Zeven – Die Schritte klingen dumpf, der weiche Waldboden federt sie leicht ab, es riecht nach Holz und feuchter Erde. Und in diesem Augenblick, in dem sich die Füße in den Wanderschuhen wie automatisch heben und senken, sind sie weg: Die Gedanken an den Wäscheberg zu Hause, den letzten Streit mit der Familie, den Job, das Auto, das dringend in die Werkstatt muss, verschwinden, was bleibt, ist eine eigenartige Gelöstheit.
„Das ist das Pilgererlebnis“, sagt Ingeborg Helms. Die 83-jährige Staderin muss es wissen, seit vielen Jahren ist sie auf den Spuren des Apostels Jakobus unterwegs. Vor allem auf dem Abschnitt zwischen Itzehoe in Schleswig-Holstein und Ottersberg, der Via Jutlandica und Via Baltica. Denn die Reise nach Spanien zum „Camino frances“, der von den Pyrenäen nach Santiago und darüber hinaus nach Fisterra, dem „Ende der Welt“ führt, ist nicht nötig, um auf dem Jakobsweg unterwegs zu sein. Wie ein Netz zieht er sich nämlich in etlichen Routen über ganz Europa, eine davon ist die Via Baltica.
Von der Ostsee führt sie über Hamburg bis nach Bremen, und gut 30 Kilometer davon einmal quer durch den Landkreis Rotenburg. Beginnend nordöstlich von Heeslingen über Zeven bis hinter Winkeldorf und von dort nach Otterstedt markieren gelbe Pfeile auf Laternenpfählen und Baumstämmen sowie Aufkleber mit dem gelben Muschelsymbol auf blauem Grund die Route. Kurz hinter der Grenze zwischen den Landkreisen Stade und Rotenburg darf es auch etwas deutlicher sein, dort weist ein großer Findling auf den Weg hin. In Offensen gibt es sogar ein Hinweisschild mit der Aufschrift „Santiago de Compostela 2 009 Kilometer“. Allerdings: Ganz gleich, welche Route der Wanderer in Richtung der Pilgermetropole in Spanien nimmt, die angegebene Zahl liegt auf jeden Fall um einige hundert Kilometer daneben. Aber auf dem Jakobsweg geht es weniger um das Ziel, als um den Weg dahin. Die Wegführung beruht auf den Aufzeichnungen des Abtes Albert, der um 1250 aus Stade nach Rom gepilgert war. „Bevor ein Pilgerweg markiert wird, muss nachgewiesen werden, dass die Route historisch belegt ist“, erklärt Helms. Das macht sich auch an den Orten fest, denn das Kloster in Heeslingen und später das in Zeven hatten schon im Mittelalter Bedeutung für Pilger. „Es gibt einen alten Spruch aus den Klöstern: ,Schließ die Tür zu, die Pilger kommen.‘ Denn sie waren an sich verpflichtet, die Menschen zu versorgen.“ Aus dem Kloster Zeven ist inzwischen ein Museum geworden, aber zur Versorgung gibt es in der näheren Umgebung ohnehin mittlerweile andere Möglichkeiten. Das ist auch gut so, denn danach kommt über mehrere Kilometer nicht mehr viel: Nach Zeven geht es nach Oldendorf – bis nach Winkeldorf führt der Jakobsweg durch Felder und Waldgebiete sowie kurz vor Steinfeld ein Stück parallel zum Nordpfad „Kempowskis Idylle“. Zivilisation? Bis auf einen entfernt auf einem Feld tuckernden Traktor Fehlanzeige. Pilgern im Landkreis Rotenburg – das beschäftigt zur Zeit auch Udo Fischer, Geschäftsführer des Landkreis-Touristikverbandes Tourow. Denn nicht nur der Jakobsweg verläuft durch den Landkreis, sondern auch die Via Romea, eine Route, die sich ebenfalls an der Reise des Stader Abtes orientiert, allerdings statt nach Santiago nach Rom führt. Bis kurz vor Steinfeld verläuft sie parallel zum Jakobsweg, von dort geht es über Scheeßel und Bellen in den Heidekreis. „Wir haben in den vergangenen Jahren immer mal wieder Beschwerden bekommen, dass die Markierung nicht gut ist, und vor allem auf der Via Romea gibt es große Probleme, dazu verläuft die Route dort über Abschnitte, die nicht sicher sind“, sagt Fischer. Anlass genug, um das Thema Pilgern auf die Agenda zu heben – gemeinsam mit weiteren Landkreisen und Regionen in Niedersachsen. „Wir wollen für das Pilgern in Niedersachsen mehr Qualität“, sagt Fischer. Helfen sollen dabei einheitliche, verbindliche Richtlinien, an denen sich die Markierungen ausrichten sollen. „Denn für das Pilgern ist gerade eine gute Markierung sehr wichtig: Der Pilger soll ja seinen Geist laufen lassen können und nicht immer nach der nächsten Markierung suchen müssen“, sagt Fischer. Die Richtlinien sollen allerdings nicht nur für die Aufkleber und Pfeile gelten, sondern auch für die Wege an sich. „Noch in diesem Jahr wollen wir die Wegführung optimieren“, so Fischer. Bedeutet: Die Route soll möglichst wenig gefährliche Abschnitte enthalten. „Wir wollen viel befahrene Straßen ohne straßenbegleitenden Rad- oder Fußweg unbedingt vermeiden“, erklärt Fischer. „Natürlich geht das nicht immer, aber die Abschnitte sollten unter 100 Meter Gesamtlänge sein.“ Bis auf ein kurzes Stück bei Brümmerhof läuft der Jakobsweg ab von hektischeren Straßen. „Die Landschaft macht diesen Abschnitt schön“, findet Helms. „Es ist ein wunderbarer Weg, und je langsamer man sich bewegt, desto mehr nimmt man die Landschaft wahr.“ Während irgendwo zwischen Winkeldorf und Benkel der Landkreis Rotenburg endet, geht der Jakobsweg weiter – bis zum „Ende der Welt“.