Simbav gründet neue Eltern-Kind-Gruppe

Raus aus der Tabu-Zone

Mit ihren Erkrankungen gehen Jennifer Hasenbanck (l.) und Michaela Behrens an die Öffentlichkeit, um anderen Eltern Mut zu machen. Fotos: Beims ©

VON ANN-CHRISTIN BEIMS

Kinder großzuziehen, ist eine Herausforderung. Es gibt schöne, aber auch anstrengende Zeiten. Umso mehr, wenn Eltern zusätzlich mit einer psychischen Erkrankung kämpfen. Für sie gibt es nun eine weitere Anlaufstelle: Das Familienforum Simbav hat unterstützend eine neue Gruppe ins Leben gerufen.

Rotenburg – Schon vor ihren Schwangerschaften hat Jennifer Hasenbanck gemerkt, dass sie nicht weiß, wie sie alles händeln soll. Mit den Kindern wurde es nicht einfacher. Sie möchte ihnen gerecht werden und kann es manchmal einfach nicht. „Die Kinder möchten bespaßt werden, und du kommst einfach nicht hoch“, beschreibt sie. Dreifachmama Michaela Behrens geht es ähnlich. Beide Frauen gehen nun mit ihren psychischen Erkrankungen bewusst an die Öffentlichkeit, um anderen Eltern Mut zu machen: „Wir wollen die Hemmschwelle senken, damit sie wissen, dass sie nicht alleine sind.“ Dafür hat das Familienforum Simbav einen weiteren, geschützten Raum geschaffen: eine Eltern-Kind-Gruppe für Eltern mit psychischen Erkrankungen.

Die Gruppe ist kein Therapieersatz, das betont Leiterin Ina Helwig. Doch es ist schwer, überhaupt einen Platz zu bekommen, weiß Hasenbanck. Daher soll das niedrigschwellige Angebot denen helfen, die sich mit ihren Sorgen und Probleme alleine fühlen. Und davon gibt es weit mehr, als viele annehmen mögen. Etwa zehn bis 15 Prozent der Frauen leiden beispielsweise unter postnatalen Depressionen. Und das sind nur offizielle Zahlen, weiß Behrens. Für sie, als nach Rotenburg Zugezogene, die dadurch Simbav kennengelernt hat, war schnell klar: „Uns fehlt hier genau so eine Gruppe.“

Beide Mütter haben sich dazu bereit erklärt, bei den Treffen die Leitung zu übernehmen. Im Gegensatz zu anderen Simbav-Gruppen gibt es hier sogar mit Simbav-Mitarbeiterin Gesine Griephan drei Leiterinnen, dazu noch eine psychologische Beraterin. Diese ist bei den Gruppentreffen dabei, steht währenddessen auch für Einzelgespräche zur Verfügung. Außerdem wird es Babysitterinnen geben. Schülerinnen der IGS, die im Rahmen des Projekts „Verantwortung“ ihr Sozialpraktikum in der Gruppe absolvieren.

„Die Eltern sind total glücklich“, weiß Griephan. Für sie ist es ein Raum, in dem sie unter Gleichgesinnten alles besprechen können, was sie auf dem Herzen haben, während sie in entspannter Atmosphäre mit ihren Kindern Zeit verbringen können.

Genau das ist nämlich ein wesentlicher Faktor der Treffen: Nicht die Krankheit soll im Vordergrund stehen, sondern das Miteinander. Es wird gespielt, gesungen, gibt Kreativangebote und eine Bücherkiste. „Sie haben Raum für eine schöne Zeit mit ihren Kindern“, sagt Helwig. Das gehe im Alltag manchmal verloren, weil sie einfach die Kraft dafür nicht haben.

Bei anderen Eltern fühlen sich Betroffene manchmal nicht verstanden. Sie nehmen sie nicht ernst, wiegeln ab, verharmlosen, können es nicht nachempfinden. „Man wird nicht so akzeptiert, wie man ist. Wird gleich abgestempelt“, meint Hasenbanck. „Ein Bein darf man sich brechen, die Seele nicht“, ergänzt Behrens.

Schaffen Betroffene es beispielsweise im Alltag nicht, ihre Kinder rechtzeitig fertig zu bekommen, stoßen sie oft auf kopfschüttelndes Unverständnis bei anderen Eltern. Da hilft es auch nicht, dass in sozialen Netzwerken oft nur das Bild der perfekten Eltern, die rundum glücklich sind, suggeriert wird.

„Betroffene wollen auch mal offen darüber reden können“, sagt Helwig – also braucht es eine Gruppe, wo eben das auch Raum haben darf. Gerade die Corona-Pandemie habe noch einmal explizit deutlich gemacht, wie groß der Bedarf ist und dass das „Thema ein starkes ist“, meint Griephan. Das können Phasen sein, in denen es einmal mal nicht so gut geht, es kann aber auch dauerhaft sein. Egal wie: Willkommen ist jeder. „Oft holt eine Schwangerschaft oder eine Geburt Dinge hervor, die man in eine Schublade gepackt hat“, so Griephan. Das überfordert die Eltern dann, alles bricht über ihnen zusammen.

Genau deswegen braucht es unterstützende Angebote, ist Helwig überzeugt. „Im Jahr 2022 brauchen wir diese niedrigschwelligen Angebote, wenn wir von psychischen Erkrankungen sprechen.“ Auf der einen Seite sei die Gesellschaft in den vergangenen Jahren wesentlich offener geworden, auf der anderen wird das Thema oft genug runtergespielt oder in eine Schublade gepackt. Doch die Gruppe wächst bereits – sie wird gebraucht. Fördergelder konnte das Familienforum über die Town & Country-Stiftung sowie die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt generieren. Die Gruppe ist damit bis Ende des Jahres gesichert. „Dann finden wir hoffentlich weitere Unterstützer.“

Gruppentreffen

Dienstags von 15.30 bis 17.30 Uhr treffen sich die Teilnehmer im Zentrum für Familien. Eine Anmeldung ist nicht nötig, jeder kann wöchentlich neu entscheiden, ob er kommen möchte.