„Life Is Strange: True Colors“ im Test: Die etwas andere Superheldenkraft

Alex (im Hintergrund) trifft im Rahmen der Geschichte auf zahllose interessante Charaktere, denen sie hilft und die ihr helfen.
 ©Square Enix

Empathie, also die Fähigkeit, zu erspüren, wie es dem Gegenüber geht, als Superkraft? Keine Frage, das neue „Life Is Strange: True Colors“ geht ein großes Risiko ein in Zeiten, in denen jeder x-beliebige Spielecharakter mindestens mit Autos um sich werfen können muss, um ernst genommen zu werden. Kann das klappen?

Ich habe es geliebt, das erste „Life Is Strange“, das 2015 erschienen ist. In fünf Episoden, die viel zu lange auf sich warten ließen, erzählte Entwickler „Dontnod“ aus Frankreich damals die Geschichte von Max, einer Highschool-Schülerin, die die Zeit zurückdrehen kann. Das war frisch, berührend, im späteren Verlauf wirklich nervenzerfetzend spannend – kurzum ein Hit. Garniert mit einer zweckmäßigen, aber hübschen Grafik und mit einem spektakulär guten Soundtrack, dessen Playlist bei mir immer noch regelmäßig läuft, ein wohlverdienter Hit für den Entwickler und den Publisher Square Enix.

Es folgte die ziemlich ordentliche Erweiterung „Before the Storm“ und die Fortsetzung „Life Is Strange 2“, die zumindest bei mir so gar nicht zünden konnte. Dementsprechend skeptisch war ich jetzt, als „Life Is Strange: True Colors“ erschien. Kann es den Zauber des ersten Titels wieder einfangen? Durchaus sorgenvoll schob ich die Disk in die PS5*. Und war direkt nach dem Start durchaus positiv überrascht. Denn „True Colors“ sieht einfach umwerfend gut aus. Nicht, weil jetzt hier ein Effektfeuerwerk abgebrannt wird, dass in 120 Frames den Screen zum Explodieren bringt. Nein, „True Colors“ ist ein ruhiges, wunderschönes Spiel, das von seiner Stimmung, dem Licht, den Farben, den Details und den Charaktermodellen lebt. Man hat das Gefühl, hier echten Menschen zu begegnen, selbst wenn die Gesichtsanimationen nicht perfekt sind.

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„Life Is Strange: True Colors“ im Test: Spannende Story mit ganz viel Herz

Kaum hat man sich an der Grafik erstaunt und erleichtert festgestellt, dass der Indie-College-Rock-Soundtrack auch dieses Mal wieder einfach großartig ist, nimmt einen die Geschichte gefangen. Und die ist, das sei ohne Spoiler verraten, dieses Mal wieder fesselnd, spannend und berührend. Kein Wunder, wenn man sich anschaut, was die Hauptfigur Alex Chan, eine asiatischstämmige Amerikanerin, so alles mit sich herumschleppt. Aufgewachsen bei verschiedenen Pflegefamilien und in Kinderheimen, trifft sie in Haven nach acht endlos langen Jahren ihren Bruder Gabe wieder, von dem sie als Kind getrennt worden war.

Zwei mittlerweile erwachsene Menschen stehen sich da gegenüber. Und müssen wiederentdecken, was sie einst verbunden hat. Was gar nicht mal so einfach ist. Denn Gabe hat sich ein Leben in Haven aufgebaut. Hat einen Job, eine Wohnung, Freunde, eine Partnerin samt Kind. Alex hat nichts davon. Außer der Angst, dass auch hier auffallen könnte, dass sie „anders“ ist. Sie kann erspüren, wie es anderen Menschen geht. Sind deren Emotionen zu stark, übertragen sie sich auf unsere Protagonistin. Dann rastet sie schlimmstenfalls genauso aus wie ihr Gegenüber. Oder schafft es, zu ergründen, warum es ihrem Gegenüber so geht, wie es ihm geht. Und kann ihm dann helfen. Die einzelnen Emotionen werden dabei durch eine Art farbige Aura dargestellt – daher die „True Colors“.

Das ist tatsächlich die zentrale Spielmechanik von „True Colors“ - zu ergründen, wie es anderen Menschen geht und ihnen dann zu helfen. Alex hadert lange mit ihrer „Gabe“. Weil sie sie besonders, anders, macht. Weil in ihrer anfänglichen Lage „anders“ nur ein nettes Wort für „nicht normgerecht“ ist. Alex‘ Hadern gipfelt in einer wunderschönen Szene gegen Ende des ersten Kapitels, in der sie „Creep“ von Radiohead, seit Jahrzehnten die Hymne aller deprimierten Teenager, singt: „I‘m a creep, I‘m a weirdo – what the hell I‘m doing here? I don‘t belong here...“

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„Life Is Strange: True Colors“ im Test: Das „Ted Lasso“ unter den Videospielen

Das klingt erst einmal wahnsinnig unspektakulär, ist aber dann umso interessanter (auch spielerisch). Weil es den Entwicklern die Möglichkeit bietet, zahlreiche ebenso spannende wie sorgfältig ausgearbeitete Geschichten zu erzählen. Immer getrieben von einem hochspannenden Plot über eine große Verschwörung, skrupellose Menschen, die über Leichen gehen. Ein Krimi-Gefühls-Adventure vom Feinsten. Das ist spannend, weil wir Alex dabei begleiten, wie sie erkennt, dass ihre Fähigkeit eine Gabe ist. Wie wir sie dabei begleiten, wie sie mit sich selbst und ihrer Vergangenheit Frieden schließt.

Wer jetzt allerdings befürchtet, dass „True Colors“ eine bierernste Depri-Veranstaltung ist, der sei beruhigt. „True Colors“ findet immer den richtigen Ton. Es ist ein hoffnungsvolles, stellenweise extrem lustiges, herzerwärmendes Spiel. Quasi der „Ted Lasso“ unter den Adventures. Ein Spiel, das man erlebt haben muss. Und das, Dank der Entscheidung der Entwickler, erstmals auch eine deutsche Synchronisation anzubieten, deutlich zugänglicher ist.

Im Video: Trailer zu „Life Is Strange: True Colors“

Fazit zu „Life Is Strange: True Colors“

„Life Is Strange: True Colors“ legt das Comeback des Jahres hin. Nach einem ähnlich guten ersten Teil ging es lange mit den Titeln der Serie bergab. Bis jetzt: „True Colors“ ist eine wunderschöne, herzerwärmende, hochspannende Geschichte, die man erlebt haben muss. Mit toller Grafik, toller Musik – ein Spiel, das einem umgehend Lust darauf macht, selbst nach Haven zu reisen und die amerikanische Kleinstadt mit all ihren Schrulligkeiten und Geheimnissen zu genießen. Wer Spiele liebt und nicht immer nur ballern möchte, sollte unbedingt zugreifen. (st) *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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