Rotenburg. Hachschera und Alija – nur wenige kennen diese Begriffe. Die Ausstellung „Schützende Inseln – Lehrgüter für die Auswanderung jüdischer Jugendlicher im Nationalsozialismus“ in der Cohn-Scheune macht sie mit bislang weitgehend unveröffentlichtem Fotomaterial anschaulich, und sie gibt einen Einblick in das Leben junger Menschen, die in den 1930er-Jahren vor der nationalsozialistischen Bedrohung nach Palästina flüchteten.
Studierende vom Fachbereich Erziehungswissenschaft der TU Braunschweig gestalteten die Ausstellung gemeinsam mit ihrer Professorin Ulrike Pilarczyk. „Ziel war eine Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen jüdischer Jugendlicher zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland“, erklärt Pilarczyk. Dabei sei es vor allem um die Rekonstruktion zeitgenössischer Perspektiven über die Auswertung privater Fotografien, Briefe und Tagebucheintragungen der ausgewanderten Jugendlichen als auch öffentlicher Quellen wie der „Jüdischen Rundschau“ gegangen.
„Die Studierenden haben sich eingefühlt in eine Situation, die sie nie erlebt haben: Ausgegrenzt zu sein, diffamiert und angefeindet zu werden, nicht studieren zu dürfen, in der Schule abgesondert oder ganz ausgeschlossen zu werden“, so Pilarczyk. Das hebräische Wort Alija bezeichne die jüdische Emigration nach Palästina, und Hachschera (wörtlich: Tauglichmachung) die Vorbereitung, Ausbildung und Erziehung zum kollektiven Leben in einem Kibbuz. Die sogenannte Jugend-Aliya habe Jugendlichen und später auch Kindern die Auswanderung nach Palästina ohne ihre Eltern ermöglicht. „In enger Zusammenarbeit mit den Organisationen der jüdischen Selbsthilfe und den palästinensischen Kibbuz-Bewegungen wirkte die Jüdische Jugendbewegung an der Rettung von rund 10.000 Jugendlichen aus Deutschland mit“, erläutert Pilarczyk. Die Auswanderung nach Palästina sei keinesfalls einfach gewesen: „Dazu brauchten die Jugendlichen ein Einreise-Zertifikat der britischen Mandatsregierung, und das bekamen nur Leute, die dort gebraucht wurden. Die Hachschera-Stätten in Deutschland boten den Jugendlichen die Möglichkeit, eine handwerkliche, gärtnerische, land- oder hauswirtschaftliche Ausbildung zu bekommen.“ „Die Arbeit an diesem Projekt hat uns sehr berührt. Durch die Beschäftigung mit den Fotos, Briefen und Tagebucheinträgen entstand das Gefühl, die jüdischen Jugendlichen persönlich zu kennen“, sagen Zoya Trupp, Ana Linnert-Ruzheva und Kristina Wolfram, die mit vier weiteren Studentinnen bei der Vernissage anwesend sind. „Dadurch konnten wir nachvollziehen, wie sich die Jugendlichen damals gefühlt haben müssen. Für die Ausstellung haben wir Zitate ausgewählt, die das aus unserer Sicht am deutlichsten ausdrückten.“ Die von den Studierenden gestalteten Tafeln zeigen diese Zitate sowie Fotos von verschiedenen Hachschera-Stätten und der Jugend-Aliya in Deutschland bis zur Ankunft der jüdischen Jugendlichen in den Kibbuzen in Palästina. Dadurch erhalten die Besucher der Ausstellung einen persönlichen, fast intimen Eindruck davon, wie es den jungen Menschen auf ihrem Weg ergangen ist. Sehenswert.