben die Japaner in den letzten Jahren mehrfach bewiesen. Die vor drei Jahren präsentierte Ninja H2 – eine straßenzugelassene Version der 310 PS starken H2R – zeigte schon mal, wo und wie es langgeht. Doch die durch Kompressoreinsatz generierte Leistung von 205 PS machte das Superbike zu einem ganz speziellen, in der Praxis kaum ausfahrbaren Untersatz. Darum schob Kawasaki für diese Saison die tourenfreundlichere, aber nicht minder potente SX nach, die wir in der Special Edition testeten.
Kawasaki Ninja: Die Ausstattung
Zu dieser SE-Version gehören unter anderem der bereits erwähnte Hauptständer, eine höhere Scheibe, Launch-Kontrolle, Quick Shifter, Heizgriffe, Kurvenlicht und Stahlflex-Bremsleitungen. Als Basisversion H2 SX kostet die Ninja 18.995 Euro, als Special Edition nimmt der Händler 21.995 Euro – Letztere ist unserer Auffassung nach eindeutig die bessere Wahl, denn zur Ausstattung gehören dann u.a. Heizgriffe, Tempomat, LED-Kurvenlicht, Traktionskontrolle, Hauptständer und Schaltautomatik.
Nur die beiden Koffer müssen mit 886 Euro zusätzlich bezahlt werden. Die Ur-H2 steht übrigens mit 28.500 Euro in der Preisliste. Unser Testbike ist also nicht nur die alltagstauglichere Version, sondern obendrein auch noch die deutlich günstigere.
Die Fahreindrücke auf der Ninja
Der Fahrer sitzt aufrecht und entspannt, die Lenkerenden sind für ein Motorrad dieser Kategorie relativ hoch. Das lässt auf rückenschonende Touren hoffen. Anfangs verwirrt die Vielzahl von Schaltern, Einstellmöglichkeiten und Informationen an den Lenkerenden und auf dem TFT-Display im Cockpit Doch Schalter um Schalter, Info um Info arbeitet man sich relativ fix in die Kawasaki-Logik ein und kreiert schließlich sein Setup – entweder nach den Menü-Vorgaben des Herstellers oder nach ganz persönlichem Gusto. Das Grundlegende am Motorradfahren aber bleibt: Zündung ein, starten, kuppeln, Gang einlegen und Gas geben. Und ganz normal losfahren.
Die Kawasaki ist überhaupt kein Krawallbruder oder ein Hyper-Sportler, dessen Motor ständig nach Drehzahlen giert und immerfort signalisiert, dass er durchaus schneller könnte, wenn der Fahrer nur wollte (und ihm sein Punktekonto in Flensburg egal ist). Die H2 SX macht, was der Fahrer will. Sie macht klar, dass jederzeit nahezu unendliche Power zur Verfügung steht, aber auch, dass man die 200 Pferdestärken nicht unbedingt in der Gesamtheit abrufen muss, um seinen Spaß zu haben.
In der Stadt merkt man natürlich das Gewicht von 256 Kilogramm und die Dimensionen des Motorrades. Aber für Tempo 50 und ständige Ampelstopps wurde sie auch nicht gebaut. Der Spaß beginnt nach dem Ortsschild. Und da überrascht die Kompressor-Kawa. Denn selbst auf kleineren Straßen lässt sie sich durchaus angenehm und souverän bewegen. Die Wonnen steigen, je besser der Belag und je breiter das Asphaltband wird. Da mögen die Pferde galoppieren und man lernt den serienmäßigen Schaltassistenten zu schätzen. Bei Überholvorgängen degradiert man die anderen Verkehrsteilnehmer zu nahezu stehenden Statisten, so zügig zieht die H2 an ihnen vorbei. Da heißt es aufpassen, denn so manche Kurve ist schneller erreicht, als man meint.
Die Königsdisziplin ist dann die Fahrt auf der Autobahn. Bereits beim Einfahren kann man das Potenzial abrufen: Durchladen und Gas geben heißt die Devise, und sofort gehört einem die linke Spur. Die Kawasaki ist dabei extrem souverän, stabil und völlig ruhig. Man muss sich nicht hinter der relativ kleinen Verkleidungsscheibe zusammenfalten, um den Winddruck zu minimieren – ein leichtes Ducken reicht. Dabei hat man das Cockpit (das besondere Interesse gilt natürlich der Geschwindigkeitsanzeige) und die Fahrbahn respektive den Verkehr gleichermaßen gut im Blick. Dank des üppigen Leistungsangebots muss man nicht den Gang wechseln, sondern kann die Hochgeschwindigkeitsetappen schaltfaul im 6. Gang absolvieren. Die fast schon stoische Ruhe behält die H2 SX auch mit Koffern und auch bei Vollgas. Das wirkt letztlich auch blutdrucksenkend auf den Fahrer und schnell gewöhnt man sich ans Tempo.
Auch mit montierten 28-Liter-Koffern ändert sich nichts an der souveränen Vorstellung. Wo man bei anderen Sporttourern eine gehörige Portion Mut braucht, um in höhere oder höchste Geschwindigkeitsbereiche vorzustoßen, bemerkt man auf der Kawa im Grunde gar nicht, dass man schon so schnell unterwegs ist. Dass dies eine große Herausforderung für die anderen Verkehrsteilnehmer darstellt, sollte einem stets bewusst sein. Dass sich ein Fahrzeug in diesem Tempo nähert, sind die meisten Autofahrer nicht gewohnt.
Der Rest vom Fest ist schnell erzählt. Die Bremsen sind sehr gut dosierbar, verzögern sehr effektiv und hatten bei unseren Fahrten nie ein Problem, rechtzeitig genug Geschwindigkeit zu vernichten, um nicht in die Bredouille zu kommen. Die Spiegel sind auch bei höchsten Tempo nahezu vibrationsfrei und bieten einen gute Sicht nach hinten.
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Das kostet der Sporttourer
Ohne Mampf bekanntlich kein Kampf. Heißt: ohne ordentlichen Spritfluss keine Geschwindigkeitsorgien. Als Maximum maßen wir nach einer Highspeed-Etappe 10,6 Liter als Verbrauch auf der 100-Kilometer-Distanz. Im anderen Extrem waren es nach einer Landstraßentour gerade mal 5,6 Liter. Der 19-Liter-Tank wird also bei entsprechender Fahrweise dem Toureranspruch durchaus gerecht. Ein weiterer Kostenfaktor sind die Reifen, die bei unserem Test nach rund 2.000 Kilometern bereits nach Erneuerung schrieen. Aber auch hier hat es der Fahrer buchstäblich in der Hand (am Gasgriff), den Verschleiß durch eigenes Zutun gering zu halten.
Die Kawasaki Ninja im Fazit
Die Kawasaki Ninja H2 SX SE ist der neue Maßstab in ihrer Klasse. Der derzeit stärkste und schnellste Sporttourer auf dem Markt, bietet extrem viel, fordert allerdings auch extrem viel Aufmerksamkeit und Selbstbeherrschung.
Technische Daten
Motor: flüssigkeitsgekühlter Vierzylinder-Reihenmotor mit Kompressoraufladung und 998 ccm Hubraum
Leistung: 200 PS (147 kW) bei 11.000 U/min
Drehmoment: 137 Nm bei 9.500 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 299 km/h
Radstand: 1.480mm
Sitzhöhe: 835 mm
Gewicht (vollgetankt): 256 kg
Tankinhalt: 19 Liter
Testverbrauch: 7,1 Liter
Preis: 21.995 Euro, Testmotorrad 23.176 Euro
Volker Pfau
Lesen Sie hier den Fahrbericht zur Mondial HPS 125i.