Sprache ist die Herausforderung beim Betrieb der Wiedau-Kita - VON ANDREAS SCHULTZ

Geschenk der Vielfalt

Im Flur der Übergangskita an der Wiedau kann es schon einmal laut werden u2013 das fröhliche Kindergekreische ist vielsprachig. Kein Wunder, mussten doch viele von ihnen aus anderen Ländern flüchten.
 ©Schultz

Rotenburg – Die Wände sind dünn. Im Büro von Karina Bell ist deutlich zu hören, wenn die Kleinen im Raum nebenan singen und spielen. „Man hat das Gefühl, mittendrin zu sein“, sagt die Leiterin der Kita an der Wiedau lächelnd, während sie an ihrem Schreibtisch in der aus Containern gebauten Übergangseinrichtung sitzt. Missen möchte sie die Geräuschkulisse nicht, genauso wenig die kulturelle Vielfalt in diesen vier Wänden. Denn von den 50 Kindern in den zwei Kindergartengruppen haben 40 Migrationshintergrund, überschlägt sie und sagt: „Was wir hier haben, ist ein Geschenk.“

Aus der kulturellen Vielfalt lasse sich viel mitnehmen, argumentiert die Chefin. Allerdings verhehlt sie auch nicht, dass die Umstände auch Herausforderungen für sie und das Team mit sich bringen. 50 kleine Besucher sind verteilt auf zwei Kindergartengruppen, zudem kommen zwölf täglich zur Krippengruppe. Fünf Familien sind aus der Ukraine geflüchtet und bringen sechs Kinder in die Einrichtung. Aber auch in anderen Ländern mussten Menschen ihre Häuser zurücklassen, landeten später in Rotenburg und bringen ihren Nachwuchs in die Einrichtung an der Wiedau. Entsprechend groß ist die Palette an Sprachen, die die kleinen und ihre Eltern mitbringen.

Aber: „Es funktioniert“, sagt Karina Bell überzeugt. Die Arbeit sei auch nicht so sehr anders als in vergleichbaren Kindertagesstätten, immerhin verfolge sie die gleichen Ziele. Die Eingewöhnung, der Tagesablauf mit Morgenkreis, Frühstück, offenen Angeboten, Frischluftgenuss, Mittagessen: Alles ist so strukturiert, wie es auch in den anderen beiden Kitas des Diakonissen-Mutterhauses, Lindenburg und Kunterbunt, laufen würde. Die Arbeit ist also lediglich anspruchsvoller für alle Beteiligten – Eltern, Mitarbeiter, Kinder.

Vor allem in Sachen Kommunikation. „Mit der Sprache ist es problematisch“, sagt Bell. Viele der Kinder sprechen eben kein Deutsch, wenn sie zur Einrichtung dazustoßen – genauso wenig ihre Eltern. Letztere hätten zum Teil gerade mit dem Sprachkurs angefangen und eigneten sich noch etwas Deutsch aus dem Fernsehen an, gibt Bell einen Einblick. So gestalte sich der Austausch oft unglaublich schwierig, schon bei ganz grundsätzlichen Angelegenheiten: Wie funktioniert die Anmeldung? Welche Dokumente sind auf welche Weise auszufüllen?

Neben der sprachlichen Hürde gibt es auch noch eine kleine kulturelle: Im russischen und ukrainischen Schulsystem ist es üblich, dass Kinder schon mit ersten Schreib-, Rechen- und Lesefähigkeiten aus der Kita in die Grundschule kommen. „Dort ist Kita eher leistungsorientiert“, erläutert Bell. Den Eltern aus der Ukraine müsse dann vermittelt werden, dass die Anforderungen in Deutschland andere sind – sich aber mit Blick auf die gesamte Schullaufbahn keine Versäumnisse einstellen. Nicht zuletzt müssten die Erzieher manchen Eltern auch mal deutlich machen, dass sie ihr Kind zu Beginn nicht einfach abliefern und sich aus dem Staub machen können, sondern dass Bleiben angesagt ist. Und dass jedes Kind ein anderes Zeitfenster zu überwinden hat, bis es sich auch ohne Elternteil in der Kita wohlfühlt. Gerade Kinder mit Fluchterfahrung brauchen da besondere Vorsicht: „Man weiß nie, was die schon gesehen haben und was man ihnen mit so einer Trennung vom Elternteil zumutet“, sagt Bell.

Hilfreich ist, dass einige der Mitarbeiter über erweiterte Sprachkenntnisse verfügen. Drei Kolleginnen beherrschen Russisch fließend, eine kann die Sprache immerhin verstehen, und auch für Bell ist das keine Fremdsprache. Das kommt den Kindern, die aus der Ukraine kommen, entgegen. Und: Eine Kollegin spricht Arabisch. „Auch das ist wirklich Gold wert“, sagt Bell. Ansonsten behelfen sich die Erzieherinnen mit der sogenannten Family-App, die dem Austausch der „Elise“-Kitas mit den jeweiligen Eltern dient. Dort eingespeiste Texte werden übersetzt. Darüber hinaus helfen gängige Übersetzer-Apps aus.

Bei den Kindern kommen Letztere allerdings bewusst nicht zum Einsatz. Ein vorgehaltenes Gerät schaffe Distanz in der Kommunikation. Sie bleibt teilweise Herausforderung – der sich die Erzieherinnen stellen: „Was die Kolleginnen hier machen, ist Sprachförderung“, sagt sie. Letztlich hätten die Lütten auch einiges nachzuholen, was in der kommunikationsarmen Corona-Zeit auf der Strecke geblieben ist.

Die Kinder untereinander kommen übrigens erstaunlich gut mit Sprachbarrieren klar: „Sie sind unglaublich kreativ im Umgang damit“, sagt die Leiterin. Dass die Lage nicht zulasten der Kleinen geht, hat das Team im Blick. „Wir versuchen alles so zu gestalten, dass wir das Gefühl haben, sie fühlen sich wohl.“

28.02.2021

Landpark Lauenbrück

12.02.2021

Winterlandschaft in Rotenburg

22.12.2020

Weihnachtsbilder

29.10.2020

Herbstfotos der Leser

Seitenanfang