Aktion in der Fußgängerzone für Frauen sorgt für Aufsehen

Zeichen gegen Gewalt

Maike Rissiek, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt (M.), ihre Schwester (r.) und Sozialarbeiterin Anne Waurich setzen die orangen Zeichen gegen Gewalt.
 ©Bettina Diercks

Eisig weht den drei Frauen am Samstagvormittag der Wind ins Gesicht. Sie gehen und stehen hier in der Rotenburger Fußgängerzone, um Farbe zu bekennen. In Orange, gegen Gewalt, für die vielen Opfer, die es tagtäglich im Landkreis gibt. Bis Weihnachten wird es mindestens noch 25 Übergriffe gegen Frauen geben, die bekannt werden. Statistisch gesehen. Insgesamt 300 im Jahr.

Der Rollwagen zu klein, aber immerhin ein Vehikel, das die Dosen mit oranger Kreidefarbe zum Sprühen, Postkarten, Handzettel und die Hinweistafel mit der Aufschrift „Orange the world“ transportiert. Plus schwarzer Luftballons, die den orangenen Handabdruck tragen, Symbol des internationalen Tages, der offiziell am 25. November begangen wird. So haben die drei Frauen die Hände frei, um quer durch die Stadt Pflastersteine mit Farbe zu versehen. Maike Rissiek, Gleichstellungsbeauftragte bei der Stadt, unterstützt durch ihre Schwester, die gerade aus der Schweiz zu Besuch ist, sowie Kollegin Anne Waurich, Aufsuchenden Jugendsozialarbeiterin.

Der Tag ist bewusst und gut gewählt. Samstag, Wochenmarkt. Sofort zieht der Tross Aufmerksamkeit auf sich, der die ersten Pflastersteine auf dem Pferdemarkt besprüht, und wird gleich von mehreren Seiten angesprochen: „Was macht ihr da?“ Waurich: „Wir machen auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam“. „Schlimm“, sagt eine Seniorin. Stefan Peters vom Hermannshof aus Wümme, zufällig passend in oranger Jacke, zeigt sich ehrlich interessiert: „Das wusste ich gar nicht!“ Er lässt sich Informationsmaterial aushändigen.

Zählt Gemecker zu Gewalt? Eine Verkäuferin kritisiert die Sprühaktion ohne zu fragen, worum es überhaupt geht. Die Leute würden in die Farbe treten, sie unter den Schuhen haben und verteilen. So, wie viele zu oft die Rechte und das Leben von Frauen mit Füßen getreten, sie wie Dreck behandelt werden, geschieht es hier auch mit der Aktion. Wasserlösliche Farbe löst sich irgendwann im Nichts auf, Dreck auf der Seele eher nicht.

Gespräche kommen zustande. „Meine Tochter hat Gewalt erlebt. Ihr Ex-Freund ist zweimal in ihre Wohnung eingedrungen, hat sie auf das Sofa geworfen und ihr gedroht. Beim zweiten Mal hatte sie den Mut, die Polizei zu rufen“, erzählt eine Mutter. Und das vielleicht „nur“, weil es mal eine Aktion in Scheeßel gab, die über Gewalt gegen Frauen aufklärte.

Eine ältere Frau sagt, dass sie schon seit Jahren Selbstverteidigungskurse besucht: „Mir tut keiner etwas.“ Körperliche Übergriffe sind eine Seite von Gewalt, doch auch Wörter können Schwerter sein. Wer will sich da freisprechen, niemals gewalttätig geworden zu sein? In Wut, verletzt?

Weltweit finden bis zum internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember Aktionen zum internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen statt. Die orangefarbenen Steine in der Wümmestadt sind nur ein Mini-Puzzleteil bei 180 715 häuslichen Angriffen, 983 Tötungen und einem „erheblichem Dunkelfeld“ allein Deutschland, davon 300 Fälle in Rotenburg.

Dem gegenüber steht der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, um aus Abhängigkeiten hinauszukommen, und an vielen Orten fehlende Frauenhäuser. Gewaltbetroffenen Frauen stehen nach Angaben des Vereins für Frauenhauskoordinierung bundesweit etwa 7 700 Plätze zur Verfügung. Gemäß Istanbul-Konvention, dem internationalen Abkommen gegen Gewalt an Frauen, sind in Relation zur Einwohnerzahl 21 000 Plätze nötig.

Für jeden der 300 Übergriffe im Landkreis wurden 300 Pflastersteine vom Pferdemarkt die Fußgängerzone hinunter orange besprüht. Mahnsteine. Die drei Frauen hoffen, dass sie bis zum 10. Dezember halten. BETTINA DIERCKS

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