Das dokumentarische Drama „Der Boxer“ des Österreichers Felix Mitterer basiert auf Rukeli Trollmanns Biografie, und die „Junge Bühne“, ein Theaterprojekt im Theater Metronom, brachte es am vergangenen Wochenende in Hütthof auf die Bühne. Über ein Jahr hinweg hatte sich die talentierte Jungdarstellerriege Mitterers Stück erarbeitet. Und es hat sich gelohnt: Das Publikum lacht, ist berührt – und am Ende betroffen.
Andreas Goehrt, der zusammen mit Karin Schroeder für die Regie verantwortlich zeichnet, hat Mitterers Vorlage dramaturgisch für das junge Ensemble bearbeitet und das geradezu genial schlichte Bühnenbild entworfen: im Hintergrund ein Boxring, davor fünfzehn große Würfel, teilweise mit historischen Fotoausschnitten beklebt, die je nach Szene unterschiedlich angeordnet werden. Das genügt den jungen Darstellern, um in dieser Kulisse das Stück zum Leben zu erwecken.
Die Geschichte beginnt leicht, fast komödiantisch beschwingt. Die Zuschauer lernen die Familie Trollmann kennen – die temperamentvolle, lebenskluge Mutter Friederike „Pessi“ Trollmann (überragend: Stefanie Eichwald), den fröhlichen, selbstbewussten Rukeli (Lucas Lorentzek) und seine Verlobte Olga (beachtlich: die erst sechzehnjährige Marie Seeger) sowie Rukelis Violine spielenden, rebellischen Bruder Heinrich „Stabeli“ Trollmann (überzeugend verkörpert von der 28-jährigen Tomke Heeren). Dazu kommt ein Freund der Familie, Heinz Harms, der Polizist bei der „Zigeunerzentrale“ in Hannover ist und Rukeli, wo er kann, beschützt. In dieser Rolle beweist „Who Killed Frank“-Frontmann Jan-Hinrich Hummers, dass er nicht nur singen, sondern auch schauspielern kann. Später wird sich zeigen, dass Heinz doch nicht genügend Rückgrat hat, um nicht vor der brutalen Macht seiner Vorgesetzten einzuknicken.
Auch Dr. Robert Ritter, Leiter der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“, der kommt, um Mutter Pessi zu vermessen, wandelt sich vom jovialen Wissenschaftler, der „nur seine Arbeit macht“ und den Sinti im Grunde wohlgesonnen ist, zum Vollblut-Nazi und grausamen ausführenden Organ der Machthaber. Dabei zeigt Darstellerin Marie Hummers ihre Wandlungsfähigkeit. Bei Rukelis Widersacher im Ring, dem martialisch auftretenden Boxer Reinhard Wolf (schön unsympathisch: Frederik Link) und seiner Verlobten Magda (überzeugt als Nazi-Braut: Linea Borker) ist die Sache dagegen von vornherein klar: Sie verehren Hitler und verabscheuen den Zigeuner, der Wolf im Boxring überlegen ist.
Die „Junge Bühne“ erzählt die Geschichte von Rukeli und seiner Familie in kurzen, streiflichtartigen Szenen, die Boxkämpfe zwischen Rukeli und Wolf werden nur angedeutet. Das Tempo ist flott, der Szenenumbau auf offener Bühne sowie knapp berichtende Passagen sorgen für wohltuende Distanz, ohne den Erzählfluss zu stören. Nachdem Rukeli der Sieg aberkannt wird, verliert sich die anfängliche Leichtigkeit, und Verfolgung und Gewalt dominieren das Geschehen. Rukeli wird vom gefeierten Boxstar zur bloßen Nummer in einem Konzentrationslager. Tagsüber muss er Lehm schaufeln, abends zwingt ihn Wolf, der inzwischen zum Lagerkommandanten avanciert ist, zu Kämpfen auf Leben und Tod. Harter Tobak also, der aber dank der klugen Inszenierung sachlich bleibt.
„Wir wollten Parallelen zur heutigen Zeit aufzeigen, aber kein Betroffenheitstheater machen“, erklärt Goehrt. „Die Jugendlichen heute haben eine größere Distanz zum Dritten Reich als wir, dadurch haben sie mehr Leichtigkeit im Umgang mit dem Thema, das dem Stück zugute kommt“. Die Rechnung ist aufgegangen: Das Stück wurde vom Premierenpublikum begeistert aufgenommen und mit stehenden Ovationen bedacht. Auch die zweite Vorstellung war ausverkauft. Nun soll „Der Boxer“ in den Herbstspielplan aufgenommen werden – am besten schon mal im Kalender vormerken.