Der Coronavirus-Alltag bringt die dreifache Mutter Uta Künkler, 41, aus Ebersberg täglich an den Rand ihrer Kräfte. Hier schreibt sie sich ihre Verzweiflung von der Seele.
- Gerade ist die dreifache, beruftstätige Mutter Uta Künkler aus Ebersberg (bei München) Köchin, Putzfrau, Kindergärtnerin und Lehrerin.
- Die Coronavirus*-Krise verlangt ihrem Mann und ihr alles ab.
- Protokoll einer ganz normalen Corona-Familie.
Übrigens, das Wichtigste aus der Region gibt es jetzt auch in unserem neuen, wöchentlichen Ebersberger Newsletter.
Ebersberg – Ich hatte richtig Lust darauf. Ehrlich. Anfangs. Wir alle zusammen daheim, Arbeit zu Hause, keine Schule, kein Kindergarten, keine Hobbys, keine Termine:
Ich sah vor meinem inneren Auge fröhliche Familienrunden am Mittagstisch, Zeit für Brettspiele und Bastelstunden, und sogar mal einen Kaffee zwischendrin mit meinem Mann statt mit Kollegen.
Familie im Coronavirus-Alltag: Irgendwann fingen wir an, uns anzuschreien
Doch die Realität sieht anders aus. Irgendwann fingen wir an, uns anzuschreien, wurden müde, erschöpft, wütend, gereizt. Wer wochenlang permanent mehrere Brände gleichzeitig löschen muss, hat blanke Nerven.
Mutter verzweifelt am Corona-Alltag: Unter der Dusche weine ich - Mittlerweile weint auch mein Mann
Mittlerweile weine ich unter der Dusche. Mittlerweile weint auch mein Mann. Wir sind am Ende mit unseren Kräften. Wir sind gnadenlos überfordert.
Wir sind ganz normale Corona-Eltern. Mein Mann Matthias und ich haben drei Kinder im Alter von drei, acht und zwölf Jahren. In diesen Zeiten ist das ein herausfordernder Abstand.
Zwei Kinder zuhause unterrichten, einen Dreijährigen betreuen, selbst arbeiten - das funktioniert nicht
Zwei Kinder verschiedener Schulen zu Hause zu unterrichten und im Idealfall noch selbst etwas zu arbeiten, während ein Dreikäsehoch dazwischen herumspringt: Das funktioniert nicht, das können nicht mal Eltern!
Unser Jüngster geht in den Ebersberger Kindergarten „Arche“, der Mittlere in die dritte Klasse an der Montessori-Schule Niederseeon, die Älteste ist in der Sechsten am Gymnasium Grafing. Mein Mann ist Angestellter in der IT-Branche, ich arbeite selbstständig als Journalistin und Bloggerin.
+++
Alle News im Ticker: Coronavirus im Landkreis Ebersberg*
+++
Coronavirus im Familien-Alltag: Ich bin dankbar für das, was wir haben
Als im März die Nachricht kommt, dass alle Schulen und Kitas in Bayern schließen, bin ich hauptsächlich dankbar. Natürlich dankbar dafür, dass wir alle gesund sind. Aber auch dankbar, dass wir unsere Jobs ins Homeoffice verlegen können; dass wir nicht alleinerziehend sind, unsere Kinder Geschwister haben und wir in einem Haus mit Garten und viel Natur vor der Tür wohnen.
Andere trifft die Krise deutlich härter. Wenn es das ist, was ich jetzt für Gefährdete, für die Gesellschaft tun kann, dann mache ich das eben. Ich akzeptiere die Kontaktsperre voll und ganz, stehe hinter der Entscheidung, kaufe für ältere Nachbarn ein.
Coronavirus trifft Familie: Am Anfang war ich optimistisch - Wenn nicht wir, wer soll das dann schaffen?
Ich freue mich sogar auf die Herausforderung, einfach weil ich der Typ dafür bin, der gerne etwas schafft. Wer, wenn nicht wir, kann diese Ausnahmesituation packen?, denke ich optimistisch. Als Freiberuflerin arbeite ich zeitlich flexibel. Meine Kinder, die an der Montessori-Schule eigenständiges Arbeiten gelernt haben, werden sich bestimmt gut selbst organisieren.
Entsprechend motiviert starte ich also in die ersten Tage Homeschooling. Wir richten den beiden Großen einladende Arbeitsplätze ein. Sie lieben ihr „Kinderbüro“. Psychologen raten zu möglichst viel Struktur für die Kinder. Also führe ich einen täglichen Morgenkreis ein. Wir sprechen über das Wetter auf Deutsch und Englisch, singen ein Lied und erörtern den Tagesablauf für jeden Einzelnen. Wir machen gemeinsam eine Brotzeit-Pause, und nach dem Mittagessen ist die Schule vorbei.
Mutter im Corona-Alltag: Ich richte ein Kinderbüro ein, schaffe Struktur - doch schon am ersten Tag...
Praktisch sieht es natürlich schon am ersten Tag anders aus. Meine Tochter soll eine Ansprache zum Thema „Fremd-Sein“ verfassen und kreist eine Stunde lang um ein leeres Papier. Sie braucht Hilfe. Und Motivation.
Mutter im Corona-Alltag: Mein Achtjähriger schreit „Blödes Minus“ - in der Zwischenzeit ploppen fünf Mails auf
Als ich endlich zu der Pubertierenden durchdringe, wirft mein Achtjähriger wütend sein Matheheft auf den Boden. „Blödes Minus“, schimpft er. In der Zwischenzeit sind bei mir fünf E-Mails aufgepoppt. Ich überfliege drei davon, bis mein Sohn wieder ansprechbar ist. Dann zeige ich ihm noch einmal, dass er die Zahlen exakt untereinander schreiben muss. Ich drehe mich zum Computer, tippe zwei Sätze. In dem Moment flitzt der gelangweilte Dreijährige dazwischen, von dem sich die Großen nur zu gerne ablenken lassen. Kurz darauf sind alle drei im Garten auf dem Trampolin und unser Zeitplan ist beim Teufel.
„Mir blutet das Herz“: Mein Dreijähriger landet inzwischen mit Kopfhörer vor einem Video
Um wenigstens die größten Spitzen abzufangen, landet der Jüngste immer wieder mit Kopfhörern vor einem Video. Mir blutet das Herz. Vor kurzem kannte er noch überhaupt kein Fernsehen. Aber das war vor Corona. Nachmittags locke ich die Kinder vor die Tür, um ihnen Bewegung an der frischen Luft zu bieten. Ich will meine Sache gut machen, bestelle Frisbee, Federballschläger und Inlineskates, wir gehen auf Abenteuersuche, spazieren und radeln durch den Forst und legen gemeinsam im Garten ein Hochbeet an. Tatsächlich erleben wir viele schöne Momente, die wir der Quarantänezeit verdanken.
Familie zu Zeiten von Corona: Geschwister rücken zusammen - notgedrungen
Die Geschwister rücken zusammen, notgedrungen, weil keine anderen Spielpartner verfügbar sind. Unsere Nachmittage sind nicht mehr von Fußball, Turnen, Kinderchor, Klavierunterricht und Co. bestimmt. Niemand muss morgens pünktlich aus dem Haus, wir können die Tage langsamer angehen. Klingt ein bisschen nach Ferien.
Corona in der Familie: Klingt nach Ferien, aber Eltern müssen arbeiten - ab 4.30 und bis 23 Uhr
Das Problem ist nur: Es sind keine Ferien. Weder die Kinder noch wir Eltern haben frei. Mein Mann und ich verlegen unsere Arbeit auf die Tagesrandzeiten, setzen uns früh morgens, am späten Abend oder am Wochenende an den Schreibtisch. So geht es fast allen Eltern. Ein schwacher Trost, aber immerhin. Eine Freundin erzählt mir, dass sie seit Wochen ab 4.30 Uhr morgens am Computer ist, um möglichst viel abzuarbeiten, solange ihre Kinder noch schlafen. Ins Bett schafft sie es trotzdem nie vor 23 Uhr. Wieder bin ich dankbar. Dankbar um meine freiberufliche Arbeit. Ich kürze meine Wochenstunden massiv.
Abends im Bad, wenn die Kinder schlafen, konferieren mein Mann und ich über unsere Planung des nächsten Tages: Wer arbeitet von wann bis wann? Wer an welchem Rechner, in welchem Zimmer? Wer beschult wann die Kinder? Wer kocht das Mittagessen? Und wer bespielt nebenher den Kleinen? Alleine bin ich nur noch die Minuten auf der Toilette, wenn ich Glück habe.
Familie organisieren im Corona-Alltag: Vormittage sind in Zehn-Minuten-Blöcke unterteilt - anders geht‘s nicht
Wir sind exakt durchgetaktet, unsere Vormittage unterteilt in Zehn-Minuten-Blöcke. Anders geht es nicht, dieses Korsett zwingen uns berufliche Videokonferenzen und schulische Abgaben auf.
Natürlich bringen Kinder jeden Plan zum Scheitern. Einfach, weil sie Kinder sind. Weil sie trotz aller Absprachen nicht auf Knopfdruck funktionieren. Und weil die Windel immer im unpassendsten Moment voll ist. Es fühlt es sich wie eine schallende Ohrfeige an, wenn Politiker meinen, wir Eltern würden das mit Homeoffice-toleranten Arbeitgebern, engagierten Lehrkräften, Kreativität und ein bisschen gutem Willen schon hinbekommen.
Dreifache Mutter in der Corona-Krise: Fühlen uns im Stich gelassen von der Politik
Wir fühlen uns als Familie im Stich gelassen. Vom Gymnasium hieß es neulich, dass es den Lehrern weiterhin freigestellt sei, ob sie lieber per E-Mail, Eltern-Portal, Schüler-Portal oder der Lernplattform Mebis kommunizieren wollen. Für uns Eltern bedeutet das im Klartext: Jeden Morgen müssen wir vier Kanäle im Auge behalten. Pro Kind. Denn die Schule unseres Sohnes arbeitet wieder mit anderen Systemen, mit Zoom und Cloud-Lösungen. Das alles frisst Zeit. Ein großer Block in unserer allabendlichen Tagesplanung ist also der Job Lehrer.
Wer wühlt sich am nächsten Morgen durch die täglichen E-Mails und technisch instabil laufenden Programme? Wer scannt die Hausaufgaben ein? Wer erklärt unserer Tochter das „past progressive“ in Englisch und den ACI in Latein? Wer übt mit unserem Sohn schriftliches Subtrahieren und zusammengesetzte Nomen? Und wer verdammt nochmal weiß überhaupt noch aus dem Stand, was Negativpotenzen oder Temporaladverbialen sind?
Mutter in der Corona-Krise: Wir können nicht ewig auf meine Einnahmen verzichten
Die ersten Wochen bin ich hauptsächlich Lehrerin, Kindergärtnerin und Köchin. Unser Haushalt merkt, dass jetzt fünf Personen pausenlos daheim sind. Dann aber muss ich meine Arbeitszeit wieder aufstocken. Wir können nicht ewig auf meine Einnahmen verzichten. Mittlerweile braucht mein Mann seinen Jahresurlaub auf, langsam, jeden Tag ein paar Stunden. Aber auch diese Lösung ist begrenzt. Was machen wir danach? Nimmt er unbezahlten Urlaub? Machen Arbeitgeber und Familienfinanzen das mit?
Wir hören, dass sich für die älteren Schüler* zwar langsam ein zeitlicher Horizont auftut; dass die Grundschüler aber noch warten müssen und es gleichzeitig immer wahrscheinlicher wird, dass Kitas zumindest in Deutschland noch geschlossen bleiben. Bis wann? Bis Herbst?
Bei dieser Vorstellung schnürt es mir die Kehle zu. Noch ein halbes Jahr oder länger in diesem Modus? Nach Wochen ohne Gleichaltrige lechzen unsere Kinder nach Spielkameraden. Den sozialen Abstand können Erwachsene und ältere Kinder mit medialer Hilfe noch halbwegs überbrücken. Ich trinke per Skype ein Glas Wein mit Freundinnen, wir sehen bekannte Gesichter auf Elternabenden per Zoom, die Zwölfjährige kichert mit ihren Freundinnen im WhatsApp-Videocall, und der Achtjährige trainiert mit seinen Teamkameraden Handball via Tablet. Sicher ist das alles nur ein schwacher Ersatz für ein normales Kinderleben. Für die Kleinen ist aber selbst das unmöglich. Wir rufen den besten Freund unseres Dreijährigen per Video an. Die Buben lächeln ratlos und schweigen, schließlich reden wir Mütter.
Unser Nesthäkchen hat alle Bezugspersonen außerhalb der Kleinfamilie verloren – Omas, Tanten, Cousins, Freunde, Erzieher, Nachbarskinder. Er versteht nicht, warum er nicht mehr mit zum Einkaufen darf, nicht auf den Spielplatz. Am Telefon erzählt er der Oma, dass er ab jetzt nie wieder in den Kindergarten geht und deswegen ganz viel Zeit hat,* sie zu besuchen. „Ich bin doch gesund“, sagt er zu ihr. Sein Café in der Spielküche, in dem er sonst Holz-Pizzen und Kaffee zubereitet, hat er vorsorglich „wegen der Krankheit geschlossen“. Wenn ich mir vorstelle, dass das für die Kleinsten noch bis Herbst oder länger so gehen soll, bin ich schlicht ratlos. Es fehlt nicht am Willen.
Grundsätzlich stehe ich noch immer hinter dem Lockdown. Ich habe einfach nur keinen blassen Schimmer, ob unsere Kinder dann noch sozial fähige Wesen sind. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie wir Eltern das beruflich stemmen sollen. Und ich habe keinen blassen Schimmer, ob meine Energie bis dahin ausreicht.
Ebersberg-Newsletter
Ebersberg-Newsletter: Alles aus Ihrer Region! Unser brandneuer Ebersberg-Newsletter informiert Sie regelmäßig über alle wichtigen Geschichten aus der Region Ebersberg – inklusive aller Neuigkeiten zur Corona-Krise in Ihrer Gemeinde. Melden Sie sich hier an.*
*Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.
Die GNTM-Kandidatin Nadine Wimmer rettete einem Mann aus Kanada das Leben*. Für die junge Münchnerin ist dies selbstverständlich.