Per Drohne: Tierfreunde bewahren Kitze vor dem Mähtod - Von Bettina Diercks

Rettung im Morgengrauen

Jeder Fund lässt die Herzen der Helfer etwas höher schlagen: Kitze vor dem Mähtod bewahren, darum geht es ihnen. ©Bettina Diercks

Sottrum. Eiskristalle tanzen wie Feenstaub um meine Beine. Es ist Mai, fünf Uhr morgens und ich wandele über eine Wiese, die in frostigem Weiß und nicht in sattem Grün vor mir liegt. Die Sonne kündigt ihren Aufgang an, färbt Himmel und Nebel in zartem Rot. Zaudern, Zögern, Zweifel haben trotz Uhrzeit und eisiger Temperatur keine Chance. Es geht um so viel, tut einfach gut und ist wunderschön: „Kitzrettung“ lautet die Mission – mit eiskalten Füßen.

Kitzrettung Hegering Sottrum
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Kitzrettung Hegering Sottrum
Kitzrettung Hegering Sottrum ©Rotenburger Rundschau

Für die Suche mit einer Wärmebildkamera allerdings ideale Voraussetzung. Sie hängt unter einem Copter, einem Yuneec H520, der in diesem Jahr erstmalig im Hegering Sottrum zum Einsatz kommt, ermöglicht durch eine Spende der Stadtwerke Rotenburg. Während das Fußvolk sich auf der Wiese verteilt, um schnell an einem eventuellen Fundort zu sein, startet hinter dem Trupp sirrend und bunt blinkend der Copter. Er fliegt autonom. Damit das klappt, hat einen Tag zuvor einer der Piloten die „Missionen“ mit einem speziellen Programm am Computer geplant. Als Grundlage dazu dienen die Koordinaten der zu mähenden Flächen.

Langsam wird es heller, doch die Temperaturen bleiben eisig. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine so kalte Such- und damit Mahdsaison erlebt zu haben. Dabei ging es bei der herkömmlichen Methode, zu Fuß die Kitze im hohen Gras zu finden, ebenfalls um vier Uhr raus – und nach getaner Arbeit oftmals pitschnass von der Suche direkt zum Job.

Der Copter stoppt, der Pilot übernimmt die Kontrolle und fliegt ihn händisch zurück an einen auffälligen Punkt. Gebannt starrt der Suchtrupp auf das Flugobjekt. Das restliche Bodenpersonal, das sich vor Ort eingerichtet hat, konzentriert sich auf seine Bildschirme an der Ausgangsposition. Vorsichtshalber stapfe ich durch das hüfthohe, mit Eis bedeckte Gras in die Richtung des Copters. Aber: „Fehlanzeige“ kommt über Funk.

Die Sonne geht auf und verwandelt die Natur in eine Zauberwelt. Die ersten Strahlen kitzeln die Pusteblumen, deren Eis und Tau in den Schirmchen das Licht reflektieren.

Der rasante Aufstieg gen Himmel und Abflug des Copters kündigt dagegen das Ende der Mission an. Oder einen Akkuwechsel: Die Kälte lutscht die Batterien geradezu aus. Über Funk kommt die Ansage, dass wir durch sind. Auf geht’s zur nächsten Wiese. Die Autos werden wieder eingeräumt, die Fahrt geht ein Stück weiter. Der Pilot packt einen Topfkuchen neben den Zusatzbildschirm, der auf einem Tisch steht. Der Copter wird zwar in den meisten Fällen autonom geflogen, dennoch muss sich der Pilot auf Fluggerät und Display gleichzeitig konzentrieren während sich eine Art Co-Pilot an einem zweiten Bildschirm ausschließlich auf die Anzeige konzentriert. Wieder verteilen sich drei Freiwillige auf der Wiese.

Diesmal dauert es nicht lange, bis auf dem Monitor eindeutig ein Tier als Wärmequelle auszumachen ist: Das Kitz sitzt fast unmittelbar vor einem der Helfer im hohen Gras. Ich mache mich mit einem Wäschekorb auf den Weg, ziehe meine Handschuhe an, die immer im Freien lagern, und erfreue mich am Anblick des kleinen Wesens. Ich rupfe hohes Gras ab, schiebe es mit meinen Händen unter den winzigen Körper. Ein Leichtgewicht von gerade mal einem Kilogramm, dessen Herzschlag ich durch das Gras in meiner rechten Hand spüre. Schon vorher hatte ich einen sicheren Ort auf der Wiese ausgemacht: Ein alter Brunnen, an dem noch in Fragmenten die alte Holzumrandung vorhanden ist. Dort angekommen, bette ich das regungslose Kitz in den hohen Bewuchs und stelle den Wäschekorb über das wertvolle und wunderschöne Lebewesen. Vier Heringe sorgen dafür, dass weder das Kitz noch ein anderes Tier den Behälter umstoßen kann. Sicherheitshalber verblendet das Helferteam gemeinsam den Korb mit hohem Gras.

Während wir dort knien, fliegt der Copter weiter seine Mission, wird auf dieser Fläche aber nicht mehr fündig. In der Zwischenzeit ist der Landwirt eingetroffen. Mit ihm erfolgt die Absprache, doch bitte diese Fläche als Erstes zu mähen, damit das Kitz nicht lange in seiner unnatürlichen Unterkunft sitzen muss. Außerdem wird ihm gezeigt, wo das Jungtier untergebracht ist, damit nicht zu nah an den Korb gefahren wird; auch, wenn in diesem Fall diese Gefahr nicht gegeben ist.

Das „Kitzrettungsteam“ des Hegerings Sottrum packt derweil ein. Der heutige Einsatztag ist für sie beendet. Für mich noch nicht, da das kleine Wesen später wieder freigelassen werden muss.

Tatsächlich klappt es mit der Neuorganisation der Flächenreihenfolge, der Fahrer ist allerdings später dran als geplant, sodass ich unverrichteter Dinge wieder fahre. Mittlerweile ist Mittag. Unruhig macht mich das nicht. Aus Erfahrung weiß ich, dass dem Kleinen nicht der Hungertod droht. Die Ricke kommt gerade in der Anfangszeit, solange das Kitz noch nicht sehr mobil ist, vielleicht zwei, drei mal am Tag zu ihrem Nachwuchs, um es zu säugen und keinen Feind anzulocken. Einzig, was ich nicht weiß: Wann hat das Kitz zuletzt getrunken?

Endlich ist es soweit: Der Fahrer ist weg, ich entferne den Korb und decke das Kitz mit hohem Gras ein. Weder die „Luftwaffe“, wie Rabenkrähe, Milan und Bussard, noch Fuchs oder Wildschwein, sollen das Kleine entdecken. Eine Wildkamera soll Aufschluss darüber geben, ob und wann Ricke und Kitz wieder zusammen finden. Und das ist der schönste Moment, der Lohn der Arbeit: das Wiedersehen, der kurze Moment des Säugens und dann der Weg in Freiheit und Sicherheit – zumindest vor dem Mähwerk.