Eindrucksvoller Beitrag zur Flüchtlingsdebatte am Theater Metronom - Von Nina Baucke

Mit Freiheit lässt sich gut verdienen

Die Barfrau, der Schleuser und der Flüchtling u2013 und das Verhängnis mit dem Meeresrauschen nimmt seinen Lauf. Foto: Nina Baucke ©

Visselhövede. Was kostet es, eine Zukunft zu haben? In Freiheit zu leben – überhaupt: zu leben? Den schlappen Preis von 4.000, sagt zumindest der zwielichtige Geschäftsmann Georgi. Denn der Handel mit der Freiheit ist ein einträgliches Geschäft – zumindest für ihn.

Während vor den Toren der Hafenspelunke sich ein nicht namentlich bezeichneter Staat zur Diktatur wandelt und der Terror regiert, wird das Lokal von Livia (Karin Schroeder) die Schwelle zwischen dem Grauen vor der Tür und der Hoffnung auf ein freies Leben in der Welt jenseits des Meeres. Jene Hoffnung personifiziert sich in Pepe (Jannis Kaffka), der sich bis zu seiner Abreise bei Livia als Barpianist verdingt. Auf der anderen Seite ist eben Georgi (Erwing Rau), der mit dem Versprechen von Freiheit winkt – natürlich nur gegen Bares. Und dann ertränkt da noch ein Kapitän (Thorsten Neelmeyer), der sich Moses nennt, „wie der erste Schleuser der Geschichte“, sein leeres Leben in Brandy. Georgi lotst Livia und Moses in das Geschäft mit der Ware Mensch, Pepe nimmt den trügerischen Strohhalm an, den das Trio Infernale ihm hinhält – und landet am Ende als eine Zahl in der verhängnisvollen Statistik, die die Opfer des Meeres auflistet.

Profitgier im Angesicht des Elends und ein vager Traum von Freiheit – verpackt in einer Mischung aus Gesang, Tanz und Tragikkomödie: Das Theater Metronom hat sich mit seiner neuesten Eigenproduktion „Meeresrauschen“, die am Freitag ihre Premiere hatte, einiges vorgenommen – gerade mit Blick auf die ständig präsenten Fernsehbilder von kleinen Kuttern, vollbesetzt mit verängstigten Flüchtlingen, die auf den Wellen des Mittelmeeres schaukeln, und Kinderleichen am Urlaubsstrand.

Vor allem deswegen entpuppt sich die Geschichte um eine verlebte Barfrau, ihren Pianisten, einen Kapitän und einen Schleuser, alle mit einem persönlichen Drama oder einer abgründigen Biografie an den Hacken, bisweilen als ein waghalsiger Drahtseilakt zwischen bitterem Drama und komödiantischem Intermezzi. Etwa, wenn die vier beim „Schleuserquartett“ um Geld, beziehungsweise Pepe um einen Platz auf einem der Seelenfrachter spielen. Oder wenn sich Livia von Georgi umgarnen lässt und auf einen mehr als schmutzigen Deal eingeht.

Dass die heikle Balance gelingt, ist vor allem den Darstellern zuzuschreiben, allen voran Rau, der als schmieriger Schleuser die drei gescheiterten Existenzen um den Finger wickelt, und dabei abstoßend und faszinierend zugleich ist. Schroeder trifft vor allem in den traurigen Momenten zielgenau einen leisen, berührenden Ton, während sie in den komödiantischen Teilen aufdreht. Beide dominieren die Bühne derart, dass Neelmeyer leider etwas blass bleibt. Kaffka dagegen hat zum einen die Musik auf seiner Seite, der Pianist begleitet die anderen Protagonisten auf dem Klavier, zum anderen ist er die Klammer des Stückes: Aus dem Jenseits erzählt er die Geschichte und dient als moralischer Kompass, während die übrigen drei jene Moral längst unter Geldscheinen begraben haben.

Damit der Zuschauer bei dem Konzept aus Rückblenden, Erinnerungsmomenten und Szenenwechseln zwischen der Bar und dem Drama auf dem offenen Meer nicht den roten Faden verliert, hat sich Regisseur Gero Vierhuff ein System aus Beleuchtung und Bühnenbild einfallen lassen. Da wird der Tresen durch einen Dreh zum Frachtraum eines Schiffes, in dem der verängstigte Pepe nichts weiter tun kann, als dem Tod ins Auge zu blicken. Und wenn Georgi die Menschen, die er auf die klapperigen Schiffe verfrachtet, als „Pakete, die laufen können“ bezeichnet, bekommt das Bühnenbild aus etlichen übereinandergestapelten Obstkisten einen bitteren Beigeschmack.

„Meeresrauschen – das sind die Stimmen der Ertrunkenen“, sagt Moses, bevor er dem Lockruf des Geldes erliegt. Am Ende sitzt anstelle von Pepe Carlos am Klavier, während Barfrau, Kapitän und Schleuser beim Brandy die nächsten Geschäfte abwickeln: Das barbarische Geschacher mit Menschenleben geht weiter.

Die Vorstellungen für „Meeresrauschen“ am Samstag, 24. September, und Samstag, 12. November, sind bereits ausverkauft, Karten gibt es noch für Freitag, 23. September, telefonisch unter 04262/1399.