Sottrum. Oft sind sie nicht viel größer als ein Laib Brot und von Gräsern verdeckt. „Die Kitze sieht man so nicht. Wenn man nach ihnen sucht, kann es passieren, dass man fast drauftritt“, verdeutlicht Friedel Lossau. Der Leiter des Hegerings Sottrum weiß um die Schwierigkeiten, die mit dem Absuchen von Feldern kurz vor der Mahd einhergehen. Mit dem ferngesteuerten Flugapparat soll das in Zukunft leichter gehen.
Dass große Mähmaschinen junge Tiere schwer bis lebensgefährlich verletzen, ist für viele ein Horrorszenario. Dennoch kommt es trotz verschiedener Vorsichtsmaßnahmen immer wieder zu blutigen Unfällen – auch im Landkreis Rotenburg, weiß Lossau. Das hängt damit zusammen, dass traditionelle Methoden nicht immer den gewünschten Erfolg bringen. Die Suche mit Hund ist schwierig, da die neugeborenen Rehe keine Witterung abgeben. Das menschliche Auge ist aus genannten Gründen schnell überfordert. Der Hegering Sottrum suchte daher nach einer anderen Methode und hat dazu das Netzwerk Kitzrettung ins Leben gerufen.
Die Idee: Mithilfe einer Drohne und einer daran befestigten Infrarotkamera lassen sich die Hitzesignaturen der versteckten Jungtiere aus der Luft ausfindig machen. Die Herausforderung: Es braucht Menschen, die das Gerät bedienen. Zum Glück für den Hegering stellte sich heraus, dass es viele Menschen mit einem Herz für Tiere gibt. Die Rundschau veröffentlichte eine kurze Meldung, die einen Suchaufruf nach Drohnenpiloten enthielt. Die Rückmeldung war groß. „Ich hätte nicht mit so einer Resonanz gerechnet“, freut sich Lossau. 18 Freiwillige hatten sich gemeldet, einige schon mit Erfahrung im Umgang mit den fliegenden Geräten. „Die Leute sind von der Sache begeistert“, so der Hegeringvorsitzende. Der Wille zu helfen, treibt auch Menschen außerhalb des Vereins an: Drei Jäger melden sich, der Rest der Freiwilligen hat kaum bis keine Berührungspunkte mit der Jagd. Erste Schulungen und Info-Veranstaltungen hat es bereits gegeben, ein Teil der angehenden Piloten ist inzwischen mit einem entsprechenden Drohnenführerschein ausgestattet, erklärt Hegering-Pressesprecher Malte Friedrichsen. Und selbst wenn nicht alle gänzlich unbeleckt in den Technikfragen waren, haben erste Praxisstunden Eindruck gemacht. Das zeigte sich bei der Übung auf dem Modellflugplatz zwischen Bartelsdorf und Westervesede am vergangenen Wochenende. Die Begeisterung spiegelt sich in der Erzählung des Hegeringvorsitzenden wider, der die Drohne gern als „Wunderwerk“ bezeichnet. Die Mitglieder des Teams sagen lieber „Bambi“ – so lautet die interne Bezeichnung für den elektronischen Rehretter. Lossau rollt bei der Namensnennung mit den Augen, schmunzelt aber dabei. Seine Meinung zu Drohnen hat die Taufe nicht geändert: „Die Dinger sind richtig geil.“ Technik, die begeistert. Das hängt mit der Kombination aus Effektivität und einfacher Handhabung zusammen. An der Bedieneinheit wählt der Pilot in einer Kartenansicht einen Bereich aus, den das Gerät abfliegen soll. Die Route, in der die Drohne zum Beispiel eine Wiese absucht, lässt sich einstellen. Sobald der Nutzer das programmiert hat, macht sich der Flugroboter auf Knopfdruck auf den Weg – der Rest läuft automatisch. Nun hängt der Erfolg vom Nutzer ab: Er prüft über das Display das Bild der Wärmekamera. Taucht ein roter Punkt auf, ist klar: Dort liegt etwas Warmes, vielleicht ein Kitz. Der rote Punkt, der sich den Teilnehmern des Workshops auf dem Modellflugplatz zeigte, war zwar warm, allerdings alles andere als lebendig: Als Übungsobjekt diente eine Wärmflasche. Ab voraussichtlich Ende April geht es mit den ersten Einsätzen los. „Eine Woche, vielleicht zehn Tage, dauert die heiße Phase“, weiß Lohnunternehmer Heiko Wehrendt. Dann kommt es auf die Kommunikation zwischen Landwirten und Netzwerk an. In der Regel werden die Drohnenpiloten einen Tag vor der jeweiligen Mahd Bescheid bekommen, wo ein Einsatz geflogen werden kann. Ein Team von drei Helfern wird sich dann darauf einstellen, bereits um 3 Uhr aufzustehen, die Drohne zu holen und damit an den Rand des jeweiligen Feldes zu fahren. Die Feldarbeit beginnt früh, noch früher müssen die gefährdeten Tiere aus den Wiesen raus. Die morgendliche Aktivität ist auch einem Knackpunkt der Technik geschuldet: Steigen die Außentemperaturen, lässt die Umgebungshitze irgendwann nicht mehr zu, dass die Körpertemperatur der Jungtiere optisch aus dem Wärmebild heraussticht – im April kann das schon ab 7 Uhr der Fall sein. Mit diesem Thema werden sich die Helfer möglicherweise in einem weiteren angepeilten Einsatzgebiet auseinandersetzen müssen. Lossau spielt mit der Idee, die Drohne auch zu nutzen, wenn schwer verletzte Tiere nach einem Wildunfall die Flucht antreten. Der Flugroboter soll dann dabei helfen, das Wild aufzuspüren, damit ein Jäger es im Bedarfsfall erlegen kann. Auf der anderen Seite soll die Drohne ausdrücklich nicht im Jagdbetrieb zum Einsatz kommen, betont der Hegeringleiter. Damit das mit dem Netzwerk klappt, müssen viele Zahnräder ineinandergreifen. Da wäre der Drohnenspezialist Thomas Bödeker, der sein Fachwissen kostenlos mit den Kitzhelfern teilt, der guten Sache wegen. Hilfreich ist zudem der enge Kontakt zur Rehkitzrettung Fischerhude. Hegering-Obmann Thomas Hopp hat sich ums Kartografieren der Flächen des Hegerings gekümmert. Lohnunternehmer Wehrendt ist für das Netzwerk Ansprechpartner und gibt Bescheid, wann es mit den Einsätzen losgehen kann. Und Lossau hält als Hegeringleiter „den Kopf hin“, wie er sagt, wenn es ums Versicherungstechnische geht. Nicht zuletzt sind die Aktiven auf Finanzierung angewiesen. 4.500 Euro kostet die Drohne mit Wärmebildkamera, Akkus und Ladegeräten. Die Stadtwerke Rotenburg schultern die Investition, was der Hegeringleiter in den höchsten Tönen lobt. Weitere Hardware-Anschaffungen sind bereits im Gespräch, auch der Hegering wird voraussichtlich Kapital einbringen, schätzt der Vereinsvorsitzende. Und die Mitglieder des Teams investieren ihre Zeit. Wer sich vorstellen kann, das ebenfalls als Drohnenpilot zu tun, kann sich telefonisch unter 0171/6437456 beim Hegeringleiter melden. Lossau ist bewusst, das sich mit einer Drohne und einem kleinen Team nicht die Abdeckung aller wichtigen Flächen erreichen lässt. Außerdem bleibe abzuwarten, wie das kostenlose Angebot der drohnengestützten Feldabsuche bei den Landwirten ankommt. Aber: „Wenn wir nur ein Kitz damit retten, haben wir schon mal was geschafft.“