Umstrittene Wahl: Nabu erklärt Kormoran zum Vogel des Jahres 2010 - Von Andr' Ricci

Anglerschreck mit großem Schnabel

Kormorane sind gesellig und brüten gerne in Kolonien  ©Rotenburger Rundschau

Mit der Wahl ausgerechnet des Kormorans zum Vogel des Jahres 2010 haben der Nabu und sein bayerischer Co-Verband LBV bundesweit teils heftige Reaktionen ausgelöst. Das Votum sei "ein Schlag ins Gesicht aller wirklichen Naturschützer“, poltert etwa der Deutsche Fischerei-Verband. Auch im Landkreis Rotenburg regt sich Kritik.

"Wir halten die Entscheidung für sehr unglücklich und naturschutzpolitisch für ein falsches Signal“, sagt Ralf Gerken. Der Gewässerwart des Angelsportvereins (ASV) Forelle Lauenbrück und Fischereibeauftragte des niedersächsischen Landessportfischerverbands verweist auf hohe und weiter steigende Bestände sowie erhebliche Schäden, die die hungrigen, knapp gänsegroßen Tiere anrichten. Ein ausgewachsener Kormoran frisst pro Tag etwa 500 Gramm Fisch. Da die Vögel sehr gesellig sind und mit Vorliebe in Gruppen auf Beutezug gehen, summieren sich die Zahlen schnell. "Die bilden richtige Treiberketten“, so Gerken. Als höchst effiziente Wasserjäger beschreibt auch Biologin Dr. Erika Vauk die an Land eher plump wirkenden Räuber: "Während zum Beispiel Fischreiher stehend auf Vorbeischwimmendes warten, tauchen Kormorane ihrer Beute aktiv hinterher.“ Erfolg bekommt der umstrittene Jahresvogel 2010 inzwischen von höchster politischer Stelle bescheinigt: Das Europäische Parlament nennt den Kormoran in einer Erklärung einen "Problemvogel“, dessen Bestand sich im Gebiet der EU innerhalb eines Vierteljahrhunderts auf rund 1,7 Millionen Exemplare verzwangzigfacht habe und der europäischen Gewässern per anno mehr als 300.000 Tonnen Fisch entnehme – "in vielen Mitgliedsstaaten ist dies ein Vielfaches dessen, was die Binnenfischerei und Fischzucht an Speisefischen erzeugt“. "Auch an unseren Gewässern ist der Kormoran häufiger Gast“, so Rainer Kruse, Vorsitzender des ASV Forelle, dessen Mitglieder in Kooperation mit Umweltschützern Wasserbiotope in den Gemeinden Scheeßel und Fintel betreuen. "Über Kormoranschäden vor allem an Forellenteichen wird mir seit zwei Jahren zunehmend berichtet“, ergänzt Gewässerwart Gerken. "In der Fintau, Ruschwede und Veerse fischt er regelmäßig in mehr oder weniger großen Trupps“. Nahe Veersebrück nächtigten zeitweise bis zu 100 der schwarzen Vögel. Noch sei die Lage im Landkreis nicht dramatisch, sagt der Fischexperte und bekennt sich zum unter Anglern unbeliebten Kormoran als Bestandteil der heimischen Fauna. Der Bestand müsse jedoch reglementiert werden, nicht zuletzt, weil natürliche Fressfeinde wie der Seeadler selten geworden sind. "Bei steigenden Populationszahlen befürchten wir ähnlich hohe Schäden wie sie vor allem in Dänemark, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern schon festzustellen sind“. Die 2007 um weitere fünf Jahre verlängerte niedersächsische Kormoranverordnung, die den Abschuss der Vögel im Umfeld von Gewässern unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, sei daher zu begrüßen. Jährlich fallen in Deutschland 15.000 Kormorane der Flinte zum Opfer – diese Tötungen sind es, die den Nabu dazu bewogen, den als Art nicht gefährdeten Kormoran, dessen Verbreitungsgebiet sich über große Teile des gesamten Erdballs erstreckt, als Jahresvogel zu nominieren, um dessen Schutz man sich in den kommenden Monaten besonders intensiv bemühen will. "Genauso hätte man das Schwarzwild zur bedrohten Art und zum Säugetier des Jahres erklären können“, kritisiert Gerken. "Trotz allem wollen wir vor Ort keinen Kormoran-Krieg vom Zaun brechen“, stellt er mit Blick auf scharfe Wortwechsel zwischen den Verbänden und Vereinen auf Bundesebene klar. Gerken verweist auf die gute Zusammenarbeit zwischen Nabu, Anglern und Jägern etwa bei der Anlage von Eisvogelbrutwänden und Amphibiengewässern. Alte ideologische Gräben dürften nicht wieder aufgeworfen werden. Erleichtert werden dürfte dies durch den Umstand, dass die Kormoranjagd im Landkreis bislang ein rein theoretisches Thema ist. "Es finden keine Abschüsse statt“, erklärt auf Nachfrage der Leiter des Amtes für Naturschutz und Landschaftspflege, Forstoberrat Jürgen Cassier. Dass dies so bleibt und möglichst auch andernorts künftig auf die Kormoranjagd verzichtet wird, wünscht sich Jürgen Hicke vom Nabu Rotenburg. Kritik an der Nominierung des Fischfressers weist er zurück. "Eine wichtige Wahl“, befindet der Umweltschützer und nennt zur Begründung die hohen Abschusszahlen, die zu denken gäben. "Der Bestand reguliert sich selbst“, wehrt er sich gegen den Einwand, dass der Mensch eingreifen müsse. Die natürliche Populationsgrenze sei mittlerweile erreicht, so Hicke. Indes räumt er den Umstand, dass die gefräßigen Vögel aus der Gattung der Ruderfüßer wirtschaftliche Schäden anrichten und sich mit Vorliebe an angelegten Fischteichen schadlos halten, unumwunden als Problem ein. Der Königsweg aus dem Dilemma bestünde darin, intensiv an der Verbesserung der Gewässerqualitäten zu arbeiten. Solange viele Flüsse und Seen sich in ökologisch mangelhaftem Zustand befänden, bleibe der Druck auf fischreiche, gut gepflegte Teichanlagen mangels Futteralternativen bestehen. Im Übrigen gebe es durchaus Möglichkeiten, Kormorane auf schonende Art und Weise am Wildern in Zuchtteichen zu hindern. Da der Phalacrocorax Carbo, so die korrekte lateinische Artbezeichnung des Vogels, eine Fläche von etwa zehn Metern als Lande- und Startbahn benötigt, könne er etwa mit gespanntem Draht ferngehalten werden. Entsprechende Versuche des bayerischen LBV hätten gute Resultate erzielt, berichtet Hicke. Auch er betont die gute Kooperation zwischen Anglern und dem Nabu. "Wir arbeiten hervorragend zusammen“, lobt der Rotenburger. In der Tat ist insbesondere das groß angelegte, vom ASV initiierte und vorangetriebene Wiederansiedlungsprojekt für Lachs und Meerforelle im oberen Wümmegebiet zu einer über die Kreisgrenzen hinaus beachteten ökologischen Erfolgsgeschichte geworden (siehe www.rotenburger-rundschau.de). Daran werde man anknüpfen, auch wenn man nicht immer einer Meinung sei, versichert Hicke. Die Kormorane im Landkreis rüsten sich derweil zum Abflug. "Im Winter wird es ihnen hier zu kalt“, berichtet Biologin Vauk. Für die Fintelerin besteht kein Zweifel, dass der Vogel Schutz verdient. "Auch wenn er wirtschaftliche Schäden verursacht und vielleicht nicht so schön aussieht wie ein Eisvogel“, fügt sie hinzu. Der Mensch sei oft ziemlich egoistisch und mache sich vorzugsweise dann für Naturschutz stark, wenn es ihn nichts koste. Die Beziehung des Menschen zum Kormoran ist denn auch gekennzeichnet von Futterkonkurrenz und Verfolgung. Um 1920 war die Art in Deutschland nach massiver Bejagung praktisch ausgerottet. In Niedersachsen datiert die letzte dokumentierte Sichtung einer Brutkolonie auf 1919. Überleben konnten die Vögel mit dem markanten Schnabel im seereichen Polen; von dort aus fand ihre langsame Rückkehr gen Westen statt. In Niedersachsen sind sie seit 1947 wieder anzutreffen. Heute brüten in Deutschland etwa 24.000 Brutpaare, mehr als die Hälfte davon in großen Kolonien nahe der Küsten.