Hassendorf. Pro Freileitung lautete die Entscheidung des Hassendorfer Gemeinderats noch vor rund einem Jahr – so die grobe Zusammenfassung. Davon sind die Ratsmitglieder inzwischen abgerückt: Während ihrer jüngsten Sitzung zogen sie die Stellungnahme zum Ersatzneubau Stade-Landesbergen einstimmig zurück.
Zeugen dafür gab es reichlich: Als die Lokalpolitiker über den entsprechenden Antrag von Petra Guderian und Hannelore Mann-Sander (beide SPD) entschieden, waren im großen Saal des Dorfgemeinschaftshauses alle Sitzplätze vergeben. Viele folgten dem Geschehen auch stehend. Zwar waren offensichtlich nicht alle 560 Unterzeichner der Unterschriftenliste aus dem Hause der Bürgerbewegung „Hassendorf unter Strom“ anwesend, Hans-Uwe Franke und die anderen Köpfe der Initiative hielten mit dem großen Ansturm dennoch ihr Versprechen (die Rundschau berichtete).
Der Aussprache um den Tagesordnungspunkt, für den so viele Bürger gekommen waren, gingen noch einige Worte von Bürgermeister Klaus Dreyer (SPD) voraus: In 25 Jahren Amtszeit habe er noch keine solche Anzahl interessierter Bürger bei einer Ratssitzung erlebt. Eine weitere Premiere dürfte gewesen sein, dass der Ratsvorsitzende die Spielregeln für die Sitzung klärt: indem er Teile der Geschäftsordnung vorliest, die Applaus und Unmutsbezeugungen untersagen. Eine ruhige und sachliche Auseinandersetzung wünschte sich der Bürgermeister und – abgesehen von wenigen Ausnahmen – bekam er sie auch. Die Gelegenheiten für Zwischenrufe lassen sich an einer Hand abzählen: Sie fielen, als Dreyer Mitgliedern der Bürgerbewegung vorwarf, vor drei Jahren nicht für einen Platz im Rat kandidiert zu haben. Ebenso als Hermann Rugen (CDU) im Namen von Grundstückseigentümern sprach, die von der Erdkabelverlegung betroffen wären: Er erklärte, niemand habe sich in den vergangenen 70 Jahren an den bereits bestehenden Kabelmasten gestört. Sein auf den Erdkabelbau bezogener Satz „Ich will nicht wissen, was in Hassendorf los ist, wenn die Störche weg sind“, zog Bemerkungen aus dem Publikum nach sich. „Wir haben damals zu schnell geschossen“ Es war an Guderian zu erklären, warum die zurückliegende Entscheidung des Rates nun noch einmal auf dem Tisch lag: „Aufgrund anhaltender Diskussionen sind wir überzeugt, dass der damalige Beschluss nicht länger Bestand haben soll“, begründete sie mit Blick auf das aufgeflammte Interesse an dem Bauvorhaben. Zudem seien in der Zwischenzeit verschiedene Aspekte von Erdverkabelung und Freileitung bekannt geworden, „deren Berücksichtigung die Aussagen des Beschlusses nicht mehr gänzlich zwingend erscheinen lassen“, heißt es in dem Antragsschreiben der SPD-Politikerinnen. So sei die Unterquerung der Bahnlinie und des Solarfeldes möglich, auch das Zusammenwachsen des Ortsteils Bahnhof mit dem übrigen Gemeindeteil müsse nicht durch eine Erdverkabelung gestört werden. „Wir haben damals zu schnell geschossen“, gab Mann-Sander zu Protokoll. Auch Grünen-Ratsherrin Helga Busch sah in neuen Erkenntnissen gute Gründe für eine Neubewertung. Dreyer machte klar, dass er den Antrag seiner Parteikolleginnen unterstützt. Gleichzeitig stellte er fest, dass Erdverkabelung derzeit noch Gegenstand des Prüfauftrags sei, den das Amt für regionale Landesentwicklung in Lüneburg aufgegeben hat: „Eine Variante Erdverkabelung gibt es bisher nicht.“ Er machte zudem darauf aufmerksam, dass der Rat in der zurückliegenden Stellungnahme die Entwicklung begrüßte, die Freileitungen über und an den Häusern im Bahnhofsbereich herauszuverlegen. Erdverkabelung würde die Bauphase und damit die Wartezeit dortiger Anwohner gegenüber einer Freileitung mehr als verdoppeln, zudem gingen 20 Hektar land- und forstwirtschaftlicher Nutzfläche verloren. Nicht zuletzt würde lang anhaltender Einsatz von Baufahrzeugen notwendig, Waldrodungen und Absenkung des Grundwasserpegels gehörten ebenso zu den Konsequenzen. Der Bürgermeister wehrte sich gegen den Vorwurf der Bewegung, der Rat hätte sich einseitig festgelegt – im Gegenzug warf er der Initiative vor, sie verfolge einen einseitigen Beschluss, obwohl keiner die Ergebnisse des laufenden Prüfauftrags kenne. Prüfung abwarten Dem Antrag der SPD-Ratsfrauen stimmten alle zu. Genauso fiel das Votum zu dem zweiteiligen Zusatzantrag von Parteikollege Hans-Joachim Hartmann aus, der einerseits vor einer neuen Stellungnahme eine im Bau befindliche Erdverkabelung mit dem Rat und den Sprechern der Bürgerbewegung besuchen wollte. Andererseits warb er dafür, die Prüfung hinsichtlich einer ökologischen und wirtschaftlichen Variante der Erdverkabelung abzuwarten, bevor der Rat erneut diskutiert. Nach dem Beschluss ergriff Rugen für genannte Grundstückseigentümer das Wort. Er zählte Argumente gegen eine Erdkabel-Variante auf: Wegfall von Ackerland und Waldfläche, langfristig spürbare Auswirkungen auf Wald und Wümmegebiet, Verlust von Brutplätzen für Störche und andere Vogelarten, Ertragseinbußen auf der Fläche über dem Kabel und mehr. Am Ende nickten viele Mann-Sander zu, die das Dilemma des Ersatzneubaus für etliche Anwesende auf den Punkt brachte: „Die Wahl zwischen Erdverkabelung und Trasse ist wie die zwischen Pest und Cholera.“ Schaden würden beide Optionen.