Rotenburg. Klug und witzig – so wünschen sich viele Männer heute Frauen – im 19. Jahrhundert war das anders: Zum offiziellen „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ am Montag hatte die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Brigitte Borchers, zu einem amüsanten Biografie-Abend über Hedwig Dohm mit dem Titel „Mehr Stolz, ihr Frauen“ in das Kantor-Helmke-Haus eingeladen.
Die Biografinnen Nikola Müller und Isabel Rohn sowie Schauspieler Gerd Buurmann haben aus den Werken von Dohm gelesen, zitiert und Passagen szenisch dargestellt. 70 Interessierte – fast ausnahmslos Frauen – hatten die zahlreichen Stufen zum Auditorium unters Dach auf sich genommen, um Einblick in das Leben und in die Werke von „einer der klügsten und witzigsten Frauenrechtlerinnen der vergangenen 150 Jahre“ zu erhalten.
Hedwig Dohm lebte von 1831 bis 1919 in Berlin und galt zu Lebzeiten als prominente Schriftstellerin, Philosophin und Journalistin. Ihre Bildung hatte sie sich selbst angeeignet. Sie ist die Großmutter von Katja Mann, der Ehefrau Thomas Manns. „Wäre Nietzsche ein Friederiekchen gewesen, ja, dann wären seine Verse als Geschmiere abgetan worden. Sie wäre sicher die größte Dichterin Deutschlands gewesen. Aber ungedruckt“, donnerte Buurmann laut in den Saal und machte damit gleich klar, um was es ging. Nämlich um die Geschlechterfrage und die Rechte der Frauen. Und um die Autorin Hedwig Dohm, die sich seit 1870 stark für die Bürgerrechte für Frauen stritt. Buurmann ist groß, kahlköpfig, stolz, trägt einen schwarzen Anzug und knallrote Stöckelschuhe in Größe 45, wie er verriet. „Männer hatten längere Beine als Frauen“ – so eine der abwegigen Thesen im 19. Jahrhundert, „da passen doch Pumps viel besser zu Herren“– so seine eigene ironische Interpretation. Zwei geschlagene Stunden stolzierte er tapfer auf knapp zehn Zentimetern über die Bühne. Mit viel Charme und Ausdruck setze das Trio Auszüge aus den zahlreichen Schriften Hedwig Dohms in Szene. Die beiden Frauen mit Textmappen in der Hand nahmen deutlich, mit weit aufgerissenen Augen, schriller Stimme und wilden Handbewegungen die Thesen und Theorien diverser prominenter Herren zur damaligen Zeit über die Frauen geistreich aufs Korn. Buurmann fiel neben häufig eingestreuten Monologen die Aufgabe zu, eben diese Herren in Rollenspielen zu mimen. Im Laufe des Abends spielte er unter anderem Nietzsche und den Arzt Paul Julius Möbius. Um die abstrusen Thesen von Möbius aus dem Werk „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ auf der Bühne überzeugend zu vertreten, musste er zur Flasche greifen: „Das, was der über Frauen sagt, geht nur im Suff“, entschuldigte Buurmann und hob ein Bier an die Lippen. Verständlich, denn es folgten Sätze „zum frühen Verfall des Weibes. Nach der Heirat verliert sie Fähigkeiten, der Verfall beginnt nach einigen Wochenbetten. Sie versimpeln“, zitiert Buurmann Möbius. Das Publikum stöhnte leise. Schüttelte den Kopf. Seufzte. Hedwig Dohm sah das vor 150 Jahren schon genauso wie das Rotenburger Publikum. Heftig widersprach sie auch Nietzsches Ansichten in einem radikalen Text. „Sie hat sich richtig ins Zeug gelegt, um Nietzsche das Handwerk zu legen.“ Die Augen der beiden Frauen strahlten und sie freuten sich diebisch als Müller Dohm zitierte in Anspielung auf das Werk Nietzsches: „Es gibt so viele Morgenröten, die noch nicht gerötet haben, auch ihm nicht.“ Hedwig Dohm setzte sich schon vor 150 Jahren für die ökonomische und soziale Freistellung von Frauen und Männern ein und wirkt damit heute sehr modern. „Das radikale an ihr war“, fasst Nikola Müller zusammen; „dass sie alle Rechte gefordert hat und das Stimmrecht als Menschenrecht sah“. Müller, als gebürtige Bremerin in Rotenburg fast bei einem Heimatauftritt, ist Literaturwissenschaftlerin und hat sich in ihrer bisherigen Arbeit sehr eng mit dem Leben Hedwig Dohms auseinander gesetzt. „Bevor es das Internet gab, habe ich sehr viel Zeit in Archiven verbracht und aufwendig nach Artikeln gesucht“, erklärt sie. Die gebürtige Schweizerin Dr. Isabel Rohn ist Historikerin. Die beiden Frauen haben bisher fünf von insgesamt 16 geplanten Bänden der Edition Hedwig Dohm herausgegeben. Weitere Informationen unter www.hedwigdohm.de. Noch ein Hinweis: Am 21. April wird das Rotenburger Stadtkino den Film „Suffragette“ zeigen, ein Film zur Geschichte der Frauenemanzipation.