Zeitzeugen dieser Region
Ottersberg – „Das ist mein letztes Werk, schätze ich mal“, sagt Günther Wiggers mit einer Mischung aus Freude und Wehmut. In Händen hält der 97-Jährige seine frisch gedruckte „Nachlese“ – ein 130 Seiten dickes Buch, bestehend aus Abbildungen von Zeitungsartikeln, die das Lebenswerk des Ottersberger Ortschronisten und Vereinsaktivisten über 70 Jahre spiegeln. In Wort und Bild erzählen sie chronologisch ab 1954 von seinem außerordentlichen ehrenamtlichen Engagement für die Menschen und das Leben in seinem Heimatort, für das Wiggers 2016 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
Die Idee zu dem Buch hatte Harald Nienaber vom „Haus der Werbung“ in Verden, wo 20 Jahre lang Wiggers’ Kalender mit historischen Ottersberger Ansichten gedruckt worden waren. Seine 6000 (!) Dias mit Alt-Ottersberger Motiven hat Günther Wiggers, der seinen archivarischen Nachlass so regeln will, dass nichts verloren geht, dem Kreisarchiv zugesagt. Aber was tun mit seinen drei prallen Aktenordnern voller ausgeschnittener Berichte aus den lokalen Zeitungen? Die Artikel und Fotos dokumentieren über Jahrzehnte Wiggers’ Vorstandsarbeit in mehreren Vereinen, seine Vortragstätigkeit und sein Wirken als Herausgeber von Büchern und Kalendern. Im Kontext mit den jeweiligen Organisationen, Veranstaltungen und deren Entwicklung schreiben die Zeitungsberichte „ein Stück Ortsgeschichte“, erklärt Wiggers. Das erkannte auch Verleger Harald Nienaber, der die Ausschnitte einscannte und zu dem Buch zusammenstellte. Längst nicht alle Zeitungsausschnitte konnten in der „Nachlese“ untergebracht werden, dafür aber persönliche Dokumente, die Günther Wiggers am Herzen liegen, weil sie Meilensteine auf seinem Lebensweg markieren – wie die landesbischöfliche Glückwunschurkunde zum 65. Hochzeitstag mit seiner geliebten Frau Gisela im Mai 2019 sowie deren Todesanzeige wenige Monate später. Oder auch die Verleihungsurkunde zur Bundesverdienstmedaille 2016. Kindheit und Jugend des im Januar 1927 geborenen Ottersbergers wurden von der Nazizeit und vom Krieg geprägt, man könnte auch sagen: zerstört. Mit 16 Jahren wurde er als Flak-Helfer eingezogen, drei Jahre später kehrte er krank aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. In seinem 2003 erschienenen Buch „Als Junge im Krieg“, das berührende Briefwechsel mit seinen Eltern enthält und dazu viele Fotos und weitere Zeitdokumente, hat Wiggers seine Erinnerungen aufgezeichnet. Als jahrzehntelanger Chef der Sparkasse im Ort war er 1954 seinem Vater im Amt gefolgt, und die Ottersberger gingen weitere 33 Jahre lang „bei Wiggers Geld holen“, wie es hieß. Nach seiner Pensionierung wurde Günther Wiggers zur Institution in Sachen Heimatgeschichte. Er wurde das geschichtliche Gedächtnis Ottersbergs und erste Anlaufstelle, wenn es um historisches Bildmaterial von Gebäuden, Straßen, Familien, Festen, Vereinsleben und Alltag ging. Sein Fundus von 6000 Dias ist sortiert nach Straßennamen. Die Informationen zu jedem einzelnen Bild, alles was er über dieses Motiv weiß, hat er im Computer archiviert. Über Jahrzehnte war sein Schatz an Fotos und Wissen dank seiner Kontakte und Gespräche im Ort zu einem riesigen Archiv angewachsen. Einzelne Themen der Ottersberger Historie stellte Günther Wiggers zu gefragten Bildvorträgen zusammen, von denen er mehr als 100 gehalten hat. Von 2004 bis 2023 füllten seine „Historischen Ansichten aus Ottersberg“ Jahr für Jahr den großformatigen Bildkalender, den er in Zusammenarbeit mit dem Kulturverein im Rektorhaus herausgab und der zum begehrten Sammlerobjekt wurde. Bis heute sind Wiggers zufolge rund 5000 Exemplare verkauft worden – bis nach Übersee zu dortigen Auswandererfamilien. „Alle Einnahmen und Spenden aus Kalendern und Vorträgen kamen gemeinnützigen Zwecken zugute“, betont Wiggers, der jeden Cent aus seinen Aktivitäten gespendet hat. Beim Kulturverein wirkte er zudem maßgeblich an der Ortschronik „Ottersberg in den letzten 200 Jahren“ mit und bestückte regelmäßig die „Ottersberger Geschichtshefte“ mit seinen Archivfotos. Sein gesellschaftliches Engagement ging noch weit über die Geschichtsaufzeichnung hinaus. Als Schatzmeister wirkte Wiggers mehrere Jahrzehnte beim TSV Ottersberg, dem er seit mehr als 80 Jahren angehört. Kirchengemeinde, Dorfhelferinnenwerk oder Kulturverein – der Grandseigneur des Ehrenamts war an vielen Stellen für andere im Einsatz. Nachzulesen ist das alles in Form von Zeitungsausschnitten im Buch „Nachlese“: „Ein Leben in Zeitungsartikeln, wer hat das schon“, sinniert der 97-Jährige und lächelt. Wo es das Buch gibt Das Buch „Nachlese – Gesammelte Zeitungsartikel, Ottersberg 1954 - 2023“ gibt es zum Preis von 25 Euro zu kaufen in der Ottersberger Buchhandlung Froben und bei Günther Wiggers selbst (Postweg 1, Telefon 04205/1455).