Einer Studie zufolge manipulieren Krankenkassen Diagnosen, um mehr Geld vom Gesundheitsfond zu kassieren. Und auch Ärzte sollen involviert sein.
Es wäre ein Skandal, wenn das wirklich wahr wäre: Laut einem Forscherteam um die LMU-Ökonomin Amelie Wuppermann gibt es schockierende Hinweise darauf, dass die Krankenkasse den Staat übers Ohr hauen. Genauer gesagt: Sie manipulieren angeblich bewusst Diagnosen, um so mehr Geld aus dem Gesundheitsfond herauszuschlagen.
Betrug durch Krankenkassen: Mehr Geld wegen falscher Diagnosen?
Schließlich stehen viele Krankenkassen in Deutschland in starker Konkurrenz zueinander. Und jeder will das größte Stück vom Kuchen abhaben. Bereits im Herbst 2016 sorgte ein entsprechender Vorwurf des Chefs der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, für Aufsehen – und für Stirnrunzeln.
Hintergrund ist folgender: Die Krankenkassen erhalten aus dem sogenannten "morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich" seit 2009 mehr Geld für Kunden mit Krankheiten, die besonders häufig, langwierig und teuer in der Behandlung sind. Darunter zählen Volkskrankheiten wie Diabetes, Hämophilie und diverse Krebserkrankungen.
Dabei hatte die Reform eigentlich zum Zweck, Krankenkassen, die besonders viele kranke Mitglieder haben, finanziell zu entlasten. Doch nun scheint es Studien zufolge, als würden die Krankenkassen genau dieses gut gemeinte Hilfsangebot ins Negative verkehren.
Risikostrukturausgleich: Krankenkassen wirtschaften finanzielle Unterstützung in eigene Tasche
"Wir haben uns die Frage gestellt, ob sich die Häufigkeit jener Diagnosen, die beim Risikostrukturausgleich eine Rolle spielen, seit der Reform verändert hat", sagt Amelie Wuppermann, Juniorprofessorin für Mikroökonometrie an der volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU. Zusammen mit ihren Co-Autoren, unter anderem vom "Center for Global Development" in den USA und vom Bundesversicherungsamt, hatte sie Zugriff auf 1,2 Milliarden Diagnosen aus den Jahren 2008 bis 2013, die die Krankenkassen dem Bundesversicherungsamt im Rahmen des Risikostrukturausgleichs meldeten.
Während ihrer Untersuchungen fiel dem Forscherteam schnell auf: Seit der Einführung des Risikostrukturausgleichs häufen sich die Diagnosen, die maßgeblich gefördert werden. "Unser Studiendesign lässt den Schluss zu, dass dies eine Folge der vermehrten Aufzeichnung dieser Diagnosen durch Ärztinnen und Ärzte ist und dass nicht etwa die Verbreitung dieser Krankheiten gestiegen ist", sagt Wuppermann.
Krankenkassen-Studie: Machen Ärzte und Krankenkassen gemeinsame Sache?
Ob und wie Krankenkassen diese Veränderungen veranlasst haben, lässt sich jedoch anhand der Daten nicht sicher belegen. "Eine Möglichkeit waren die sogenannten Betreuungsstrukturverträge, die zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen geschlossen wurden und wonach Ärzte für bestimmte Diagnosen zusätzlich Geld erhielten", so Wuppermann.
Das heißt konkret: Nicht nur Krankenkassen kassieren ab, sondern auch Ärzte erhalten "Provisionen" dafür, damit sie öfters Diabetes & Co. auf dem Diagnosezettel vermerken. Entsprechend groß ist da die Empörung – der Gesetzgeber soll bereits reagiert haben und dem Treiben ein Ende setzen wollen. Nun hat er zusätzliche Vergütungen für Diagnosekodierungen strengstens verboten.
Allerdings bleiben Schlupflöcher: "Ob die im April in Kraft getretenen gesetzlichen Maßnahmen angesichts der starken finanziellen Anreize ausreichen, bedarf daher noch weiterer Untersuchungen", so Wuppermann. Die Ergebnisse der Studie sind aktuell als CESifo-Working Paper erhältlich und sollen demnächst auch im Fachjournal "Journal of Health Economics" veröffentlicht werden.
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Von Jasmin Pospiech