AUS DEM GERICHT Prozess gegen Eltern nach Tod ihrer Tochter - VON WIEBKE BRUNS

Zu spät geholfen?

Vor dem Landgericht Verden müssen sich die Eltern aus Scheeßel verantworten.
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Verden/Scheeßel – Nach dem Tod ihrer vierjährigen Tochter im August 2019 müssen sich die Eltern aus Scheeßel wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor dem Landgericht Verden verantworten. Sie sollen es unterlassen haben, dem Mädchen die notwendige medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Zu spät sei ein Notarzt gerufen worden. Als dieser eintraf, war das Kind bereits tot.

Geboren wurde das Mädchen mit einem sogenannten Wasserkopf. Um das sich bei dem Krankheitsbild sammelnde Hirnwasser kontinuierlich abfließen zu lassen, wurde ihr schon früh ein Shunt implantiert. „Ein dünnes Kunststoffschläuchlein unter der Haut“, erklärte ein Rechtsmediziner. Durch dieses wird das Hirnwasser in die Bauchhöhle geleitet. Laut Anklage führte eine Fehlfunktion des Shunt zu dem gestiegenen Hirndruck und dem Tod.

Knapp zwei Stunden sagte die 37 Jahre alte Mutter beim Prozessauftakt am Donnerstag aus. Ausführlich schilderte sie den letzten Lebenstag ihrer Tochter. Dass diese nachts gewürgt hatte und tagsüber schlapp war, nichts essen wollte und viel geschlafen habe, schob die Mutter auf die Geburtstagsfeier für eines der Geschwisterkinder am Vortag mit viel Kuchen und Süßigkeiten.

Eine Lebensgefahr habe sie nicht gesehen. Ihr langjähriger Lebensgefährte und Vater der gemeinsamen sieben Kinder hatte am Nachmittag noch ein Geschwisterkind nach Hamburg gebracht. „Dann wäre ich gefahren und dann weiter ins UKE“, betonte die Frau.

Im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf war das Mädchen in Behandlung. „Ich bin immer zum Arzt. Man denkt immer an den Shunt“, sagte sie, doch die Symptome seien nicht die gewesen, die man ihr früher genannt habe.

Abends gegen 21 Uhr habe sie die Tochter wecken wollen. Weil sie nichts gegessen hatte, sollte sie noch mal etwas trinken. „Sie wurde nicht wach“, sagte die Mutter unter Tränen. Sie habe den Notruf gewählt. „Ich kam nicht durch. Ich habe Panik bekommen.“ Weinend schilderte sie die dramatische Situation. Warteschleife beim Notruf. Der Vater versucht, die Vierjährige zu reanimieren. Die Geschwister kommen die Treppe runter. Der Notarzt trifft ein. Hat den falschen Koffer. Muss wieder raus.

Das Kind war bereits tot, sagte der Mediziner vor Gericht. „Die Mutter hat geschrien: Ich bin schuld. Der Vater ist gegen die Wand gerannt. Es war eine furchtbare Situation, eine entsetzliche Tragödie“. Er habe schnell gewusst, dass er das Mädchen nicht retten könne, habe aber aus psychologischen Gründen eine längere Zeit reanimiert.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Eltern vor, dass die Tochter ihnen „gleichgültig“ gewesen sei. Vor Gericht vermitteln die Eltern diesen Eindruck ganz und gar nicht. „Ich würde für alle Kinder alles geben“, sagt die Mutter. Der 36 Jahre alte Vater unter Tränen: „Ich würde für meine Kinder in den Tod gehen, wenn es sein müsste“.

Aufzuklären sind Widersprüche. Am Donnerstag sagte die Mutter, ihre Tochter habe sich gar nicht übergeben. In dem Notruf soll sie von einem „Übergeben den ganzen Tag über“ gesprochen haben. Sechs Mal sei ihm gesagt worden, behauptet der Notarzt. Jedoch wisse er nicht von wem. Seine Aussagen waren dem Vorsitzenden Richter Volker Stronczyk insgesamt viel zu allgemein. Wenn ein Kind mit Shunt sich erbricht, müssten alle Alarmlampen angehen, sagte der Notarzt. Er sei davon ausgegangen, dass die Familie wegen ihres Umzuges nicht ausreichend auf die Tochter geachtet habe. Auf viele Nachfragen konnte der frühere Intensivmediziner und heutige Rentner aber keine schlüssigen Antworten geben.

Der Fahrer des Notarztes soll sich verfahren, zum Hurricane-Gelände gefahren sein. Die Warteschleife, der falsche Koffer. Ein Rettungsassistent soll im Ermittlungsverfahren von einer „nicht akzeptablen Medikamentengabe“ gesprochen haben. „Wäre das Kind auch verstorben, wenn der Notarzt früher gerufen worden wäre?“, stellte der Vorsitzende als nur eine der zu klärenden Fragen in diesem Prozess in den Raum. Dafür eingeplant sind vier weitere Verhandlungstage bis zum 10. Juni.

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