Hiddingen. Das kleine Glöckchen bimmelt, als Luise sich bewegt. Sie spreizt die Flügel, flattert kurz und entspannt sich dann sichtbar auf dem klobigen Lederhandschuh, mit dem Marten Marquard sie hält. Der Blick der jungen Habichtdame hat nun etwas Neugieriges. „Habichte sind von der Art her eher so Draufgängervögel. Das war schon eher meins“, sagt der 18-Jährige mit einem zufriedenen Lächeln.
Mit Tieren kennt Marquard sich aus, immerhin ist er inmitten einer Menagerie mit Kamelen, Kängurus, Pferden, Hühnern, Zebras und etlichen anderen Arten aufgewachsen. Als Kind sieht er bei einem Kamelrennen Falkner mit ihren Greifvögeln, einen darf der Junge auf die Faust nehmen. „Ich fand’ das damals schon faszinierend“, schwärmt der Hiddinger, der derzeit im dritten Jahr eine Ausbildung zum Zimmermann macht. „Auch die Arbeit mit den Vögeln, da es sich ja um ein freies Tier handelt, und die Kommunikation mit ihnen.“ Der Kontakt zu einem Falkner auf Ottingen, einem Bekannten seiner Eltern, tut da ein Übriges.
Selbst als Falkner einen Greifvogel halten, der Traum ist nun, Jahre später, in Erfüllung gegangen. In den Herbstferien 2017 besucht er 13 Tage lang einen Lehrgang in Springe, wo er mit anderen Teilnehmern aus ganz Norddeutschland Unterricht in einem Jagdschloss hat. Dabei geht es um das Unterscheiden der verschiedenen Greifvogelarten anhand von Gelege und Federn, über die Tiergesundheit, Gerätschaften, gesetzliche Regelungen und – zumindest theoretisch – den Umgang mit den Vögeln. „Man muss sich eines klarmachen: Das sind keine Schmusetiere“, sagt Marquard. Die nötige Praxis bekommt er in Ottingen, dort lernt er, „das Tier zu lesen“, wie er sagt. Vor allem Habichte faszinieren ihn. Und so zieht Habichtküken Luise im zarten Alter von 16 Tagen und mit einem Gewicht von 500 Gramm bei ihm ein. Vor allem in der ersten Zeit füttert Marquard den Nestling mit kleinen Häppchen und per Pinzette. Da die Nächte kalt ist, hat zudem die Plastikbox, die als Nest dient, ihren Platz im Haus – denn immerhin ist alle drei bis vier Stunden Fütterung. Damit Luise den Hof kennenlernt, trägt Marquard das Nest überall mit hin. Als sie größer ist, legt er den Falknerhandschuh hinein, um sie auch daran zu gewöhnen. Im Alter von drei Monaten geht es auf den ersten Freiflug ohne Fessel. „Sie hat da erstmal im Baum gesessen und mit den Blättern herumgespielt“, erinnert sich Marquard. Jetzt ist Luise ein Jahr alt und 13.000 Gramm schwer und hat ihre ersten Jagden längst hinter sich. „Ich habe halt einen Vogel“, sagt er lachend. „Aber da ich ja sowieso schon mit 80 Kamelen aufgewachsen bin, war das zum Beispiel für meine Freunde nichts Außergewöhnliches mehr.“ Marquards Begeisterung für Greifvögel hat einen weiteren Nebeneffekt, denn um überhaupt mit der Falknerei anzufangen, ist ein Jagdschein nötig. Kaum hat er das notwendige Alter von 16 Jahren erreicht, besucht Marquard sechs Monate lang den Lehrgang der Jägerschaft, was bedeutet: zweimal pro Woche Unterricht, am Wochenende folgen Schießtraining und Praxiskurse. Trotz Falknerschein ist Marquard nach wie vor aktiver Jäger – und stellt dabei fest, dass in dem Waldgebiet „Im Bruch“ nur noch fünf Fasane leben. „Die landwirtschaftlich genutzten Flächen werden immer größer, der Lebensraum der Fasane wird dagegen immer kleiner“, so Marquard. „Denn sie brauchen Hecken und Knicks als Verstecke, andersherum nimmt die Zahl des Raubwildes, wie zum Beispiel Füchse, zu. Und die Küken brauchen viel Eiweiß, aber es gibt immer weniger Insekten.“ Er beschließt, etwas dagegen zu unternehmen: Er kauft 300 Fasaneneier und schafft es, dass aus 200 davon Küken schlüpfen. Als sie vier Monate alt sind, siedelt er sie in extra dafür gebauten Volieren in das Jagdgebiet um. „Die Fasane laufen dort frei herum, bekommen aber zugleich noch Futter und haben einen Unterschlupf“, erklärt er. „Das Ziel ist, sie an die Natur zu gewöhnen, um die Population wieder aufzufrischen.“ In den nächsten Jahren will er weitere Anläufe nehmen, und sie auch mal mit Hühnern zusammen auswildern. „Die weisen die Fasane auf Gefahren hin und zeigen, wie die Futtersuche geht“, so Marquard. Ab und zu finden derzeit einige der Fasane den Weg zurück auf den Marquardschen Hof. „Dann sehe ich, dass es funktioniert“, sagt der junge Züchter. „Ich freue mich dann über jeden Fasan, der es da draußen schafft.“