Aaron Kruse aus Rotenburg unterrichtet Englisch an chinesischer High School

Rundschau-Serie: Ich bin dann mal weg

Aaron Kruse aus Rotenburg startet in ein besonderes Abenteuer: Der 18-Jährige fliegt nach China und unterrichtet dort elf Monate lang Englisch an der No. 1 Senior High School in Wenxian. In der Rundschau berichtet er regelmäßig von seinen Erlebnissen.  ©Foto: Dennis Bartz

Rotenburg/Wenxian. In den vergangenen Monaten paukte der 18-jährige Rotenburger Aaron Kruse in jeder freien Minute für seine Abiturprüfung. Nun hat er den Abschluss in der Tasche. Zeit für ein großes Abenteuer: Am Montag, 5. August, startet um 10.50 Uhr seine Maschine KL1904 vom Airport Hannover nach Amsterdam. Nur ein Zwischenstopp für Kruse, denn von dort aus geht es per Flieger und Bus weiter bis in die chinesische Stadt Wenxian. 8.500 Kilometer von Rotenburg entfernt, in einer ärmeren Region der Volksrepublik, tauscht er die Schulbank gegen das Lehrerpult. Der frisch gebackene Abiturient soll elf Monate lang im Rahmen des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes Weltwärts Englisch an der No. 1 Senior High School unterrichten. In der Rundschau berichtete Kruse alle zwei Wochen über das, was er dort erlebt.

Wie verbringst Du die letzten Tage vor dem Abflug?

Aaron Kruse: Mein bester Freund ist zu Besuch. Außerdem genieße ich die Zeit mit meiner Familie und nutze die Chance, mich von weiteren Freunden zu verabschieden. Und dann muss ich ja auch noch packen ... Ich hoffe, dass mit dem Visum alles klappt, ansonsten verzögert sich meine Abreise um eine Woche.

Wie geht es für Dich dann weiter?

Kruse: Zunächst verbringe ich ein paar Tage in Nanjing. Dort werden ich und die weiteren Volunteers begrüßt. Wir haben Zeit, um einige Sehenswürdigkeiten und Plätze zu besichtigen. Die Tage werden wir in einem schicken Hotel verbringen. Das ist Teil der Propaganda-Arbeit des Staates, der eng in das Programm eingebunden ist. Danach startet das dreiwöchige Lehrer-Training. Dort werden wir auf unsere Aufgaben vorbereitet.

Wo wirst Du eingesetzt?

Kruse: Die Stadt, in der ich leben und arbeiten werde, heißt Wenxian liegt inmitten von Bergen. Sie hat etwa 80.000 Einwohner und ist eine eher ärmere Region etwa siebeneinhalb Stunden mit dem Bus von Chengdu entfernt. Mit etwa 16 Millionen Menschen ist die Metropole eine der größten Städte der Welt und als Panda-Stadt bekannt, weil die bedrohten Tiere dort noch in freier Wildbahn leben. Ich bin darauf schon sehr gespannt – jeder mag Pandas.

Was erwartet Dich in Wenxian?

Kruse: Ich bekomme eine Ein-Zimmer-Wohnung direkt in der Schule, in der ich unterrichte. Dort ist außer mir ein weiterer Volunteer aus Aschaffenburg, mit dem ich Gemeinschaftsräume wie das Wohnzimmer teilen werde. Wenn ich mich dort eingerichtet habe, kann der Unterricht starten.

Wie hast Du Dich auf die Zeit dort vorbereitet?

Kruse: Die Nordkirche hatte uns im Rahmen des Weltwärts-Programms zu einem zehntägigen Seminar eingeladen. Dort haben wir einiges über das Land und unsere Aufgabe erfahren. Auch die Kolonialisierung und Gender-Fragen kamen dabei zur Sprache. Das war sehr informativ, zum Teil aber auch überraschend.

Was meinst Du damit?

Kruse: Uns wurde beispielsweise klar gemacht, dass wir am Ende diejenigen sein werden, die am meisten aus dieser Zeit mitnehmen. Zunächst dauert es natürlich eine Weile, um dort eingewiesen zu werden und uns einzuleben. In dieser Zeit werden wir den Einheimischen viel Arbeit machen. Wir haben unsere entwicklungspolitische Aufgabe erst dann erfüllt, wenn wir nach einem Jahr zurück sind und hier erzählen, was wir erlebt haben. Eigentlich fängt unsere Aufgabe dann erst so richtig an, wurde uns erklärt.

Werdet Ihr vor Ort als vollwertige Lehrer eingesetzt?

Kruse: Ja, aber das Weltwärts-Programm sieht vor, dass durch uns keine Stelle ersetzt werden darf. Wir sind quasi nur das Sahnehäubchen, wenn man das so sehen will.

Du warst gerade selbst noch Schüler – bald gibst Du Unterricht. Traust Du Dir diesen Schritt zu?

Kruse: Ich hatte mir Gedanken darum gemacht, ob womöglich meine eigenen Englisch-Kenntnisse nicht reichen könnten. Aber die Schüler dort sind offenbar noch nicht so weit im Englisch-Unterricht, vergleichbar mit dem Sprachniveau der fünften und sechsten Klassen hier.

Du bist selbst kaum älter als Deine Schüler – machst Du Dir Sorgen darum, dass sie Dich nicht ernst nehmen könnten?

Kruse: Zunächst war der Gedanke da. Aber ich habe erfahren, dass die chinesischen Schüler in ihrer Entwicklung noch nicht so reif sind wie die Gleichaltrigen hier. Die Jugendlichen sollen dort verspielter sein und großen Respekt vor ihren Lehrern haben – meine Sorge war also unnötig.

Was sind die größten Unterschiede zu den Schulen hier?

Kruse: Vor allem die Klassengröße: Dort sind es 60 Schüler. Dass ich zuvor bei dem historischen Theater Weiberspeck & Herrengedeck in Rotenburg mitgespielt habe, wird mir sicher dabei helfen, frei vor so vielen Leuten zu sprechen. 2.800 Schüler besuchen insgesamt die No. 1 Senior High School in Wenxian. Allgemein ist der Wettbewerb dort viel größer und der Drill-Gedanke steht im Mittelpunkt des Lernens. Jeder Schüler kennt seine Rangfolge in der Klasse. Er weiß genau, welches Glied er in der Kette ist – das ist eine ganz andere Mentalität als hier bei uns. Mein Job ist es, das System aufzulockern, weg vom frontalen Unterricht, hin zu einem interaktiven. Ich bin der Ausgleich zu den strengen Lehrern dort und meine Stunden sollen den Schülern Spaß bringen.

Du arbeitest dort in einer eher ärmeren Region. Merkt man das auch der Schule an?

Kruse: Nein, die Klassen dort sollen sehr gut ausgestattet sein – besonders an meiner Schule. Es gibt überall Smart-Boards. Weil die Schule in der Region am besten abgeschnitten hat, und deswegen die Bezeichnung No. 1 tragen darf, hat sie vom Staat sogar ein eigenes Stadion erhalten.

Wie sieht der Schulalltag aus?

Kruse: Jeden Morgen gibt es ein Sportprogramm, an dem ich auch teilnehmen möchte. Dazu gibt es jeden Montag eine Parade, bei der die Fahren gehisst wird. Alle Schüler treten dafür im Stadion an. Die Jugendlichen haben kaum Freizeit und sind von früh morgens bis spät abends in der Schule. Wenn es in der Woche einen Feiertag gibt, müssen die Schüler den Unterricht am Wochenende nachholen – das ist hier unvorstellbar.

Wie wird Dein Jahr in China finanziert?

Kruse: 75 Prozent kommen aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Das Ministerium hat den Freiwilligendienst Weltwärts 2008 ins Leben gerufen. Den Rest der Kosten von etwa 10.000 bis 20.000 Euro übernimmt die Nordkirche. Damit ist dann alles abgedeckt: Anreise, Verpflegung, Fortbildungen, Betreuung und Unterkunft. Ich suche zudem private und gewerbliche Sponsoren. Diese unterstützen nicht nur mein Projekt – sondern helfen auch, den Süd-Nord-Austausch zu ermöglichen, also Menschen aus dem Ausland für ein Jahr nach Deutschland zu holen.

Welche finanziellen Mittel stehen Dir zur Verfügung?

Kruse: Ich bekomme 200 Euro Verpflegungsgeld und 100 Euro Taschengeld pro Monat. Weil es staatliche Mittel sind, muss ich Belege sammeln und darf keine Luxusgüter kaufen, nicht einmal Käse, weil Chinesen den nicht essen und er deswegen teuer ist. Meine Eltern unterstützen mich auch, deswegen sollte ich gut über die Runden kommen.

Musst Du Dich im Alltag stark umstellen?

Kruse: Als Vegetarier wird es schwer für mich, weil die Menschen in China von Tieren oft alles verarbeiten, sogar die Köpfe. Das wird eine ganz neue Erfahrung für mich. Aber ich möchte mich ganz darauf einlassen und ein Teil der Kultur sein.

Warum hast Du Dich ausgerechnet für China entschieden?

Kruse: Das war eine Verkettung von Zufällen. Ich war bei einem Infoabend und hatte eigentlich ein anderes Ziel im Kopf. Als dort das Projekt in China vorgestellt wurde, klang das für mich sehr interessanter und ich wusste sofort, dass das genau das Richtige für mich ist.

Wie schwer fällt es Dir, die Sprache zu lernen?

Kruse: Ich lern Mandarin, das ist eine sehr große Herausforderung, weil die Sprache sehr komplex ist. Ich hatte bereits zwei Kurse im Konfuzuis-Institut in Bremen. Die Grammatik klappt schon ganz gut. Ich kann auch schon zehn Schriftzeichen – das klingt vielleicht gut, aber es gibt tatsächlich Tausende. Sie bestehen aus verschiedenen Elementen, einige bilden Silben, andere Wörter, Strichkombination können aber auch für Oberthemen wie die Natur stehen.

• Wer das Projekt unterstützen will, meldet sich per E-Mail an aaron.kruse@yahoo.com oder telefonisch unter 04261/971380. Spender erhalten auf Wunsch eine Spendenbescheinigung.