Der Scheeßeler Sebastian Dorsch erlebt in Laos

Paradies mit Schatten

Spuren eines Konfliktes, der bis heute in Laos seine Opfer fordert, gibt es überall im Land. Fotos: Sebastian Dorsch
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Scheeßel. Siebeneinhalb Kilometer ist die Kong-Lor-Höhle lang. Als Sebastian Dorsch sie mit dem Boot durchfahren hat, erreicht er ein winzigkleines Dorf. „Ich wollte mir gerade eine Cola kaufen, als ich zufällig zur Seite blickte, und im Schatten des Gebäudes einen jungen Mann sah, der mich mit offenem Mund anstarrte. Es schien als hätte er keine Lippen. Als ich ein zweites Mal hinsah, sah ich den verkrüppelten Stummel, wo eigentlich seine rechte Hand sein sollte. Ich konnte ihn nicht länger ansehen, geschweige denn ein Foto machen. Ich bezahlte die Cola und entfernte mich ein paar Meter. Für einen Moment drehte sich mein Magen um, und eine Mischung aus Traurigkeit und Wut stieg in mir auf.“

Es sind Augenblicke wie dieser, die sich im Gedächtnis des Scheeßelers einprägen. Vier Wochen lang reist er durch Laos, um sich abseits der üblichen Touristenstrecken die Folgen und Spuren eines Krieges anzusehen, der zwar schon vor vier Jahrzehnten endete, dessen Folgen das Land aber bis heute prägen.

Laos ist das einzige Binnenland in Südostasien, und eines der ärmsten Länder der Welt. Es hat etwa sieben Millionen Einwohner, seine Größe entspricht etwa der Großbritanniens. Es war die traurige Geschichte dieses Landes, die ihn dazu bringt, vier Wochen dort durch das Land zu reisen. Jeder kennt den Vietnamkrieg und die Verbrechen und Gräueltaten, die damals begangen wurden. Doch kaum jemand ist sich der Tatsache bewusst, dass sich dieser Krieg auch auf die Nachbarländer ausdehnte. Während des Konfliktes hatte die US Air Force zwei Millionen Tonnen Bomben über Laos abgeworfen, mehr als über Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg zusammen. Über 270 Millionen Streubomben setzte die US-Armee dabei ein. 30 Prozent der Projektile, gut 80 Millionen, explodierten nicht und blieben als gefährliche Altlast im Boden liegen. Hinzu kommen nicht explodierte Mörser- und Handgranaten, Minen, sowie Nachwirkungen durch den Einsatz des Entlaubungsmittels „Agent Orange“. Im Minibus auf dem Weg in die Stadt Phonsavan lernt er Nang Yeng, einen Laoten aus Amerika, kennen. Er war damals mit seinem Dorf geflohen, als er sechs Jahre alt war und einen Monat lang durch den Urwald Richtung Thailand irrte. Immer wieder mussten er und seine Begleiter den Übergriffen der Pathet Lao, die laotische Wiederstandsbewegung, ausweichen. Einer der Orte, wo Widerstandskämpfer und die schutzsuchende Bevölkerung aufeinander trafen, war eine Höhle 30 Kilometer nördlich von Phonsavan. Ganze Dörfer lebten über Jahre in solchen Höhlen, in der verwinkelten Dunkelheit spielte sich ihr ganzes Leben ab, einschließlich der Schule für die Kinder. Bis ein amerikanisches Kampfflugzeug am 24.November 1968 eine Rakete in die Höhle schoss. 374 Menschen, ein ganzes Dorf, kamen hier ums Leben. Die Bergung aller Leichen soll 24 Stunden gedauert haben. Ein einziges Mädchen überlebte – nur weil sie an dem Tag die Höhle verlassen hatte. Wahrscheinlich hatten die Amerikaner von irgendeinem Informanten erfahren, dass sich dort Leute versteckten. Aus purer Verzweiflung und Wut, den Krieg in Laos nicht erfolgreich führen zu können, sprachen sie den Generalverdacht aus, dass sich in jeder Höhle Feinde versteckten, wie Dorsch von Einheimischen erfuhr. Heute ist die Höhle weder beleuchtet noch gepflegt. Nur ein kleiner Schrein, eine Hinweistafel und eine Skulptur vor den Treppen erinnern an die schreckliche Tat. Dorsch klettert ein paar Meter tiefer in die Höhle hinein, soweit es möglich ist. „Es ist beklemmend, sich vorzustellen wie ein ganzes Dorf vor der Hölle draußen in einer Höhle Schutz suchte, und mit einmal durch eine Explosion sofort starben, verbrannten oder lebendig begraben wurden. Das war keine normale Kriegshandlung, es war ein Verbrechen“, sagt er. Aber er erfährt nicht nur etwas zur Geschichte des Landes, sondern auch zum Alltag, so wie in einem Dorf der Hmong. „Was ich an dem Landleben hier in Laos interessant finde, ist die Ursprünglichkeit. Den größten Luxus, den die Menschen hier haben, ist Strom. Das einzige fließende Wasser gibt es aus dem Dorfbrunnen, Fernsehen gibt es nicht und im ganzen Dorf laufen Hunde, Hühner, Enten, auch mal Rinder herum und Kinder begrüßen einem mit einem lauten ,Sabaidee‘“, beschreibt Dorsch seine Eindrücke. Auf der einen Seite bedrückend, auf der anderen ist er beeindruckt vom Pragmatismus der Laoten und der Tatsache, dass sie verrostete Bombenhülsen in das tägliche Leben einbinden: als Stelzen für ein kleines Holzhaus, oder als Pflanzkübel für Knoblauch. Sakhone, eine Reiseführerin, organisiert einen Ausflug zur CIA-Basis Long Cheng. Erst seit wenigen Jahren ist der Ort für den Tourismus geöffnet. Ihr Vater diente damals unter den Pathet Lao als Bürokraft, und hat noch Kontakte zur Armee, die für den Besuch die Erlaubnis erteilen muss. Drei Stunden fährt die Gruppe durch die eindrucksvolle Berglandschaft und durch kleine Hmong-Dörfer. Nach der Niederlage hatten die Amerikaner und ihre Verbündeten fluchtartig Long Cheng und andere Basen in Laos verlassen. Sie ließen die Hmong im Stich. In den Dörfern gab es keine arbeitsfähigen Männer mehr. Die Pathet Lao übernahmen die Macht, und jeder, der sich nicht zum Kommunismus umerziehen ließ, wurde weggesperrt, gefoltert oder als Verräter hingerichtet. Viele unschuldige Dorfbewohner verloren ihr Leben oder ihr Zuhause. Die gefangen genommenen Hmong-Kämpfer hatten folglich die Wahl: Umerziehung und Bekenntnis zum Kommunismus oder die Verurteilung als Verräter. Sakhones Vater wurde gefangen genommen, und er entschied sich für die Umerziehung. Einige der Hmong-Kämpfer flohen in die Berge und versteckten sich dort noch für viele Jahre. Teilweise kam es immer noch zu bewaffneten Zwischenfällen. Zuletzt versuchte die Regierung jedoch die versprengten Hmong aus den Bergen zu holen und sie in Dörfern und Städten anzusiedeln. Die Pathet Lao errichteten einen kommunistischen Staat und riefen die Sozialistische Volksrepublik Laos aus. Geblieben ist ein von Blindgängern verseuchtes Land. Jeden Monat gibt es Tote oder Schwerverletzte durch die Blindgänger, 40 Prozent der Opfer in den vergangenen Jahren waren Kinder. In Phonsavan trifft Dorsch auf Pepper, einen etwas älteren Jugoslawen, der für die MAG-Organisation arbeitete. Die MAG, Mines Adversitory Group, kümmert sich um das Finden und Entschärfen von Blindgängern aller Art, und ist in dutzenden Ländern auf der Welt aktiv. Neben der Entschärfung von Blindgängern leistet er in den betroffenen Gemeinden Aufklärungsarbeit mit gefundenen Blindgängern. Über eine Hotline informieren Dorfbewohner die Organisation, sobald wieder Blindgänger gefunden werden, damit die Räumteams ausrücken können. Besonders die Aufklärung erzielt Erfolge, und die Regierung will bis 2030 die Zahl der Unfälle auf Null zu reduzieren. Denn die grauenvolle Bedrohung durch die Blindgänger hält viele Gemeinden in Armut, da Felder und Wälder nicht für die Landwirtschaft genutzt werden können. „Manche Bauern sind dabei so sehr verzweifelt, dass sie die tödliche Gefahr trotzdem in Kauf nehmen, um sich und ihre Familie ernähren zu können“, erklärt der Reisende aus Scheeßel. Doch die Gräuel des Krieges sind nur das Eine. Dorsch ist fasziniert von der Unaufgeregtheit des Lebens in Laos, vor allem auf dem Lande. Auf der zweitägigen Bootsfahrt auf dem Mekong, von Ban Huayxay zur Stadt Luang Prabang, einem Weltkulturerbe der Unesco, fährt er an kleinen Dörfern vorbei, die zwischen Palmen und sanften Bergen am Mekong liegen. Die Stadt Luang Prabang selbst mit ihrer erhaltenen kolonialfranzösischen Architektur in der Innenstadt, direkt am Mekong gelegen, gilt als die schönste Stadt Südostasiens. Morgens genießt Dorsch am Mekong ein typisch französisches Baguette zum Frühstück, tagsüber fährt er zum Kung-Si-Wasserfall, und nach Sonnenuntergang flaniert er auf dem großen Nachtmarkt. Als besonders abenteuerlich erlebt er die Fahrten mit einem voll beladenen Minivan durch die Berge Laos‘. „Verkehrsregeln sind mehr eine Idee in diesem Land, und die Fahrer haben auch keine Probleme damit, mitten in den Bergen, ohne Leitplanken, 50 Meter vor einer uneinsehbaren Kurve einen Laster zu überholen“, erinnert sich Dorsch. „Die Fahren glichen somit mehr einer Achterbahnfahrt.“ Weiter nördlich, in den Bergen an einer Flussbiegung wandert er von der Stadt Nong Khiaw aus spontan zu Fuß in die Berge. Dort gerät er mit seinem Guide direkt in eine Festlichkeit, weil ein frisch verheiratetes Ehepaar ein Rind geschlachtet hat. „So saß ich am Ende beim Ehepaar und dessen Familie am Tisch, aß traditionell laotische Gerichte und verstand nicht ein Wort“, so Diorsch mit einem Lachen. Der Höhepunkt aber sei die Thakhek-Schleife in Zentrallaos gewesen, die zur riesigen Kong-Lor-Höhle führte. Vom walisischen Auswanderer Steven lernt er das Motorradfahren und durchquert auf zwei Rädern die unterschiedlichsten Landschaften, beobachtet fernab der großen Städte das typische Landleben der Laoten und lässt es auf sich wirken: Kinder, die abends von der Schule kamen und einem mit lautem „Sabaidee“ (Hallo) zuwinkten. „Oder auch mal eine Herde Rinder, die langsam und egoistisch einfach auf die Straße lief und zum Bremsen zwang. Dorfbewohner, die mit einfachen Mitteln auf den Feldern arbeiteten“, erinnert sich Dorsch. Das neue Jahr feierte er dann auf den sogenannten „4.000 Inseln“, ganz im Süden von Laos nahe der kambodschanischen Grenze. Dort erreicht der Mekong seine breiteste Stelle und stürzt die bekannten Mekongfälle hinab. Die Gegend hat stellenweise ein wenig von der Karibik, berichtet Dorsch: „Die ganze Gegend wirkt wie ein kleines Paradies.“ Nach fast vier Wochen geht es dann von der Stadt Pakse aus wieder nach Hause. Morgens, bevor das Tuk Tuk ihn zum Flughafen fährt, steht plötzlich ein alter Bettler vor ihm hält ihm einen kleinen weißen Plastikeimer hin, der an seinem Arm baumelt. Ihm fehlen beide Hände, und sprechen kann er nicht. „Bevor ich das Land verlies, führte mir dieser Laote noch einmal die schreckliche Geschichte des Landes nochmal vor Augen“, blickt Dorsch zurück. „Historische Informationen sind das eine, aber sich vorzustellen, was diesem Menschen passiert sein muss und welche Geschichte dahinter steckt, ist etwas ganz anderes. Das geht nicht so an einem vorüber.“

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