Die Zeiten sind nicht normal – schon gar nicht für Israelis. So war es ohne Frage eine große Besonderheit, dass gerade jetzt der Pädagogische Austauschdienst der Kultusministerkonferenz mit Sitz in Bonn Jugendliche aus Israel und Deutschland zu einem knapp zweiwöchigen Workshop eingeladen hatte. Darin eingebunden: ein Besuch der Rotenburger Cohn-Scheune.
Normalerweise finden solche Veranstaltungen in Berlin oder Bonn statt. Auch aus Sicherheitsgründen hatte man sich entschlossen, in diesem Jahr in die Provinz zu gehen und so auch bei der Cohn-Scheune angefragt. Am vergangenen Samstagmorgen tauchten dann 24 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, je vierzehn aus Israel und Deutschland, an dem kleinen jüdischen Museum in der Rotenburger Stadtmitte auf. Der Staatsschutz war informiert, das gehört leider dazu, aber, das sei vorweggenommen, alles verlief ohne Zwischenfälle.
Und nicht nur das: Die Jugendlichen waren begeistert, es entspannen sich intensive Diskussionen schon vor Ort und alle lernten viel Neues kennen. Dabei war es über aller ohnehin vorhandenen Brisanz, vermutlich noch etwas ganz Besonderes, dass zwei der Jugendlichen aus Israel aus Nazareth kamen, also einer fast rein arabischen Stadt in Israel. Einer der pädagogischen Betreuer vermutete, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben erklärt bekamen, welche Gegenstände in einer jüdischen Synagoge wichtig sind. Im Obergeschoss der Cohn-Scheune nämlich gibt es den Nachbau eines Tora-Schreins der ehemaligen Synagoge aus Zeven, mitsamt einer Tora-Rolle. Das ist eine Schriftrolle der biblischen fünf Bücher Mose, die im Judentum eine besondere Bedeutung haben. Itamar aus Tel Avis las mühelos den althebräischen Text vor, was nicht nur die Deutschen erstaunte. Die Gäste aus Israel konnten bestens erklären, was die Bedeutung des siebenarmigen Leuchters (Menora) sei, koscheres Essen oder wie man den Sabbat begann. Die Verständigung – komplett auf Englisch – klappte mühelos. Vonseiten des Museums hatte man Renate Coxhead als Erklärerin gewinnen können, die sich nicht nur in der Cohn-Scheune sondern auch in der englischen Sprache bestens auskennt. Die Familie Cohn ist, wie nahezu alle jüdischen Familien, zu einem erheblichen Teil durch den Holocaust ausgelöscht worden. Auf die Frage, wer von den Gästen aus Israel in seiner Familie direkt betroffen gewesen sei, erhoben einige die Hand: Hier waren es die Ur-Großeltern, dort der Großvater, die oder der die Vernichtungsmaschinerie der Nazis nicht überlebt hatte. Und natürlich wird der Holocaust intensiv in allen Schulen in Israel behandelt. Aber auch die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich bestens informiert. Vielleicht kein Wunder: Um an einem solchen Austausch teilzunehmen, muss man sich offiziell beim Sekretariat der Kultusministerkonferenz bewerben (in Israel übrigens desgleichen bei der Deutschen Botschaft). Da kann man ein gewisses „Grundinteresse“ schon voraussetzen. Die Gruppe wird noch einige Tage im Lande bleiben und sicherlich auch noch mehr zusammenwachsen, als man jetzt schon beobachten konnte. Ein tolles Miteinander. Es konnte natürlich nicht ausbleiben, dass man auch nach dem heutigen Leben in Israel fragte. Die meisten der Gäste waren aus Tel Aviv oder Jerusalem. Alarm, Sirenengeheul und Raketenangriffe gehören zu ihrem Alltag. Und nahezu alle hatten jemanden aus ihrem Bekannten- oder Verwandtenkreis, der in diesem Krieg sein Leben gelassen hatte – als Teilnehmer beim Rockfestival, das die Hamas zunächst überfallen hatte, oder, wie Hadar (16) berichtet, dass ihre Lehrerin zusammen mit ihrem Kleinkind zu den Bombenopfern gehörte. Ob sie denn eine Chance sähen, dass der Krieg beendet würde, jetzt, wo Sinwar, einer der Hamas-Anführer, tot sei. „Erst wenn die Geiseln zurück sind“, hieß es. Der Chronist bleibt betroffen ob der furchtbaren Situation, aus der die jungen Israelis kommen und in die sie wieder zurückmüssen. Da ist so ein Austausch zwischen jungen Menschen aus Israel und Deutschland mehr als ermutigend und sollte weitere Kreise ziehen. Das Gästebuch verzeichnete eine Fülle begeisterter Kommentare – auf Deutsch, Arabisch, Hebräisch und Englisch. Die Cohn-Scheune hatte einmal mehr ihren Zweck als kulturelles Begegnungszentrum erfüllt. MICHAEL SCHWEKENDIEK