Hellwege (wa). „Das mache ich nicht mehr lange mit“, so Uli Beckerhoff in seiner humorvollen, lakonischen Art, die gespielten Stücke zu kommentieren. „Mein Arzt hat mir davon abgeraten“, so der 70-jährige Bandleader nach einem neuen Musikstück, das im Heimat- und Kulturhaus Hellwege zum ersten Mal vor Publikum zu hören war.
Das Werk begann mit einem Zirkuswirbel vom Schlagzeug und forderte von Beckerhoff einiges ab, als er das Quintett mit kräftigen und extremen Trompetenstößen zu extrovertierten Musikeinlagen aufforderte. Das Publikum ging mit und belohnte die experimentellen Klänge mit starkem Applaus.
Dieses Jazzstück war allerdings nicht das einzige Highlight des „Hochsommerkonzerts“, das Edwin Bohlmann zusammen mit der Kulturinitiative Sottrum und vielen freiwilligen Helfern zur Sommersonnenwende organisiert hatte. Nach zwei Jahren konnte Bohlmann wieder Uli Beckerhoff zu seinem dritten Konzertauftritt in Hellwege gewinnen. „Darüber bin ich besonders glücklich“, so der Hellweger Musikorganisator in seiner Ankündigungsrede. Denn Beckerhoff ist eine feste Größe in der deutschen Jazzlandschaft. Nicht umsonst hat er sein früheres Quartett um einen Musiker erweitert und kann nun als Quintett durch die Säle ziehen. Die von Julian Fischer gespielte Jazzgitarre verleiht der Musik des Quintetts eine zusätzliche Dimension und mit Sphärenklängen lösen sich manchmal die Grenzen zwischen Jazz und Rock auf. Es wird eine Hommage an Jimi Hendrix möglich, wie im dritten Musikstück mit dem Namen „Heros“. Dort lässt Beckerhoff mit seinem Flügelhorn einen „metallenen Vogel“ durch die Luft ziehen. Wilde Gitarrenklänge werden vom eruptiven Schlagzeug begleitet. Das Piano setzt Akzente und der Bass erzeugt eine fragile Sicherheit in der Tiefe. Aber nicht nur fordernde Jazzmusik brachte das Quintett zum Besten, sondern auch Musik mit humoristischer Grundstimmung, wie der „Tango Tragico“, der, so Beckerhoff, eine Situation in Buenos Aires beschreibt: „Alte Tangotänzer sitzen in einem Club und starren mit Begierde auf die jungen Tangotänzerinnen...“ – der gestrichene Bass erhält sein Echo von der Gitarre und wird von einer jammervollen Trompete ergänzt. Zögernde Tanzschritte der Instrumente und ein zickiges Klavier beenden das Musikstück, „das selbst die Bayern lustig fanden“, wie der Bandleader, mit einem kleinen Seitenhieb auf die aktuelle politische Situation, verschmitzt dem lachenden Publikum erzählte. Nach der Pause begann das Quintett mit einem eher ruhigen Stück, in dem jeder der Musiker zu seinem Recht auf ein Solo kam. So wie in den meisten Stücken trat Beckerhoff an die Seite und ließ den jungen Musikern seiner Band genügend Raum, um ihre Talente und Ambitionen ausleben zu können. Gleichberechtigung ist eine Devise der Band und die konstruktiven Spannungen zwischen Jung und Alt prägendes Element dieser Musikgruppe. Und so kann verhaltene Nachdenklichkeit und ein Fischessen am Meer genauso durch diese Musik visualisiert werden, wie auch Melancholie und Erinnerung an die Kindheit, die in einem rund 30 bis 40 Jahre alten Jazzstück von Beckerhoff dargeboten wird. Die Sicherheit im Sound, die eine Fünf-Personen-Band bietet, macht es möglich, dass sich jeder in der Truppe die Freiheit, die der Jazz bietet, nehmen kann und zu einer zeitweiligen Entwicklung der eigenen Musik werden lässt. Die Gegensätze zwischen Einzelperson und Gemeinschaft werden in diesem Musikbereich miteinander versöhnt und bringen es zu gestalterischer Klarheit, die bei jedem Auftritt neu erarbeitet werden muss. Und so konnte dann mit „Prana“, dem letzten Stück des Konzerts, auch jeder zeigen, was er kann – und es können alle was. Besonders das Schlagzeugsolo von Karl Degenhardt, der den Stammschlagzeuger Niklas Walter vertrat, ließ das Publikum staunen. Das Keyboard, von Richard Brenner gespielt, ging die Treppenstufen der Musik virtuos herauf und herunter, hätte aber mehr Dominanz in der Abmischung gut vertragen können. Der sensible Bass wurde von Moritz Götzen mal gestrichen, mal gezupft oder mal geschlagen. Leicht und locker, mit untergründigen Zwischentönen, bereitete der Bass den anderen Musikern das sichere Bett, das sie brauchten, um in andere Sphären vorzudringen. Der Neuzugang Fischer zeigte immer wieder, dass seine Fingerfertigkeit auf der Jazzgitarre nicht nur die Technik sondern auch das Gefühl dieses Musikgenres vermittelt. Und Uli Beckerhoff am Horn und an der Trompete verlässt sich nicht nur auf Zufall und Kreativität, sondern er übernimmt die Führung als Erster unter Gleichen und lässt die Jazz-Lokomotive voranziehen. In der Zugabe boten die Musiker das Stück „Das helle Hören“ von Henning Sieverts und mit diesem melodiebetonten Werk entließen sie die Besucher in die Mitsommernacht des Hellweger „Hochsommerkonzerts“.