Visselhövede/Brüssel. Bei den Terroranschlägen in Brüssel sind am Dienstag mehr als 30 Menschen gestorben und etwa 230 verletzt worden, als Terroristen am Morgen zunächst am Flughafen Brüssel-Zaventem und wenig später in der Metrostation Maelbeek im EU-Viertel Bomben zündeten. Für Stella Meyer wird dieser Tag für immer unvergessen bleiben: Denn die 20-jährige Studentin für Politikmanagement aus Visselhövede absolviert derzeit ein Praktikum bei der Bremer Landesvertretung in Brüssel und schildert im Gespräch mit der Rundschau, wie sie den Tag erlebt hat.
Am frühen Dienstagmorgen wollte sie mit einem Kommilitonen eine Konferenz in der Europä-ischen Kommission besuchen und hatte sich dafür an einem der bekannten Verkehrsknotenpunkte der Stadt, dem Schumann-Kreisel, verabredet. „Das ist der Mittelpunkt des EU-Viertels ins Brüssel“, erklärt Meyer. Um 9.20 Uhr waren die beiden dort verabredet.
Freunde und Familie machten sich Sorgen Um kurz nach acht erreichte sie die Nachricht, dass etwas am Flughafen vorgefallen sein soll. Sofort meldeten sich besorgte Freunde und ihre Familie bei ihr. „Ich habe sie beruhigt und ihnen erklärt, dass der Flughafen außerhalb des Zentrums liegt und die Kommission vom Militär streng bewacht wird“, erinnert sich Meyer. Sie habe ihre Wohnung kurz darauf mit einem sicheren Gefühl verlassen, obwohl bereits überall Sirenen von Polizei und Krankenwagen zu hören waren. Gegen viertel nach neun erreichte sie den Schumann-Kreisel und wartete dort auf ihren Kumpel. Dieser schrieb ihr per Whatsapp, dass seine U-Bahn feststecke und er sich verspäte. Kurz darauf kam eine weitere Nachricht, erzählt die Studentin: „Er hat mir geschrieben, dass in der Metro auch etwas passiert sei. Er hatte eine Druckwelle gespürt, einen dumpfen Knall gehört und seine U-Bahn füllte sich mit Rauch.“ Eine Kollegin bestätigte, was bis dahin nur eine böse Ahnung war: In der Metro-Station Maelbeek waren tatsächlich weitere Bomben explodiert. „Das war nur eine Station von mir entfernt“, so Meyer, die sich nun große Sorgen um ihren Freund machte. Sie rief ihn an und bat darum, so schnell wie möglich ins Büro zu kommen, weil es dort sicher sei. „Ich wollte ihm am Telefon beistehen, bis er da raus ist, aber dann brach das Handynetz zusammen und ich konnte ihn nicht mehr erreichen. Ich hatte Angst um ihn und wusste nicht, wie es ihm geht. Ich wusste nur, dass er in der Metro war und auf seinem Weg zu mir durch Maelbeek fahren musste.“ Ein paar Feuerwehrwagen rasten da auch schon an ihr vorbei in Richtung der Metrostation. Es dauerte fast eine halbe Stunde, ehe endlich die erlösende Nachricht kam: Es ging ihm gut und er hatte die U-Bahn-Station sicher verlassen. „Das war eine schlimme Situation, diese Angst möchte um einen Menschen möchte ich nie wieder erleben“, so Meyer. Das Krisenzentrum informierte über die sozialen Netzwerke derweil darüber, dass nur noch wichtige Nachrichten verschickt werden sollten, um das Handynetz zu entlasten. Ihr Freund verpasste den Bombenzug Wie sich später herausstellte, hatte ihr Freund riesiges Glück gehabt, dass er nicht selbst in der U-Bahn war, in der die Bomben explodiert sind. „Er hat diese U-Bahn verpasst, weil er seinen Notizblock vergessen hatte und noch einmal umkehren musste. Darum bekam er erst die nächste“, berichtet Meyer. In der ganzen Stadt habe große Verunsicherung geherrscht und die Straßen seien in den Stunden darauf wie leer gefegt gewesen. Zum Glück war ihre Mutter Steffi Zager nicht weit entfernt. „Ich war gerade auf einer Beerdigung in Köln, als ich von den Angriffen gehört habe. Ich habe sofort beschlossen, meine Tochter und ihren Kumpel dort raus zu holen.“ Zwischenzeitliche Meldungen, nach denen die Grenzen geschlossen seien und niemand herein und heraus käme, stellten sich bei einem Anruf beim auswärtigen Amt zum Glück als falsch heraus. Um 15 Uhr machte sie sich mit ihrem Kleinwagen auf den Weg von Köln aus nach Brüssel. Die Stadt war überfüllt, als sie dort ankam, denn die Lage hatte sich inzwischen etwas beruhigt. Es fuhren jedoch weiterhin keine öffentlichen Verkehrsmittel und viele Menschen waren deshalb zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs. „Auf den letzten Kilometern kam ich nur sehr langsam voran und die Anspannung wuchs. Ich war zunächst noch gelassen, aber dann war es pures Adrenalin. Als ich dann endlich meine Tochter gesund vor mir sah, habe ich sie und ihren Kumpel sofort in den Arm genommen“, berichtet Zager. Anders als auf der Hinfahrt, als an der Grenze von Aachen aus nach Belgien zumindest die Ausreisenden streng kontrolliert wurden, sei auf dem Rückweg an der belgisch-holländischen Grenze von Grenzkontrollen kaum etwas zu sehen gewesen. „Auf der einen Seite waren nur zwei Polizisten, auf der anderen Seite nur ein Beamter mit Motorrad. Wir konnten dort mit fast 50 Kilometern pro Stunde durchfahren, obwohl es dunkel war. Es hätte niemand gemerkt, wenn wir Terroristen im Auto gehabt hätten. Das hat mich sehr erschrocken. Sie haben dort kaum ein Fahrzeug kontrolliert, nicht einmal Kleintransporter“, ärgert sich Zager. Auch an der holländisch-deutschen Grenze sei es so gewesen. Dass die Gefahr in Brüssel größer ist, als in den meisten anderen europäischen Städten, sei ihnen bereits vor Antritt des Praktikums klar gewesen. Seit den Anschlägen in Paris, die zum Teil von Terroristen aus Brüssel verübt wurden, herrschte dort Terrorwarnstufe drei. „Bereits an meinen ersten Tagen dort Anfang März waren viele Polizisten und Soldaten unterwegs. Trotzdem war immer die Angst da, dass etwas passieren könnte“, so Meyer. „Ich fahre Ostermontag zurück nach Brüssel“ Ihr Praktikum macht Meyer zu Ende. Abzubrechen war für sie keine Option. Auch nach den Terroranschlägen in dieser Woche, bei dem sie um das Leben ihres Freundes fürchten musste, hat sich daran nichts geändert. „Ich fahre am Ostermontag zurück nach Brüssel und setze mein Praktikum wie geplant bis Ende Juni fort. Das fällt mir nicht leicht, weil die Bedrohung spürbar war. Aber ich möchte mich davon nicht einschüchtern lassen. Ich werde die Metro und große Menschenansammlungen meiden. Aber die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit muss stimmen.“