Rio de Janeiro - Die deutsche WM-Auswahl hat vor dem Viertelfinale gegen Frankreich mit allen zur Verfügung stehenden Spielern trainieren können. Zu Lahms Position äußerte sich Joachim Löw nicht.
Zwischen Mythos Maracana und Personaldebatten, zwischen Traum und Trauma, zwischen Halbfinale und Heimflug: Bundestrainer Joachim Löw steht vor dem WM-Viertelfinale am Freitag (18.00 Uhr MESZ/ARD) in Rio de Janeiro gegen Frankreich unter gehörigem Druck. Doch das ficht ihn offensichtlich nicht an. „Dass der Druck immer relativ groß ist, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, das ist normal“, sagte Löw am Tag vor dem Spiel an historischer Stätte.
Nein, Druck verspüre er nicht, sagte der Bundestrainer: „Ich bin tiefenentspannt“. Dabei lächete er, zugleich wirkte er im Bauch des Maracana sehr konzentriert. Und er tat, als habe es die Diskussionen der vergangenen Tage vor allem um die Position von Philipp Lahm nicht gegeben. Das sei ja „nicht Neues“ für ihn, sagte Löw. Wo Lahm nun spielen wird, verriet er nicht, er sagte nur: „Wir machen uns vor jedem Spiel Gedanken, was am Besten für die Mannschaft ist. Es gibt nie Entscheidungen, die für ewig zementiert sind.“
Das dürfte vielleicht auch für ihn gelten: Sollte die deutsche Nationalmannschaft auch im vierten Anlauf unter der Regie des 54-Jährigen das hoch gesteckte Ziel nicht erreichen, dürfte das ganze System Löw ins Wanken geraten - Vertrag bis 2016 hin oder her. Doch daran verschwenden die DFB-Verantwortlichen (noch) keine Gedanken. Dass darüber diskutiert werde, was aus ihm womöglich werde, sei auch „nichts Außergewöhnliches“, betonte Löw in aller Gelassenheit.
Die Frage ist: Springt Löw gegen die Franzosen über seinen Schatten? Wirft er seinen ursprünglichen WM-Plan um und zieht Lahm (30) in die Abwehr zurück? Oder hält er stur an seinen Prinzipien fest. „Es gibt alle Möglichkeiten“, versicherte Löw - und ergänzte grinsend, man werde am Freitag „sehr schnell sehen, wo er spielt“. Lahm ist jedenfalls gesund, ebenso wie jene sieben Spieler, die in den vergangenen Tagen eine kleine Erkältung mit sich herumtrugen.
Sollte Lahm wie in den letzten 50 Minuten gegen Algerien auf der rechten Seite verteidigen, hätte dies für andere Positionen weitreichende Folgen. Jerome Boateng würde wohl wie bei der WM 2010 auf die linke Seite der Abwehr rutschen, Mats Hummels, der laut Löw „auf jeden Fall“ auflaufen kann, wird neben Per Mertesacker innen verteidigen. Und den frei gewordenen Platz vor der Abwehr könnte Sami Khedira neben Bastian Schweinsteiger einnehmen - wie bei den Turnieren 2010 und 2012.
Es gibt nicht wenige, wohl auch in der Mannschaft, die dieser Variante positiv gegenüber stehen. Vereinskollege Manuel Neuer hält einen Außenverteidiger Lahm für eine Bereicherung für das deutsche Spiel. „Philipp sorgt für mehr Schwung“, sagte der Torhüter, es käme über außen „mehr Druck“ im Gegensatz zur bisherigen Defensiv-Variante mit vier Innenverteidigern auf einer Linie. Dann sei auch das deutsche Spiel, „schwieriger zu verteidigen“.
Zum Erfolg soll diesmal auf jeden Fall auch der Mythos Maracana beitragen. „Nehmt dies am Freitag mit dem Ziel an, möglichst zweimal dort zu spielen. Ihr habt es drin. Ihr habt es sicher drin. Wir glauben fest daran“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach mit Pathos. Im legendären Maracana findet am 13. Juli auch das angestrebte Finale statt. Es sei „ein würdiger Ort, um Spuren zu hinterlassen“ - Freitag wäre „ein guter Zeitpunkt“, twitterte Franz Beckenbauer und schickte ein Bild von seinen Fußabdrücken mit, die in Maracana eingelassen sind.
Zunächst wartet jedoch Frankreich. „Schritt für Schritt“ müsse man so ein Turnier angehen, betont Löw, und der nächste sei beschwerlich genug. „Wir messen uns auf Augenhöhe mit einer Klassemannschaft, die mit uns mit Sicherheit auf Augenhöhe sein wird“, sagte der Bundestrainer - aber das heiße nicht, dass seine Mannschaft eingeschüchtert sei: „Wir sind gut vorbereitet, siegessicher, selbstbewusst.“
In der Tat: Frankreich, hat Manuel Neuer beobachtet, schwimme auch ohne seinen Münchner Vereinskollegen Franck Ribery „auf einer Euphoriewelle“. Die Franzosen spielten „nicht den perfekten Fußball, aber sie gewinnen ihre Spiele.“ Aber, wird schon werden, beteuert Löw: „Wir gehen mit allem Selbstbewusstsein, das wir haben, in dieses Spiel.“
Der Bundestrainer kann am Freitag (18 Uhr MESZ/ARD) bis auf den verletzten Shkodran Mustafi auf alle Spieler zurückgreifen. Am Mittwoch habe zwar „fast ein Drittel unserer Spieler über Halsschmerzen geklagt. Man muss abwarten, wie sich so etwas entwickelt. Trainieren konnten alle, Fieber hatte keiner“, sagte Löw am Donnerstag nach dem Abschlusstraining.
Es seien zwar noch einige „ein bisschen erkältet. Ich hoffe, dass sie stabil bleiben“ fügte der 54-Jährige an. Auf jeden Fall seien Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira „im Vollbesitz ihrer Kräfte. Sie haben sich gut erholt“.
Auch Mats Hummels, der im Achtelfinale gegen Algerien (2:1 n.V.) wegen eines fiebrigen Infekts gefehlt hatte, könne „auf jeden Fall auflaufen“. Lukas Podolski hat zudem seine Zerrung überwunden.
sid