Wenn die Bausteine des Amtshofes reden könnten, dann erzählten sie wohl folgendes:"Um das Jahr 1000 vermacht ein Bartholdi die Otterstidi, Raubritter seines Zeichens, ´des Raubens müde geworden und in sich gekehret, ein gewiß Gut der Kirche´". Aus diesem "gewiß Gut" wurde sehr bald die Wasserburg Ottersberg mit ihrem in seiner heutigen Erscheinungsform wohl 1586 erbauten Amtshof - seit jetzt 50 Jahren Sitz und Mittelpunkt der Freien Rudolf-Steiner-Schule Ottersberg.
Auch wenn die Wiege der Waldorfschule -einer der ersten der Nachkriegszeit- in der sogenannten O.-T.-Baracke (Organisation Todt) im Wald an der Autobahn bei Stuckenborstel stand, hier wurde sie am 9. Mai 1946 als "einheit-liche Volks- und höhere Schule" gegründet, bezog sie bereits am 9. November 1946 den von der Gemeinde Ottersberg gepachteten "Amtshof". Waren es bei Schulgründung der "Freien Schule Stuckenborstel" noch 56 Schüler gewesen, die zum Teil vom zehn Kilometer entfernten Waffensen aus jeden Morgen zu Fuß in ihre "Waldschule" kamen, rechnete das mittlerweile zehnköpfige Kollegium um Magdalene Ithwari Kiefel für Ottersberg bereits mit sechs Klassen - aufgrund der zahlreichen Anmeldungen, die nach dem Sommer 1946 kamen. Anfang Oktober war die Schülerzahl bereits auf 104 Kinder gestiegen. Not und das Verbot während der Nazizeit ließen die Waldorfschule ärmlichst starten: Nach Stuckenborstel, immerhin beherbergte die Baracke bereits drei Schulklassen, brachten die Kinder noch ihre Sitzgelegenheiten selber mit, an Tafeln war nur eine vorhanden, fehlende Fensterscheiben und eine Haustür hatte ein Schülervater "organisiert". Auch im Amtshof sah der Schulstart nicht viel anders aus. Und so wurden, wie in jenen Tagen üblich, die notwendigsten Utensilien eben aus dem Ausland organisiert: Der Ottersberger Malermeister Viets, der sich bereit erklärt hatte, die Räume zu streichen, wartete auf neue Pinsel aus Chicago, Zimmermann Blohm bezog ein Kiste Nägel aus Schweden und die im harten Winter 46/47 so unentbehrlichen Öfen kamen von einem anderen Freund der Waldorfschule aus Lübeck. Brennmaterialien brachte die auf 120 Kinder angewachsene Schülerschar von zuhause mit. Die Währungsreform 1948 brachte die ersten bedeutenden Abmeldungen für die Schule mit sich, eine zweite Welle folgte mit der Gründung der Bremer Waldorfschule ebenfalls im Jahr 1948. Ungeachtet dieses kurzfristigen Einbruchs wird 1950 mit Stallbau und Elsbeth Klaue als erster Gartenbaulehrerin die eigene Viehhaltung für die Schule begründet. 1952 wird die Schule zehnklassig, 1953 vom Kunst- und Werklehrer Siegfried Pütz, dem späteren Gründer der Freien Kunst-Studienstätte Ottersberg, die sogenannte Betriebsgenossenschaft Amtshof gegründet. Ebenfalls 1953 wird das erste Schülerheim in Otterstedt eröffnet. Bereits 1954 wird an der jetzt zwölfklassigen Schule ein Eurythmie-, Physik- und zweiter Werkraum gebaut sowie die Tischlerei begründet, 1959 das erste Schülerheim mit Schulküche im Amtshofgebäude eingerichtet. 1960 folgen Drei-Klassen-Bau (das heutige Atelierhaus) und die Installation einer Zentralheizung. Im Jahr 1963 wird das bis dahin gepachtete Gelände von der Erbengemeinschaft Clüver gekauft und somit Besitz des Rudolf-Steiner-Schulvereins. 1964 muß die Schule, die als Internatsschule immer größere Anerkennung findet, das sogenannte Hotel Netzer (und spätere Johanneshaus) als Schülerheim für 40 weitere Kinder zupachten, 1966 wird der Amtshof für baufällig erklärt und für den Unterricht geschlossen. 1968 bezieht die Schule den auch heute noch so genutzten Acht-Klassen-Bau und das für 80 Kinder ausgelegte Schülerheim auf dem Amtshof, das Wümmehaus, das in diesen Tagen neben Schülerdruckerei und Hausmeisterwohnung auch den Ottersberger Waldorfkindergarten beheimatet. 1972 wird zum ersten Mal das Abitur abgenommen - bis dahin fuhren die "Begabten" fürs 13. Schuljahr noch in Schwesterschulen wie die in Benefeld beispielsweise. Im Jahr 1975 wird das Johanneshaus durch den Schulverein gekauft und renoviert, 1976 das Werkstattgebäude durch Elternarbeit fertiggestellt, 1980 folgt der Eurythmieanbau an den Acht-Klassen-Trakt. Eltern waren es auch, die in den 80er Jahren mit dem Ottersberger Fachwerkrestaurator Bodo Vogel Wirtschaftsgebäude und Amtshof renovierten. Nach der Auflösung der Schülerheime 1986 und Verkauf des Johanneshauses wird 1994 als letzter Bauabschnitt der Gesamtplanung auf dem denkmalgeschützten Gelände der Turn- und Festsaal der Schule eingeweiht. Heute besuchen rund 450 Schülerinnen und Schüler aus 280 Elternhäusern die Freie Rudolf-Steiner-Schule Ottersberg. Sie kommen größtenteils aus den Landkreisen Verden, Rotenburg und Osterholz-Scharmbeck. Auch die Ottersberger Schule fußt ihrer Idee nach auf der Anfang dieses Jahrhunderts von Dr. Rudolf Steiner begründeten Anthroposophie und Waldorfpädagogik, erzieht die Kinder altersgemäß ihrer körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklung. Das künstlerische Element ist nicht nur denjenigen Fächern vorbehalten, die es in ihrem Namen tragen, sondern durchdringt als tragendes Fundament den gesamten Unterricht.