Nach 29 Jahren in den Ruhestand
9 Jahre hat Ilse Carstens-Rillox als Lehrerin an der Grundschule Sittensen gearbeitet, davon zehn Jahre als Konrektorin und die letzten sechs Jahre als Schulleiterin. Nun werden sich die Türen der Schule hinter ihr schließen, denn die 65-Jährige geht in den Ruhestand. Kürzlich haben Lehrkräfte und Kinder ihrer scheidenden Schulleiterin einen bewegenden Abschied gestaltet. In Anlehnung an ihre Reiseleidenschaft ging es auf eine symbolische Weltreise. Jede Klasse hatte sich ein Land ausgesucht und dazu thematisch Darbietungen vorbereitet. Im Interview blickt Ilse Carstens-Rillox auf ihr berufliches Leben zurück.
Wenn Sie sich einen letzten Wunsch an der Schule erfüllen könnten, welcher wäre das? Dass die Schule weiterhin so aktiv dabei ist, sich das engagierte Kollegium weiter so für die Schüler und die Schule einsetzt und dass die Gemeinschaft bestehen bleibt. Ein weiterer Wunsch gilt dem Ganztag. Dass er mehr vom Land finanziert wird, dass es kleinere Klassen gibt und grundsätzlich mehr Personal, sowohl Lehrer als auch pädagogische Mitarbeiterstunden, um pädagogisch besser arbeiten zu können und um den Kindern mehr gerecht zu werden. Für Bildung ist leider immer zu wenig Geld übrig. Welche Begebenheiten sind besonders in Erinnerung geblieben? Da gibt es mehrere Highlights. Als wir den großen Schulhof bekommen haben, und vor allem der Neubau, der im letzten Jahr eingeweiht wurde. Endlich haben wir mehr Platz, und die Raumnot hat ein Ende. Lange habe ich dafür gekämpft. Schule hat sich geändert, dafür sind spezielle Förderungen notwendig und entsprechende Räumlichkeiten. Die zuvor im Keller genutzten Räume waren nicht mehr tragbar. Das hat die zuständige Politik dann auch verstanden. Inzwischen gibt es einen regelmäßigen, persönlichen Austausch mit Politik und Verwaltung und eine gute Zusammenarbeit. Sehr gerne erinnere ich mich auch an die Klassenfahrten mit den Kindern. Das hat mir immer großen Spaß gemacht, denn man lernt die Kinder noch einmal ganz anders kennen. Auf welche Errungenschaften Ihrer Schule sind Sie besonders stolz? Wir haben schon lange den Ganztag. Ich bin froh, dass wir das Thema frühzeitig angegangen sind. Das ist gut für alle Beteiligten. Außerdem haben wir eine gut funktionierende Mensa, die sehr gut angenommen wird. Gibt es auch Dinge, die Sie nicht vermissen werden? Das frühe Aufstehen und die mitunter sehr langen Schultage. Und ich kann nun endlich Urlaub außerhalb der Ferienzeit machen. Das wird mal eine neue Erfahrung sein. Was waren die größten Herausforderungen in Ihrer Dienstzeit? Viel Kraft hat sicher die Corona-Pandemie mit all’ ihren Einschränkungen gekostet, besonders auch für die Kinder. Herausfordernd sind auch die Aufgaben als Schulleitung mit der Verwaltung der Budgets und des Personals, ebenso die Personalführung. Es ist wichtig, immer ein Ohr am Kollegium zu haben. Dienstvorschriften müssen unter einen Hut gebracht werden. Da ich schon zehn Jahre als Konrektorin tätig war, fielen organisatorische Dinge wie die Erarbeitung von Stunden- und Vertretungsplänen leicht. Mit welchen Erwartungen sind Sie in die Position als Schulleiterin gegangen? Ich wollte es eigentlich gar nicht machen. Es war aber sonst niemand da. Das Amt hatte ich schon ein Jahr kommissarisch ausgeübt, also habe ich mich entschieden, mich der Herausforderung zu stellen. Jahrelang kommissarisch weiterzuarbeiten, wollte ich nicht. Damals gab’s noch die jahrgangsgemischte Eingangsstufe. Mit Hilfe meines Vorgängers Bernd Tippel haben wir entschieden, diese abzuschaffen. Die Umsetzung war schon herausfordernd. Wir hätten uns auch gewünscht, dass der Schulkindergarten zurückkommt, was leider nicht gelungen ist. Was sind die schwierigen Momente? Es gibt leider immer mehr eine Mangelverwaltung, weil es an Geld und Personal fehlt. Gleichzeitig steigen die Anforderungen, auch die Anspruchshaltung steigt. Familie hat sich total geändert, beide Elternteile sind berufstätig und daher auf eine gute Betreuung angewiesen. Es ist auch für das Kollegium herausfordernd, alle Ansprüche unter einen Hut zu bringen. Es hat sich viel bewegt in der Schullandschaft. Nicht immer zum Guten, weil einfach die Ressourcen nicht da sind. Wünschenswert wäre eine Doppelbesetzung in der Klassenleitung, dann kann man eine Klassenstärke von 26 Kindern auch gut bewältigen. Das Vorhandensein von Fundamenten wie Basiswissen und -fertigkeiten hat sich geändert. Unser Leitbild besagt, dass wir die Kinder da abholen, wo sie stehen. Wir müssen jedes Jahr neu gucken, wo die Kinder stehen und uns darauf ausrichten. Die Heterogenität der Kinder ist schon sehr breit in der Grundschule. Das macht unsere Arbeit aber auch schön und interessant. Mein persönliches Leitbild lautet: Wir sind eine bunte Schule, die Heterogenität lebt, was aber auch nur mit einem engagierten Kollegium funktioniert. Dann kann man diesem Anspruch gerecht werden. Wie haben Sie Ihre eigene Schulzeit erlebt? Als ich zur Schule gegangen bin, war der Lehrer eine Autoritäts- und Respektperson. Man hat keine Beziehung aufgebaut, er war nur dazu da, Wissen zu vermitteln. Das ist heute anders, vor allem in der Grundschule. Man ist nah dran am Kind, das ein Vertrauensverhältnis aufbaut. Auch zu mir als Schulleitung, sogar bei den Kindern, mit denen ich keinen Unterricht habe. Sie suchen den Kontakt und den Austausch, erzählen viel. Ich liebe das. Ich habe es immer sehr genossen, in den Unterricht zu gehen. Das ist Basisarbeit und der eigentliche Beruf. Was wollten Sie definitiv anders machen nach den Erfahrungen aus Ihrer Schulzeit? Ich wollte Wissen anders vermitteln, nicht von oben herab, sondern gemeinsam mit den Kindern Lösungswege finden. Und eine Beziehung zu ihnen aufbauen, die von Vertrauen geprägt ist. Ein entscheidender Punkt an unserer Schule ist denn auch der achtsame und respektvolle Umgang miteinander. Wie haben sich die Schüler in den letzten Jahrzehnten verändert? Die Anstrengungsbereitschaft ist weniger geworden, die Kommunikation durch den Einfluss der digitalen Medien ebenfalls. Man redet nicht mehr viel miteinander, auch in den Familien. Es wird den Kindern nicht mehr viel zugetraut, sie werden nicht stark gemacht, obwohl das ganz wichtig ist für die Zukunft. Dazu gehört auch ein gutes Fundament im Elternhaus, den Kindern etwas zuzutrauen. Das ist auch ein Motto unserer Schule: Man gebe den Kindern Flügel. Dazu müssen sie aber erst mal eine Basis haben, um fliegen zu können. Schule muss viel mehr Erziehungsarbeit leisten, weil die Kinder durch den Ganztag die meiste Zeit des Tages in der Schule sind. Gab es in Ihrer Zeit als Schulleitung einen Moment, wo Sie gedacht haben, „ich schmeiße hin“? Ganz klar nein. Würden Sie sich im Rückblick erneut für den Beruf der Lehrerin entscheiden? Ja, weil ich glaube, es gibt keinen Beruf, der so vielseitig und abwechslungsreich ist. Es ist kein Tag wie der andere. Die Herausforderungen sind sicher größer geworden, aber ich wollte schon als Kind Lehrerin werden, bin es geworden und glücklich damit. Was haben Sie in Ihren Jahren als Lehrerin fürs Leben gelernt? Zu organisieren, Umgang mit vielen Menschen, Herausforderungen annehmen und bewältigen, das Leben gelernt. Wie ist der Stand der Digitalisierung an der Grundschule? Gut, in den Sommerferien sollen die ganzen digitalen Boards eingebaut werden. Tablets für die Kinder sind ebenfalls angekommen und müssen nur noch eingerichtet werden. Es läuft noch nicht alles perfekt, aber wir sind auf einem guten Weg. Was wünschen Sie sich für die Sittenser Grundschule in Zukunft? Immer genügend Lehrer, viele pädagogische Mitarbeiter, damit mehr Doppelbesetzungen ermöglicht werden können. Ich wünsche mir eine Schule, die immer offen ist und dass die Samtgemeinde sie weiterhin gut im Blick hat. Ist die Nachfolge bereits geregelt? Ja, am 1. August übernimmt Kirsten Pierstorff die Leitung. Sie wohnt in Sittensen, ihre Kinder sind aus der Grundschule heraus. In Ahlerstedt hat sie eine Grundschule kommissarisch geleitet. Ich freue mich ganz besonders, dass es eine Nachfolge gibt. Es hätte mich traurig gemacht, wenn niemand dagewesen wäre, in dessen Hände ich die Leitung übergeben kann. Was planen Sie für die erste Zeit im Ruhestand? Reisen auf jeden Fall. Das ist mein Hobby. Ein großes Ziel ist zum Beispiel noch Namibia. Radfahren, lesen, Gartenarbeit mag ich ebenfalls gerne. Anfang Juli steht eine Reise zu unserer niederländischen Partnerschule an, worauf ich mich sehr freue. Ich bin auch Vorsitzende des DRK-Ortsvereins Selsingen, außerdem habe ich mit Kollegen ein Theater-Abo in Hamburg. Ich werde weiter mit dabei sein, sodass der Kontakt bestehen bleibt. Ich freue mich darauf, Zeit für mich zu haben und mich einfach mal treiben zu lassen. Schule, Kollegen und die Kinder werden mir dennoch fehlen, vor allem die Gespräche im Lehrerzimmer.