Nach dem Unfalltod seines Vaters: Der sechsjährige Tilo aus Hemslingen möchte fliegen - Von Dennis Bartz

Papa Benny noch einmal ganz nah

Ein Foto aus glücklichen Tagen: Benjamin und Ina Jehl mit ihrem Sohn Tilo sowie Schnuffeltuch Nils.
 ©Foto: Privat

Hemslingen. Wie die meisten Kinder seines Alters ist auch Tilo Jehl aus Hemslingen ein Fan von Superhelden. Wenn der Grundschüler von Green Lantern, Wolverine, Captain America, Groot, Ironman oder dem grünen Muskelprotz Hulk erzählt, leuchten die Augen des Sechsjährigen. Aber Tilos größter Superheld ist sein Vater Benjamin, der vor fast einem Jahr, am Nachmittag des 11. Dezember 2019, im Alter von 42 Jahren bei einem Autounfall auf der Bundesstraße 3 bei Neddernhof ums Leben kam. Tilos Mutter Ina Jehl hat sich an die Wunschbox-Redaktion der Rundschau gewandt, weil sie ihrem Sohn mit Hilfe der Leser einen ganz besonderen Wunsch erfüllen möchte: „Tilo möchte fliegen, um seinem Papa im Himmel noch einmal ganz nahe zu sein. Vielleicht gibt es jemanden, der eine kleine Maschine oder einen Segelflieger hat und bereit ist, ihn mitzunehmen.“

Im Mai dieses Jahres wollte die Familie zusammen nach Barcelona reisen. „Wir hatten den Flug bereits im Juli 2019 gebucht und uns alle sehr darauf gefreut. Aber nachdem mein Mann dann verunglückt war, habe ich die Reise sofort storniert. Es war unvorstellbar für mich, dort alleine mit Tilo am Strand zu sitzen“, berichtet Ina Jehl, die heute mit ihrem Mann den siebten Hochzeitstag gefeiert hätte.

Den Unglückstag hat sie noch genau in Erinnerung: „Benny hatte sich nach dem Mittagessen auf den Weg zu einem Termin gemacht. Dort kam er jedoch nicht an. Ich hatte mich gewundert, warum er sich zwischendurch nicht gemeldet hatte. Andererseits war er niemand, der sein Smartphone ständig bei sich trug. Als es dann aber an der Haustür klingelte und Polizisten vor mir standen, wusste ich sofort Bescheid. Ich war in dem Moment nur erleichtert darüber, dass Tilo bei seinen Großeltern war“, erinnert sich die 33-Jährige Bäckerin und Konditorin.

Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen und entschied sich dazu, ihrem Sohn erst am nächsten Morgen von dem Tod seines Vaters zu erzählen. „Wenigstens er sollte in der Nacht gut schlafen können.“ Tilo war in den folgenden Monaten eine große Stütze für sie: „Durch ihn hatte ich überhaupt die Kraft, jeden Tag aufzustehen und Essen zu kochen. Es musste ja irgendwie weitergehen. Er ist kurz darauf in den Kindergarten gegangen und ich habe nach einem Monat wieder gearbeitet.“

Ihr war es wichtig, ihren Sohn in alle Trauerphasen und Entscheidungen mit einzubinden: „Ich finde es falsch, den Tod aus dem Leben auszuschließen und denke, das es ihm gutgetan hat und ihm dabei geholfen hat, zu verstehen, dass sein Papa nie wiederkommen wird. Tilo war mit beim Bestatter und hat die Urne ausgesucht. Er hat auch dabei geholfen, den Baum im Ruheforst zu wählen.“

So weit es trotz der Corona-Pandemie möglich war, hat Ina Jehl versucht, mit Ausflügen wie in den Ersepark für ein wenig Ablenkung zu sorgen. „Abends haben wir dann oft Harry Potter gelesen und sind in Hogwarts abgetaucht“, erinnert sich die 33-Jährige, die darauf hofft, bald mit Tilo eine Trauerbewältigungs-Reha antreten zu können. „Leider hat das wegen des Coronavirus bisher nicht geklappt und wir haben viel Zeit verloren.“

Aus dem gemeinsamen Haus auszuziehen, ist für Ina Jehl keine Option: „Es steckt so viel von meinem Mann hier drin, so viel Liebe.“ Benjamin Jehl war nicht nur ein sehr lebensfroher und humorvoller Mensch, der sich für jeden einen Spitznamen überlegt hat, er war auch handwerklich begabt und kreativ, erzählt Ina Jehl: „Er hat seine Gestaltungsideen im Haus umgesetzt und hatte immer Lust, etwas zu schaffen. Für ihn galt: Ganz oder gar nicht.“ Die Hemslingerin ist glücklich darüber, viel von ihrem Mann in Tilo wiederzuerkennen: „Er ist genauso impulsiv und liebevoll wie er. Und wenn ich ihn anschaue, sieht er genauso aus wie sein Papa. So lebt Benny in ihm ein Stück weiter.“

Tilo geht seit dem Sommer in die erste Klasse der Grundschule in Hemslingen. Schreiben und Lesen lernen macht ihm dort besonderen Spaß, am meisten genießt er aber die Zeit, die die Kinder zur freien Verfügung haben. „In der Maz-Zeit schreibe ich gerne Geschichten“, sagt der Junge, der bereits fünf Augen-Operationen über sich ergehen lassen musste. Ärzte hatten bei ihm im Alter von knapp drei Jahren beidseitig einen angeborener Grauen Star diagnostiziert. Er hatte zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Sehkraft von knapp 40 Prozent.

Inzwischen kann er wieder gut gucken, trägt jedoch eine Spezialbrille und muss regelmäßig zur Kontrolle, um Komplikationen auszuschließen. Denn es besteht die Gefahr, dass er an einem Grünen Star erkrankt oder sich die Netzhaut ablöst. „Wir sind deshalb etwa alle zwei Monate zur Untersuchung beim Augenarzt und einmal pro Jahr an der MHH, Tilo macht das immer ganz toll mit“, sagt Ina Jehl.

Sie hätte Tilos Traum vom Fliegen gerne schon in diesem Herbst erfüllt. Doch der gebuchte Mallorca-Urlaub mit Freunden musste Corona-bedingt ausfallen. „Tilo war sehr traurig deswegen. Denn für ihn ist ganz klar, dass sein Papa da oben im Himmel ist“, erklärt Ina Jehl. Deshalb hatte sie mit Tilo zum Geburtstag ihres Mannes Anfang Juli einen großen Heliumballon dorthin aufsteigen lassen.

Sollte sich ein Leser melden, der Tilo zu einem Flug einladen möchte, so sollte der noch Platz für zwei weitere Passagiere haben: Mama Ina Jehl und Schnuffeltuch Nils. „Das ist nämlich mein allerbester Freund, der beste Bruder, den man sich wünschen kann“, sagt Tilo und freut sich aufs Fliegen – hinauf zu seinem Papa in den Himmel, wie ein kleiner Superheld.

• Wer Tilo den Traum vom Fliegen erfüllen möchte, der meldet sich per E-Mail an wunschbox@rotenburger-rundschau.de. Dort melden sich auch alle, die einem besonderen Menschen einen Herzenswunsch erfüllen möchten.

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