FRAGEN & ANTWORTEN Die Situation im Scheeßeler Jugendzentrum

Gesprächsbedarf in der Krise

An vier Nachmittagen pro Woche werden im Jugendzentrum Beratungen geleistet.
 ©Heyne

Scheeßel – Der Sozialarbeiter Fabian Golly aus Scheeßel berichtet über eine verunsicherte Jugend in der aktuellen Krise, Motivations- und Respektlosigkeit.

Wie hat sich die Situation nach Corona entwickelt?

Fabian Golly: „Nach einer Zeit, wo viele Angebote aufgrund der Pandemie nicht möglich waren und die dementsprechend eher von aufsuchender Arbeit geprägt war, sind wir an den vier Öffnungsnachmittagen ,back to normal‘. Angebote wie der Kochtag seien wieder angelaufen, Einzelprojekte und Workshops, besonders Basteln, seien gefragt. „Der befürchtete Schaden durch die Pandemie ist nicht so groß, wir hoffen auf eine ganz normale Sozialisierung.“

Wer besucht aktuell den Jugendtreff?

„Durch unsere zentrale Lage haben wir einiges an Laufkundschaft“, sagt Golly. Daneben habe sich eine Stammkundschaft von zehn bis zwölf Jugendlichen pro Öffnungstag entwickelt, oft mit wechselndem Anhang, sodass der Treff im Schnitt auf 20 bis 22 Besucher komme. Das Durchschnittsalter betrage 14 bis 16 Jahre, Jüngere mit einem Bezug zu anderen Gästen – etwa ältere Geschwister – würden geduldet, solange genügend Platz für die eigentliche Klientel sei. „Dank unserer engen Vernetzung mit der Schulsozialarbeiterin der Beekeschule, wissen wir um auffällige Jugendliche mit Bedarf ab der fünften Klasse, wissen, was in den Familien los ist und wo wir präventiv und beratend aktiv werden sollten“, erläutert Golly. Die erreiche der Jugendtreff noch einmal ganz anders, Beratungsgespräche erfolgten wie nebenbei im losen Austausch – beim Kochen oder Basteln.

Wie ist die Stimmung, wo liegt der aktuelle Bedarf?

„Neu ist der gestiegene akute Gesprächsbedarf durch die Krisensituation“, haben Golly und seine Kollegen festgestellt. Viele hätten Zukunftsangst, die Frage nach der Perspektive sei bei den Jugendlichen stärker in den Fokus gerückt, gerade in sozial schwächeren Kreisen. Die Befürchtung, im Krieg zu versinken, biete wenig Motivation für die zukünftige berufliche Ausrichtung. Dabei spielten gerade bei Jugendlichen ohne starken Bildungshintergrund oft auch die Informationen aus zweifelhaften Quellen wie Instagram oder Telegram eine Rolle. Der Sozialarbeiter: „Was uns Sorgen macht, ist neben der Verunsicherung und fehlenden Motivation auch die gesunkene Solidarität unter Jugendlichen. Hier versuchen wir die Gruppe zu stärken, dem Egoismus vorzubeugen.“

Gibt es noch andere aktuelle Herausforderungen?

Festzustellen sei eine Zunahme des Alkohol- und Drogenkonsums. Die 14-, 15-Jährigen gingen sehr offen damit um, beziehungsweise sie kommunizierten das offener, täten es aber verdeckter. „Sie kommen nicht mehr alkoholisiert oder berauscht und es passiert nicht mehr so viel auf dem Kirchvorplatz, aber das Thema: ,Was würdet ihr tun, wenn ich hier trinke?‘ ist verstärkt präsent. Die machen uns schon mal die Pfanne heiß, testen ihre Grenzen aus.“ Andererseits würde sich Golly Sorgen machen, wenn es nicht so wäre: Es sei gut, sie zu erreichen, denn was würden gerade die Schulverweigerer sonst den ganzen Tag machen, außer in den Parks, auf dem Kirchplatz oder bei der Grundschule abzuhängen? „Wichtig ist, dass wir nicht verurteilen, sondern systemisch schauen, wo wir die Person abholen können, ohne sie zu verlieren, sodass sie ihre eigene Wertigkeit in der Gesellschaft wieder erleben kann.“  hey

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