Früher hatten wir nur drei TV-Programme - und das Leben war trotzdem schön. Autor Andreas Hock erinnert uns an das Fernsehen in den 80er-Jahren. Lesen Sie einen Auszug aus seinem Buch „Generation Kohl“.
Die Frage, die mein Vater in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren meiner Mutter eigentlich jeden Abend stellte, wenn wir mit dem Abendessen fertig waren, war kurz und präzise. Sie lautete: "Schatz, was kommt heute?" Sie ließ sich auch deshalb leicht beantworten, weil es nur drei Möglichkeiten gab, die meine Mutter hätte aufzählen können – was sie aber nicht einmal tat.
Stattdessen entschied sie sich für die Option, von der sie glaubte, dass sie ihr und im Idealfall auch meinem Vater am besten gefiel und schlug – je nach Wochentag – eine konkrete Sendung vor. Also sagte sie zum Beispiel: "Ein Spielfilm mit Yul Brynner", "Derrick ", "Ein Spielfilm mit Heinz Rühmann", "Die Montagsmaler", "Ein Spielfilm mit Belmondo", "Ach, der Biolek", "Ach, der Grzimek" oder "Ach, der Juhnke". Oder so ähnlich.
Und dann guckten wir genau das an, was meine Mutter meinem Vater angeboten hatte. Und zwar vom Anfang bis zum Ende. Wir besaßen bereits zu Beginn der Kohl-Ära einen schicken Farbfernseher, was 1982 keineswegs eine Selbstverständlichkeit war – eine Information, die man Menschen unter dreißig oder fünfunddreißig Jahren auch mal mit auf den Weg geben muss! Der entsprechende Apparat war auch nicht flach wie ein Backblech und hing wie ein Gemälde an der Wand, sondern hatte die Ausmaße einer mittelgroßen Kommode. Und er besaß eine Bildröhre, was es mit sich brachte, dass er mindestens einen halben Meter von der Wand entfernt stand, um sie nicht zu berühren.
Eine Fernbedienung gab es ebenfalls nicht, sodass man notgedrungen aufstehen musste, um den Sender mittels einer Taste direkt am Gerät zu wechseln. Dort blieb man dann am besten für einige Minuten, um ein Weilchen abzuwarten, ob das Alternativprogramm wirklich besser war als das bisherige. Und erst, wenn sich alle Beteiligten darüber geeinigt hatten, konnte man sich wieder hinsetzen. Dieses Procedere war mühsam und barg hin und wieder auch ein gewisses Konfliktpotenzial. Und um Streitigkeiten und unnötige körperliche Anstrengungen zu vermeiden, schauten wir zur Not auch eine wahrlich langweilige Sendung wie das "Verkehrsgericht", in der Verhandlungen über Autounfälle nachgestellt wurden und Petra Schürmann danach einen Versicherungsexperten zum jeweiligen Sachverhalt befragte, über die vollen neunzig Minuten.
Tagsüber spielten derlei Widrigkeiten keine Rolle. Das Angebot für Zuschauer in meinem Alter war in den drei zur Verfügung stehenden Sendern durchaus akzeptabel. Weite Teile meiner biologischen, historischen und geografischen Kenntnisse erwarb ich durch die Zeichentrickserie "Es war einmal …", in der Josef Meinrad als allwissender Erzähler durch die Epochen führte. Nach den Hausaufgaben bewunderte ich "Wickie und die starken Männer", staunte über "Captain Future" und lachte über die "Schlümpfe". Im Vorabendprogramm warteten "Meister Eder und sein Pumuckl" auf mich, etwas später dann "Western von gestern", "Hart aber herzlich" und das "Trio mit vier Fäusten". In den Sommerferien konnte ich auf Zini, das Wuslon zählen, dessen spektakuläre Animation den Gipfel der damaligen digitalen Möglichkeiten ausschöpfte. Und am Wochenende lief "1, 2 oder 3" mit Michael Schanze, für das ich mich ab der vierten Klasse unzählige Male mit meinen Freunden bewarb, aber nie genommen wurde.
Fernsehen in den 80ern: Der Vorspann von „Captain Future“
Nur zur Erinnerung: Bis Mitte der Neunzigerjahre bestand keinerlei Möglichkeit, eine schlaflose Nacht durch die Berieselung mit einem TV-Programm erträglicher zu gestalten. Stattdessen sah man nach dem Ende der letzten Übertragung entweder ein buntes Testbild vor einem karierten schwarz-weißen Hintergrund oder die optisch wenig ansprechenden Logos entweder der ARD oder des ZDF, untermalt von einem tinnitusartigen Pfeifton, der einen bereits nach einer halben Minute in den Wahnsinn treiben konnte. Zumindest wachte man dadurch recht schnell auf, wenn man ausnahmsweise vor der Flimmerkiste eingeschlafen war.
Auch sprachen sich die beiden staatlichen Sender offenbar nicht ab, was ihre jeweiligen Inhalte betraf. So kam es durchaus vor, dass im Ersten in "Pro und Contra" über Außenpolitik diskutiert wurde, während das Gegenangebot im Zweiten aus dem "Auslandsjournal" bestand. Oder dass Peter Roseggers "Waldbauernbub"-Verfilmung gegen die ebenso heile Welt des "Musikantenstadl" antrat. Oder das Quiz "Wer dreimal lügt" gegen den "Großen Preis", der gleichsam eine Rateshow war.
Fernsehen in den 80ern: „Der Große Preis“ vom Oktober 1987
Nur die Hauptsendezeiten variierten: Die ARD brachte ihre wichtigste Sendung schon immer um 20.15 Uhr ins Programm, das ZDF hingegen war eine dreiviertel Stunde früher dran. Deshalb lief es bei uns auch so gut wie nie, weil mein Vater immer die Tagesschau sehen wollte, was das 19.30-Uhr-Format der Konkurrenz logischerweise zunichte machte: Die Tagesschau begann um Punkt acht und keine Sekunde früher oder später – da konnte der Mond auf die Erde stürzen oder der Bodensee zufrieren.
Zwar gab es auch bei uns vor 20 Uhr Fernsehreklame, die ich manchmal sogar ganz gerne ansah –, weil sie eingängige Melodien bot wie das Allianz-Lied, in dem sich in einer Variante "Neapel" auf "Tomatenstapel " reimte, man auf diese Weise von neuartigen Produkten erfuhr wie "Lanosan", der "Seife ohne Seife" (wie auch immer das funktionierte) oder ich Mama daran erinnern konnte, dass uns die Nuss-Nougat- Creme ausgegangen war, wenn zufällig gerade Ernst Hilbich auf dem Bildschirm davon sprach. Nur dass Frauen wirklich ihre Hände freiwillig in Geschirrspülmittel badeten, das glaubte nicht mal ich.
Fernsehen in den 80ern: Die legendäre Allianz-Werbung mit dem Tomatenstapel
Aber anscheinend war das Fernsehen im Ausland irgendwie aus einer anderen Dimension, jedenfalls konnte man diesen Eindruck haben, wenn man meinem Vater und Altkanzler Schmidt so zuhörte, die beide der Ansicht waren, dass drei Sender für ein Volk vollkommen ausreichten. Der Vorteil daran war in der Tat nicht ganz von der Hand zu weisen: Erstens setzten wir uns nicht den gesamten Abend wahllos vor die Glotze und zappten uns vollkommen ziellos erst durch die dreißig Sender unseres Kabelanbieters, um danach die weiteren sechzig Kanäle des sündteuren Pay-TV-Angebots durchzusehen, ob sich nicht doch irgendwo zwischen all dem Blödsinn wie der "Bachelorette", den "XDiaries ", Formaten wie "Köln 50667", diversen Super-Chart-Shows, dutzendfach ausgestrahlten Tatort-Wiederholungen, gescheiterten Auswanderern, kasernierten C-Prominenten oder einer von Kai Pflaume moderierten Unterhaltungsshow ein sehenswertes Dreiviertelstündchen verbarg.
Zweitens mussten wir uns nicht über die dank des wankelmütigen heimischen WLANs unkonstante Verbindung zu einem Streaming-Dienst ärgern, denn so etwas gab es schlichtweg nicht. Und drittens existierte zumindest in Kohls Anfangsjahren noch eine familientaugliche Beschäftigung, die sich "Gesellschaftsspiel" nannte und der man stundenlang nachgehen konnte, ganz ohne den Fernseher laufenzulassen. Ich muss zugeben, dass ich es mir heute auch nicht mehr so recht vorstellen kann.
Aber meine Mutter, mein Vater und ich saßen oft stundenlang bei ausgeschaltetem TV-Gerät auf dem Boden und spielten "Das Spiel des Lebens", "Hase und Igel", natürlich "Monopoly" oder – fast noch besser – "Mankomania", dem Gegenstück dazu, bei dem man möglichst schnell eine Million verpulvern musste; "Scotland Yard", worin zwei Detektive gegen den Gangster "Mister X" antraten und durch ein dreißig Mal dreißig Zentimeter großes Londoner Straßennetz jagten, und "Scrabble", das mich zur Weißglut brachte, weil ich fremdwörtermäßig vor allem gegenüber meinem Vater schwer im Nachteil war. Wir stritten, wir lachten, und gelegentlich verlor einer von uns die Geduld und stürmte aus dem Raum, aber wahrscheinlich hat diese Beschäftigung unsere grauen Zellen mehr angeregt als eine gesamte Staffel "In aller Freundschaft".
Mankomania: Das legendäre Spiel aus den 80ern
Doch das letzte Mal in der Neuzeit, als bei uns der Fernseher den gesamten Abend dunkel blieb, wenn wir uns daheim aufhielten, war beim großen Stromausfall in unserer Straße vor zwei Jahren. Das ist natürlich beschämend.
Das ist ein Gastbeitrag von Bestseller-Autor Andreas Hock aus seinem Buch „Generation Kohl. Als die Rente noch sicher, der Weltspartag wichtig und unsere größte Sorge das Waldsterben war“ (riva Verlag, 176 Seiten, 14,99 Euro).
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