Vom Naturgenuss zum Erhalt von Ruhe und Ungestörtheit - Von Christiane Looks

Eine Formulierungsfrage

Stille Landschaft gegen Zivilisationslärm bei Westerwalsede. Foto: Joachim Looks ©

Westerwalsede. Ein sonniger Sonntagnachmittag war für mich das, worauf ich mich die ganze Woche freute: Denn dann schickte man mich in den Nutzgarten, um auf unsere Nahrungskostbarkeiten zu achten. Der Garten grenzte an einen Sportplatz, abgegrenzt durch einen Knick, die Schleswig-Holsteinische Variante einer Wallhecke. Dort fanden sonntags Fuß- und Feldhandball-Punktspiele statt.

Um zu verhindern, dass unsere der Selbstversorgung dienenden Schätze ihren Weg in hungrige Sportlermägen fanden, war eine Aufsicht erforderlich, die ich gerne mit unserem Schäferhund übernahm, hatte ich doch so den Nachmittag zum Lesen frei. Ins grüne Gras mit dem spannenden Buch vor den Hasel- und Fliederbüschen des mächtigen Walls auf meine Decke gekuschelt, den Hund an der Seite, der sich an mich schmiegte und träge in der Sonne döste, aus dem Hühnerhof das beruhigende Gegacker unseres Federviehs, im Knick die leisen Windgeräusche in den Büschen und irgendwie ganz weit weg, gedämpft, die Geräusche vom Sportplatz – welch ungestörter Nachmittagsgenuss!

1938 wurden in unserer Region eine Reihe von Landschaftsteilen unter Schutz gestellt. In der Verordnung findet sich neben anderem das Verbot, Veränderungen vorzunehmen, die Naturgenuss beeinträchtigen – eine bemerkenswerte Einschränkung, setzte sie doch voraus, dass es eine Vorstellung davon gegeben haben muss, wie Natur hätte genossen werden können.

Die Naturgenuss-Formulierung behielt ihre Gültigkeit bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, wo sie ausgewechselt wird durch Forderungen, alles zu unterlassen, was Ruhe und Erholung in Natur und Landschaft durch Lärm oder andere beeinträchtigende Verhaltensweisen störe, es aber auch Vorstellungen davon gab, in Schutzgebieten landschaftsbezogene Erholungsaktivitäten zu gestatten. Neuste Verordnungen fordern für Schutzgebiete den Erhalt von Ruhe und Ungestörtheit.

Die Formulierungen zeigen stichprobenartig, welchem Wandel der Umgang mit Natur unterworfen ist. Rund 50 Jahre scheint es eine Idee davon gegeben zu haben, wie Natur genossen werden könnte. Werden Erinnerungen hervorgekramt, hatte das viel mit Ausflügen zu tun. Mancherorts sind noch Spuren dieser Zeit erkennbar: halb zerfallene Picknicktische, Bänke, die heute niemand mehr nutzt, weil überwuchert und zerborsten. Später wurden sogenannte Trimm-Dich-Pfade modern. Mittlerweile sind sie schon wieder unmodern, obwohl Bewegung ein wahrlich bewegendes Thema sein sollte.

Mit dem Verschwinden der Naturgenuss-Formulierung fand ein Wandel weg von der Vorstellung statt, Natur sei für den Menschen dar, hin in Richtung des Gedankens, sie habe einen eigenen Wert und Ansprüche, die es zu schützen gelte. In letzter Konsequenz hieße dieses: Natur muss vor dem Menschen bewahrt werden.

Erschreckend oder hinzunehmende Folge gesellschaftlichen Wandels? Die Diskussion dieser Frage ist in vollem Gange, ein Ergebnis nicht absehbar. Lösungen kommen als graue Theorie daher, denn Begriffe wie Naturgenuss, landschaftsbezogene Erholungstätigkeit, Ruhe, Ungestörtheit sind unbestimmt. Ist Mountainbiking über Stock und Stein eine landschaftsbezogene Erholungstätigkeit oder ein abzulehnendes, Natur schädigendes Ärgernis?

Unruhig geworden? Vielleicht hilft eine entschleunigte Erfahrung weiter. Wer in Westerwalsede von Eversen aus kommend beim Verkehrskreisel gleich den ersten Abzweig in die Straße „Zur Beekwiese“ nutzt, sollte ungefähr 300 Meter nach der letzten Bebauung sein Fahrzeug im Seitenrand abstellen und es knapp zwei Kilometer genießen, einen zunächst befestigten, später aber sandigen Weg durch eine stille Landschaft zu wandern. Eine intakte Bank lädt zum Ausruhen ein, um abzuschalten und Zivilisationslärm nur von ganz weit zu vernehmen.

Am Ende des Weges wird es etwas lauter, weil eine Straße in 500 Meter Entfernung den Traum der Stille etwas stört. Aber der Weg muss ja wieder zurückgelegt werden, denn es ist ein Hin- und Zurückweg, symbolisch für die weiter oben angesprochene Grunddiskussion.