Kindertagespflegestellen im Landkreis schlagen Alarm - Von Dennis Bartz

„Ein täglicher Spagat“

Kirsi Lindemann, Sprecherin der Regionalgruppe Rotenburg der Berufsvereinigung der Kindertagespflegepersonen e.V., fordert einheitliche Lösungen.
 ©Rotenburger Rundschau

Landkreis Rotenburg. Kindertagesstätten in Niedersachsen bieten bis zum 14. Februar eine Notbetreuung an, Schulen setzen den Präsenzunterricht aus. Tagespflegestellen sollen dagegen aufgrund der Kleinstgruppen von maximal fünf Jungen und Mädchen, die gleichzeitig betreut sind, weiterhin die Betreuung im üblichen Rahmen anbieten. Das hat der niedersächsische Kultusminister Grant Hendrik Tonne am Mittwoch mitgeteilt. Die Berufsvereinigung der Kindertagespflegepersonen schlägt deshalb Alarm. „Für viele Kindertagespflegepersonen bedeutet dies jeden Tag aufs neue ein Spagat zwischen Familie und Beruf, der kaum noch zu bewältigen ist und immer mehr Tagesmütter zum Aufgeben zwingt“, kritisiert Kirsi Lindemann, Sprecherin der Regionalgruppe Rotenburg.

Die Pandemie stelle die deutschlandweit 44.000 Kindertagespflegepersonen vor große Herausforderungen. Mehr als 6.000 Kindertagespflegepersonen in Niedersachsen betreuen demnach knapp 24.000 Kinder, mehr als zwei Drittel der Jungen und Mädchen sind unter drei Jahre alt. „Im Landkreis Rotenburg sind 75 Kindertagespflegepersonen tätig, die die Auswirkungen der Pandemie tagtäglich zu spüren bekommen“, so Lindemann weiter.

Eine Kindertagespflegeperson betreue in den eigenen vier Wänden bis zu fünf fremde Kinder zeitgleich und kann in der Regel geteilte Plätze anbieten. „Da können in der Woche schnell mal 20 verschiedene Kontaktpersonen und mehr zusammenkommen. Gleichzeitig zählen knapp die Hälfte der Kindertagespflegepersonen zur Risikogruppe oder haben Angehörige im eigenen Haushalt, die zur Risikogruppe gehören“, berichtet Lindemann.

Viele Kindertagespflegepersonen hätten zudem eigene Kinder, die im Homeschooling begleitet werden müssen, geben ihre Kleinkinder zur Kontaktreduzierung nicht in die Notbetreuung und haben Lebenspartner, die im Homeoffice Ruhe brauchen, während im Nebenraum fünf Kinder fröhlich kreischen, singen und lachen. „Entschließt sich eine Kindertagespflegeperson aktuell, die Betreuung einzuschränken oder eine Eingewöhnung aufgrund des engen Kontaktes zum neuen Kind und der Begleitperson in den ersten Wochen zu verschieben, bedeutet dies in der Regel finanzielle Einbußen. Die wenigsten von uns können in dieser Zeit aber auf Rücklagen zurückgreifen, da diese durch die geringe Vergütung selten gebildet werden können“, so Lindemann weiter.

Die Berufsvereinigung hat deshalb öffentliche Forderungen an die Politik gestellt: „Wir wollen keine weiteren Appelle, sondern einheitliche Regeln und Verordnungen für alle Betreuungsformen der Kindertagesbetreuung mit einer klaren Definition des Anspruches auf Betreuung, ein temporäres Betreuungsverbot für symptomatische Kinder, finanzielle Sicherheit während Quarantänezeiten, eine differenzierte Betrachtung von Krankheits- und anderen Ausfalltagen, regelmäßige kostenlose Corona-Tests, und das unabhängig von Symptomen für alle Kindertagespflegepersonen, zu deren Schutz und zum Schutz der betreuten Kinder. Außerdem fordern wir eine finanzielle Entlastung für die Beschaffung von Schutz- und Hygieneartikeln, deren Bedarf durch die Pandemie angestiegen ist“, zählt Lindemann auf und betont: „Wir sind selbstverständlich bereit, die Eltern zu entlasten, damit diese arbeiten können, und wollen gerne Betreuung für alle relevanten Gruppen anbieten. Wir möchten aber auch die Möglichkeit haben, uns, unsere Familien und die Tageskinder mit ihren Familien bestmöglich zu schützen. Dies geht nur, wenn alle aufeinander Rücksicht nehmen und respektvoll miteinander umgehen.“

Eine Tagespflegemutter aus dem Landkreis, die namentlich nicht genannt werden möchte, hat bereits Konsequenzen aus der Situation gezogen und Anfang Januar alle Verträge gekündigt. Vier Familien sind von diesem Schritt betroffen, bisher ist nur ein Kind kurzfristig in einer Krippe untergekommen. Sie erklärt ihren Schritt damit, dass die Tagespflegestellen am Montag, 11. Januar, wieder in den Regelbetrieb gehen sollten. „Das hat mich in der aktuellen Situation, in der es viele Einschränkungen gibt, wirklich geschockt. Denn meine Kollegin und ich haben nach dem ersten Lockdown, wie die anderen Tagesmütter auch, ungeschützt und im engen Kontakt mit Kindern aus fremden Familien unsere Gesundheit und die unserer Liebsten aufs Spiel gesetzt. Das will und kann ich bei dieser fortgeschrittenen Pandemielage nicht noch einmal.“ Bereits im Alter von 19 Jahren habe sie schon einmal einen Virus gehabt, der ihr fast das Leben gekostet hätte, „und durch mein Asthma weiß ich, wie es sich anfühlt, keine Luft zu bekommen. Ich bin einfach nicht mehr bereit, dieses Risiko auf mich zu nehmen.“

Eine weitere Tagespflegemutter aus dem Landkreis wird ihre Verträge erfüllen und möchte danach keine neuen Kinder aufnehmen: „Es gibt viele Gründe, die mich dazu bewogen haben. Das Schlimmste ist für mich die Tatsache, dass wir keine Rückendeckung als Kindertagespflegestellen bekommen. Meine drei Enkel dürfen mich nicht besuchen, ich darf hier aber drei fremde Kinder betreuen. Das ist für mich absolut daneben. Wir bekommen keine Unterstützung und haben keine Lobby, wir werden in die Entscheidungen gar nicht erst mit einbezogen.“

Ein weiterer Grund sei, dass viele Eltern ihrer Erfahrung nach immer fordernder werden: „Sie wollen immer mehr auf die pädagogischen Einrichtungen abwälzen und wundern sich, wenn nicht jeder Wunsch erfüllt werden kann. Es wird immer mehr von uns verlangt, dies deckt sich nicht mit der Vergütung, die wir bekommen. Mit drei Tageskindern liegt mein Verdienst an der Grenze des Mindestlohns, solange die Betreuung gleichzeitig stattfindet.“

Dazu gebe es viele unbezahlte Tätigkeiten wie Fortbildungen, die Pflicht seien, aber in die Freizeit fallen. „Die gesamten Anforderungen sind für mich als gelernte Krankenschwester und Bürofachkraft nicht mehr zu leisten. Nach meinem Empfinden benötigt man dafür eine pädagogische Ausbildung“, berichtet die Tagespflegmutter, die in intensivem Austausch mit den Kolleginnen und der Regionalgruppe der Berufsvereinigung ist. „Dort findet man stets ein offenes Ohr und hilfreiche Ratschläge.“

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