Diakonieklinikum Rotenburg stellt Chefarzt nach Vorwürfen frei - Von Dennis Bartz

„Schreckliche Zustände“

Das Diakonieklinikum hat Dr. Bernhard Prankel nach schweren Vorwürfen freigestellt.
 ©Rotenburger Rundschau

Rotenburg. Bereits seit Längerem gab es Beschwerden von Patienten, Eltern, Therapeuten und Mitarbeitern gegen den Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) in Rotenburg. Das Rotenburger Agaplesion Diakoniklinikum reagierte auf die Anschuldigungen und stellte Dr. Bernhard Prankel Mitte Mai mit sofortiger Wirkung frei. Am Dienstag, 3. Juli, ab 13.15 Uhr kommt es deshalb zur öffentlichen Verhandlung am Arbeitsgericht in Verden. Prankel hat Kündigungsschutzklage eingereicht und verlangt seine Wiedereinstellung. Zuvor war bereits ein Prozesstermin Mitte Juni angesetzt – doch dieser musste laut Auskunft des Arbeitsgerichts verschoben werden.

Die kommissarische Leitung der KJP hat Dr. Malte Mechels, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie gemeinsam mit Professor Andreas Thiel, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Zentrums für Psychosoziale Medizin, übernommen.

Die Pressesprecherin der Diakonieklinikums Ute-Andrea Ludwig bestätigt auf Nachfrage, dass es wiederholt Vorwürfe und Beschwerden zu den Behandlungsstandards unter der Verantwortung des Diplom-Psychologen Prankel als Arzt und seinem Verhalten als Führungskraft gab, ohne diese im Detail zu nennen.

„Die Vorwürfe waren nicht ausreichend konkret und juristisch nicht belastbar“, teilt das Klinikum mit und erklärt: „Wir haben als Arbeitgeber eine Sorgfaltspflicht unseren Arbeitnehmenden gegenüber und zunächst gilt immer die Unschuldsvermutung.“

Prankel war seit April 2000 Leiter der KJP – zuvor war er unter anderem Oberarzt der Rheinischen Klinik Viersen (1999 bis 2000) und Leitender Oberarzt einer Fachklinik in Lübeck (1997 bis 1999).

In den vergangenen Wochen hätten sich die Beschwerden gehäuft, so Ludwig weiter: „Und im Gegensatz zu früheren gibt es deutlich konkretere Aussagen und die Bereitschaft, diese auch zu bezeugen. Wir haben Chefarzt Dr. Prankel deshalb bis zur vollständigen Aufklärung mit sofortiger Wirkung freigestellt.“ Das Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf hat ebenfalls Konsequenzen aus den Anschuldigen gezogen und die Zusammenarbeit mit dem KJP als Akademisches Lehrkrankenhaus bis auf Weiteres ausgesetzt.

Marlene Heuer-Pattschull, Kinder- und Jugendtherapeutin aus Scheeßel, hatte sich bereits Ende Februar mit einem Brief an das Klinikum gewandt und darin die Zusammenarbeit mit Prankel kritisiert. Seitdem hat sie nach eigener Aussage mit etwa 20 ehemaligen Patienten Prankels sowie deren Eltern gesprochen: „Fast alle haben sich über seine Behandlungsmethoden beschwert.“

Die KJP habe den Versorgungsauftrag, „also eine Art Monopolstellung für die stationäre Behandlung psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher für den Landkreis Rotenburg. Bei Kliniken in Hamburg und Bremen müssen Patienten mit bis zu sechs Monaten Wartezeit mehr rechnen. Wenn die Eltern eine andere Klinik zur Auswahl gehabt hätten, wären sie möglicherweise nicht zum KJP gegangen“.

Besonders der Umgang dort mit dem sogenannten „Time-Out-Raum“, einer Art Gummizelle, sorgt bei Heuer-Pattschull für Kopfschütteln. Demnach hätten Patienten ihr gegenüber berichtet, dass sie zum Teil über mehrere Tage hinweg dort eingesperrt gewesen sein sollen: „Das psychiatrische Konzept besagt aber ganz klar, dass Kinder nur etwa eine Minute pro Lebensjahr in dem Raum verbringen dürfen, 15-Jährige also maximal 15 Minuten am Stück. Außerdem ist der ständige Kontakt zu einem Betreuer vorgeschrieben. Auch dort gab es offenbar Verstöße. Der ,Time-Out-Raum‘ dient lediglich dazu, dass sich die Kinder und Jugendlichen in einer reizarmen Umgebung beruhigen können.“

Ihr gegenüber hätten jedoch mehrere Patienten berichtet, dass in der KJP der Raum zur Bestrafung genutzt wurde: „Und das betraf möglicherweise Patienten wie Jugendliche aus Jugendlicheeinrichtungen ohne Elternbezug sowie Patienten, bei denen die Eltern nicht hinterfragten, was dort passiert.“

In mindestens einem Fall, so Heuer-Pattschull weiter, soll ein Patient sogar wochenlang in dem Raum eingesperrt gewesen sein: „Das Schlimmste, was ich gehört habe, ist, dass eine Patientin nur einen Eimer in dem Raum hatte und nicht einmal auf Toilette gehen durfte. Das ist Freiheitsentzug.“

Prankels Behandlungsansatz entspreche nicht den heutigen Ansätzen, so die Einschätzung von Heuer-Pattschull: „Es scheint nicht darum zu gehen, die psychischen Probleme, die Kinder und Jugendliche haben, zu verstehen, sondern die negativen Verhaltensweisen mit allen Mitteln abzutrainieren.“

Sie habe deshalb seit Jahren keine Patienten mehr dorthin geschickt. „Es herrschte in meinen Augen kein gutes Behandlungsklima.“ Wie schlimm es dort tatsächlich ist, sei ihr aber erst durch die aktuellen Beschreibungen der Patienten bewusst geworden: „Ich und auch andere Kollegen sind immer wieder neu schockiert und sprachlos vor Entsetzen.“

Andere Eltern hätten ihr gegenüber beschrieben, dass Prankel Druck auf sie ausgeübt haben soll. „Er hat ihnen gesagt, er könne ihnen das Sorgerecht entziehen lassen, wenn sie seiner Behandlungsempfehlung nicht weiter folgen.“

Auch der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Hans Kowerk, der in Hamburg und Lauenbrück tätig ist, übt Kritik an der KJP: „Der fachliche Horizont scheint sich ausschließlich auf kognitive Verhaltenstherapie mit dem Stand vor 20 Jahren und Sozialpädagogik zu beschränken. In den Berichten werden unzureichende oder unvollständige kinderpsychiatrische Diagnosen gestellt und es finden dementsprechend oftmals nutzlose oder unvollständig erscheinende Behandlungsbemühungen statt.“

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Ulrike Horn aus Sittensen berichtet von einem Gespräch mit der Mutter eines in der KJP Rotenburg behandelten Kindes. Dieses habe seiner Mutter berichtet, dass wenn ein Kind „ausgetickt“ sei, drei bis vier Therapeuten es zu Boden gedrückt und anschließend weggetragen hätten. Es sei für sein Verhalten mehrere Tage in den „Time-Out-Raum“ gesperrt worden. Es handele sich dabei um einen „nackten Raum mit einer Gummimatte“.

Das Kind habe es zudem als „schrecklich“ empfunden, dass sich die Patienten in der KJP nicht gegenseitig hätten trösten dürfen. Es sei mit einem Achtjährigen auf einem Zimmer gewesen, der viel geweint habe. Anfassen sei jedoch grundsätzlich verboten gewesen. Eine Armlänge Abstand sei stattdessen Vorschrift gewesen.

Als „traumatisch“ habe die Mutter den Abschied am Tag der Aufnahme erlebt. Nach ihrer Beschreibung sei ihr Kind festgehalten worden. Sie habe gehen müssen und die Türen seien „verrammelt und verriegelt“ worden. Sie berichtet außerdem, dass sie ihr Kind hinter den Türen habe schreien hören.

Das Klinikum bemüht sich um Schadensbegrenzung: Der Schutz von Patienten, die eine psychische Krankheit oder eine seelische Behinderung haben, sei elementar für die Arbeit in der Psychiatrie, teilt Ludwig in der schriftlichen Stellungnahme mit. Minderjährige Kinder und Jugendliche seien ganz besonders schutzbedürftig. „Wir bedauern es außerordentlich, wenn Kindern und Jugendlichen nicht die bestmögliche Behandlung zugekommen sein sollte. Gleiches gilt für Mitarbeitende, die die Führungskultur als erdrückend empfanden.“ Das Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg hat nach eigenen Angaben mit der Aufarbeitung der im Raum stehenden Vorwürfe und Beschwerden begonnen. Zuständige Aufsichtsbehörden seien informiert. Außerdem sollen die Standards und Abläufe in der KJP einer unabhängigen, externen Qualitätskontrolle unterzogen werden.

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