(hb). Was wäre der Sommer in der Börde Sittensen ohne den beliebten Fierobend in Köenhoff? Schon seit einem halben Jahrhundert unterhält die Niederdeutsche Bühne jedes Jahr mit amüsanten Komödien auf der malerisch gelegenen Freilichtbühne im Sittenser Königshof. In diesem Jahr wird 50-jähriges Jubiläum gefeiert, Aus diesem Anlass wird am Samstag, 21. August, um 19.30 Uhr die Premiere von "Wenn de Hahn kreiht" gefeiert - und das nicht ohne Grund: mit diesem Stück fing damals nämlich alles an.
Einige der Akteure sind schon seit vielen Jahren dabei und sind dem Publikum, das auch von weit her in den Bördeort strömt, schon ans Herz gewachsen. Wilhelm Seedorf, der eng mit der Geschichte der Niederdeutschen Bühne verbunden ist, hat eine Jubiläums-Chronik erstellt, die viele Anekdoten und vor allem die Entwicklung des plattdeutschen Theaters in Sittensen beschreibt. "Wir beschlossen, etwas Positives auf die Beine zu stellen" Schon vor dem zweiten Weltkrieg, als neben dem SV Sittensen von 1929 der MTV Sittensen von 1904 bestand, hatte dieser eine Laienspielgruppe. Sie trat bei Heimatabenden des MTV und ab 1932 auch schon bei Freilichtaufführungen beim Königshof auf. Joachim Wichern und Albert Meyer, die nach dem Krieg sofort wieder mitmachten, waren damals schon dabei", erinnert sich Wilhelm Seedorf. Der Krieg legte aber ab 1939 alle Vereinsaktivitäten lahm und endete für Sittensen am 19. April 1945 mit der Besetzung durch englische Truppen. "In dieser schweren Zeit - im September 1945 - beschlossen Lisa Steiger, Lisa Baden-Poppe, Hans Carstens, Hans Behrens, mein Bruder Hans-Heinrich und ich, nur um wieder etwas Positives auf die Beine zu stellen, die Gründung einer plattdeutschen Laienbühne", so Seedorf. Ältere Mitbürger wie Müller Gohde, Vater Lühmann, Kaufmann Kruse und Bäcker Wilkens ermutigten zu diesem Vorhaben und sagten ihre Unterstützung zu. Irgendwo wurden noch ganze zwei Einakterrollenbücher aufgetrieben und weitere Mitspieler wie Wilhelm Petersen, Egon Schultz, Hertha Burfeind, Lenchen Anhalt und Jürgen Klindworth geworben. Die Rollen wurden verteilt, wobei jeder seinen Part aus dem Rollenbuch abschreiben musste. Seedorf: "In der Küche unseres Hauses wurde mit den Proben begonnen. Da Heizmaterial knapp war, mußte jeder zu den Übungsabenden Holz und Torf mitbringen. In der Bratröhre unseres Küchenherdes wurde selbst angebauter Tabak getrocknet und sofort in der Pfeife geraucht." Ende Januar saß der Text zu den beiden Theaterstücken und es wurde mit Begeisterung und größter Improvisationsgabe darangegangen, den völlig unbrauchbar gemachten Saal provisorisch wiederherzurichten. Zerbrochene Fensterscheiben wurden durch Pappe ersetzt. Auf Packpapier wurden Werbeplakate geschrieben: "Een Kuss in Ehren" un "Dirk schall freen" - twee Theoterstücke, bi Hein Krus" to sehn. De Sool is warm." Dieser erste Theaterabend war ein unerwartet großer Erfolg. "Als etwa 400 Karten verkauft waren, mussten wir den Saal wegen Überfüllung schließen. Trotzdem kletterten immer noch Menschen durch die notdürftig geschlossenen Fenster. Die Besucher waren begeistert und haben das erste Mal nach dem Krieg wieder herzlich gelacht." In der Folgezeit wollte man weiter Theater spielen, aber es gab viele Neider, die die Spieler bei der Polizei und dem Finanzamt anschwärzten. So war zeitweise sogar die Existenz der Gruppe gefährdet. Deshalb schloss man sich dem VfL Sittensen an, Leiter wurde Wilhelm Seedorf. Bis zum Jahr 1950 wurde auf Kruses Saal und auch bei Else Behrens (Niedersachsenhof) gespielt. Im gleichen Jahr übernahm der erst kurz zuvor aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte Joachim Wichern die Leitung der Bühne. Er und der damalige VfL-Vorsitzende Johannes Holst hatten die Idee, eine Sommerfreilichttheater-Aufführung am Häuslingshaus des Königshofes zu starten. Die Spieler gestalteten das alte, strohgedeckte Häuslingshaus mit seiner Umgebung zu einer Bühne aus. Es wurden einige Bänke aus einfachen Brettern gebaut und für die Zuschauer aufgestellt. Mit dem Stück "Wenn de Hahn kreiht", das aus historischen Gründen auch in diesem Jahr auf dem Programm steht, wurde am 19. August 1950 der "Feierabend in Königshof" aus der Taufe gehoben. Willi Seedorf: "Der Wettergott war uns gnädig, etwa 250 Zuschauer waren begeistert. Niemand hätte sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen können, dass diese Veranstaltung Jahr für Jahr immer mehr Zuschauer anziehen würde." 1952 war Johannes Holst Regisseur, 1954 Hans Carstens. Auftritte später auch mit Tieren, Autos und Fahrrädern "Ab dann hatten wir immer einen Regisseur, der aus der Mitte der Spieler kam und zunächst öfter wechselte. Erst diese Führung machte uns Laien zu Darstellern und brachte ein ausgefeilteres Spiel. Während man vorher den Auftritt der Spieler nur aus dem Haus kommen ließ, erfolgte dies bald auch mit Fahrrädern, Autos oder Tieren", so Seedorf in der Chronik. Der Erfolg der Niederdeutschen Bühne wurde immer größer, 1968 wurden erstmals vier Vorstellungen gegeben - heute sind es sogar fünf. 1972 hieß es Abschied nehmen von der alten Bühne vor Mutter Bostelmanns Häuslingshaus. Das Bauamt hatte dies verlangt, weil die Holztribüne schon zu alt war. Als Dank erhielt Mutter Bostelmann eine lebenslange Freikarte. Unter der umsichtigen Leitung des VfL-Vorsitzenden Willi Heins - Manfred Bruns war zwischenzeitlich Spartenleiter geworden - wurde 1973 mit vielen freiwilligen Helfern des VfL auf dem Königshof ein alter, ziegelgedeckter Schafstall zu einem Bühnenhaus umgebaut und eine Sitztribüne angelegt. Diese Waldbühne, zunächst nur gepachtet, wurde 1985 vom VfL gekauft. Der bisherige Spartenleiter und vielfache Regisseur Manfred Bruns stellte 1995 nach sehr erfolgreicher Arbeit seinen Posten zur Verfügung, Nachfolger wurde Gerhard Brunkhorst, auch heute noch "Speelbaas" der Niederdeutschen Bühne. Nach 40 Jahren musste kurze Zeit später auch Wilhelm Seedorf - Spieler und Regisseur - aufgrund einer Krankheit seine Aktivitäten beenden. Die Zuschauerzahl liegt mittlerweile jährlich bei etwa 4.000, auch wenn aufgrund des schlechten Wetters 1998 nur knapp unter 3.000 Besucher dabei waren. Erfreulich für die Aktiven: Es gab eigentlich nie Nachwuchsprobleme bei den Theaterspielern des VfL und so dürfen sich die Fans des plattdeutschen Theaters noch auf viele schöne Stunden beim "Fierobend in Köenhoff" in Sittensen freuen.