VON ULLA HEYNE

Unwissen über Erkrankung hält vor

Rainer Kruse (r.) und seine Kinder Lisa Wegmann und Jan Kruse bieten psychisch Erkrankten ein Zuhause.
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Steinfelder Wohngruppen begehen 40. Jahrestag im kleinen Kreis

Das Nötelhaus als denkmalgeschütztes Gebäude mit außergewöhnlicher Architektur im Ortskern ist vielen Scheeßelern bekannt. Einige mögen hier in den vergangenen Jahren schon mal ein Konzert der Kulturinitiative Kis, einen Trommelkurs oder Yogastunden besucht haben. Auch, dass hier eine Keramikwerkstatt für Menschen mit psychischen Erkrankungen beheimatet ist, wissen einige. Dass die Steinfelder Wohngruppen dieser Tage ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert haben und der Beekeort nach Steinfeld Heimat der zweiten dezentralen Wohngruppe war, und das seit knapp 40 Jahren, weiß wohl kaum jemand.

Und das ist auch so gewollt: An dem Wohnkomplex gegenüber dem Friedhof steht kein Schild. Es gilt, die Bewohner zu schützen. „Wohnen unter dem Radar“, das stimmt laut Begründer Rainer Kruse und seinen beiden Kindern Jan Kruse und Lisa Wegmann dann aber noch nicht so ganz. Denn: „Wir sind mit den entsprechenden Stellen bestens vernetzt, und auch die Nachbarn wissen natürlich Bescheid.“

Die Idee einer dezentralen Wohngruppe für Menschen mit psychischen Erkrankungen zunächst in Steinfeld, und das in der damaligen Gesundheitslandschaft, wo die Unterbringung bis dato ausschließlich in Landeskrankenhäusern erfolgte – fast revolutionär. Sein Ansatz, Menschen dezentral in kleineren Einrichtungen ein stabiles Umfeld, Halt und Tagesstruktur zu geben, sollte sich im Laufe der Jahre durchsetzen. Dazu gehöre eben auch ein gutes nachbarschaftliches Umfeld. „Die Nachbarn haben das immer mit getragen“, auch in Scheeßel, meint Kruse. Dass jemand verhaltensauffällig werde, passiere eh nur selten. Genauso wie Aggressionen, die mit der Diagnose Schizophrenie oft in Zusammenhang gebracht wurden. „Das ist eher die Ausnahme“, weiß Rainer Kruse.

Es hat sich viel geändert seit damals, nicht nur bei der Unterbringung und dem Umgang mit den nicht immer heilbaren Erkrankungen, sondern auch im Bewusstsein der Gesellschaft. Bei jüngeren Menschen sei die Stigmatisierung nicht mehr so ausgeprägt, „höchstens die Unwissenheit über Krankheitsbilder“, berichtet Lisa Wegmann, seit mehr als einem Jahrzehnt wieder an Bord. „Damals hieß es: Ein paar Jahre wegsperren in Lüneburg, und dann kommt der normal zurück“, erinnert sich Kruse mit einem leichten Kopfschütteln. Denn das „Wegsperren“ ist genau konträr zum Konzept, das den Menschen einen möglichst normalen Alltag ermöglichen soll.

Genauso falsch wie die Annahme, ein paar Jahre in der geschlossenen Psychiatrie würden es schon richten. Oft handele es sich um chronische Erkrankungen, nicht immer seien sie heilbar, „einige Betroffene müssen ihr Leben lang damit klarkommen, ebenso wie mit den Nebenwirkungen der Medikamente“. Ihnen diesen Alltag so lebenswert und selbstbestimmt wie möglich zu machen, ist das große Ziel. In vielen Fällen steht am Ende aber auch eine Eingliederung in die Gesellschaft, in den Arbeitsmarkt, in selbstbestimmtes Wohnen.

Auch nach 40 Jahren ist dies noch das oberste Ziel, für das auch Kruses Kinder Jan und Lisa als Betreiber der nächsten Generation eintreten. Die Rahmenbedingungen für die Arbeit mit den Bewohnern haben sich allerdings grundlegend geändert, heute ist die ambulante Betreuung gang und gäbe.

Das bedeutet für die Steinfelder Wohngruppen im Klartext: „Bei uns landen nur noch die schweren Fälle.“ Ausflüge wie in den Anfangstagen, zum Hochseeangeln oder Fußballturniere, seien mit der heutigen Klientel nicht mehr denkbar. Erschreckend: Die meisten, die hier ein neues Zuhause finden, kommen aus der Wohnungslosigkeit. „Früher dachte ich, das ist in den Großstädten so, aber doch nicht bei uns im Landkreis“, so Wegmann. Das Hauptproblem, auch für die Wiederausgliederung, liegt im mangelnden bezahlbaren Wohnraum.

„Viele unserer Betreuten haben durch die Erkrankung erst ihren Job verloren, dann ihre Wohnung, und stehen spätestens nach der Entlassung aus der Klinik vor dem Nichts“, schildert Wegmann eine typische Vita. Auch deshalb erwägen Kruse und seine beiden Kinder, das Dachgeschoss des Nötelhauses zu Wohnungen umzubauen, „das kann schon wegen des Denkmalschutzes aber ein langer Prozess werden, wenn es denn überhaupt klappt“, so Kruse.

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