Die Assassins Creed-Reihe war mausetot. Schafft sie nach einer kreativen Zwangspause den Weg zurück zu alter Stärke? Zum Test von „Assassins Creed: Origins“.
Es ist tatsächlich erst zehn Jahre her, dass das erste Assassins Creed für die PS3 erschien. Es kommt einem vor wie eine Ewigkeit, angesichts der unüberschaubaren Anzahl an Titeln, die sich um die Bruderschaft der Asssassinen dreht, die in diesen zehn Jahren erschienen sind. Jahr für Jahr mindestens ein großer Titel für die jeweils aktuellsten Konsolen und PC, dazu Ableger für Handys und Handhelds, ein Film und jede Menge Bücher - Ubisoft hatte mit „Assassins Creed“ einen Dukatenesel gefunden. Und die Firma molk ihn, bis nichts mehr ging.
Selbst der härteste Fan war irgendwann übersättigt. Der bisher letzte Ableger „Assassins Creed: Syndicate“ spielte im viktorianischen London und war wahrlich kein schlechtes Spiel. Es war aber auch zuviel vom selben. Spielmechanisch ähnelten sich die Titel - mal abgesehen von „Black Flag“, dem für viele besten Teil der Reihe, der einen als Pirat in die Karibik schickt - viel zu sehr. Technisch waren die Spiele immer brilliant, historisch interessant. Und doch brauchte die Reihe eine Pause. Da sich „Syndicate“ bei weitem nicht so gut verkaufte wie die vorherigen Teile, verordnete Ubisoft der Reihe eine kreative Auszeit von zwei Jahren.
Eine Auszeit, die jetzt mit dem Erscheinen von „Assassins Creed: Origins“ endet. Und siehe da: Verdrehte man vor Jahren noch genervt die Augen, wenn schon wieder ein neues AC im Laden stand, obwohl man das vom Vorjahr noch nicht mal durch hatte, so stellt man heute fest, dass einem die Reihe wirklich gefehlt hat, die Vorfreude groß ist. Beste Vorzeichen für einen ausgedehnten Ausflug ins alte Ägypten.
Wir schreiben das Jahr 49 vor Christus. Mit anderen Worten: Die Assassins Creed-Reihe geht so weit in die Vergangenheit zurück wie noch nie zuvor. Kein Wunder, schließlich beschreibt „Origins“, wie der Name vermuten lässt, die Ursprünge und die Gründung des Assassinen-Ordens. Im alten Ägypten tobt ein Machtkampf, der auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird - zwischen den Hegemonialmächten der Griechen und der Römer zwischen dem Kindspharao Ptolemaios und der ehrgeizigen Cleopatra. In dieser politisch-historischen Gemengelage sind Bayek und seine Frau Aya auf einem Rachefeldzug. Warum, das sollte jeder selbst erleben. Nun ist Rache die mieseste aller Motivationen und die Grimmigkeit, mit der Bayek sein Ziel verfolgt, steht immer wieder in krassem Gegensatz zur freundlichen Hilfsbereitschaft, mit der er seinen Mitmenschen (so sie nicht gerade als Feinde markiert sind) begegnet. Dennoch wird die Hauptgeschichte durchaus spannend und wendungsreich erzählt, auch wenn sie wieder einmal keinen Originalitäspreis verdient.
Warum ist „Assassins Creed: Origins“ denn dann ein solch herausragendes Spiel? Weil die Entwickler das nach wie vor hervorragend funktionierende Konzept auf Hochglanz poliert haben. Spielmechanisch wurde an genau den richtigen Schrauben gedreht. Man hat den Eindruck, die Ubisoft-Programmierer hatten eine Liste mit Dingen, die bisher eher so mäßig gut funktioniert haben und diese dann konsequent abgearbeitet.
Frischzellenkur zum zehnten Geburtstag
Im Kern ist „Origins“ immer noch eine Mixtur aus Schleichspiel und Action-Adventure. Allerdings wurde die Sammelwut, die viele Spieler in den vergangenen Teilen als das erkannten, was sie war - eine Beschäftigungstherapie, um Spielzeit zu schinden - dramatisch eingeschränkt. Statt dessen ist „Origins“ deutlich mehr Rollenspiel als zuvor. Man kann seinen Charakter Bayek nach eigenen Wünschen aufleveln, hat bei der Ausrüstung die Möglichkeit, immer neue, besser, stärkere Waffen zu finden und auch diese aufzuleveln. Zahllose Nebenquests - qualitativ alle zwischen sehr solide (räuchere ein Banditenlager aus und befreie alle) und sehr originell (kläre einen mysteriösen Mord auf) - warten darauf, erledigt zu werden. Das Kampfsystem ist deutlich verbessert worden. Statt wie in den früheren Teilen einfach nur auf die Kontern-Taste zu drücken und das Spiel damit fast auf Autopilot durchzuzocken, sind jetzt Taktik und Geschick gefragt. Die offene Welt, die man nach Lust und Laune bereisen und erkunden kann, ist prallvoll mit Orten, die die Neugier wecken. Darunter auch zahlreiche Gräber, Katakomben und überflutete Tempel, die nicht nur den Entdeckergeist anstacheln, sondern auch mit mächtigen Waffen, Gold und seltenen Materialien locken.
Bei all diesen Aktivitäten lässt Assassins Creed: Origins auch technisch die Muskeln spielen. Das historische Ägypten ist eine der schönsten, abwechslungsreichsten, buntesten Welten der Spielegeschichte. Ein Meisterwerk, insbesondere in 4K auf einem möglichst großen Fernseher (getestet wurde die Version für die PS4 Pro). Deutlich schwächer ist da allerdings die deutsche Synchro, die zudem beim ersten Spielstart erst heruntergeladen werden muss - auch der Disk befinden sich nur die englischen Audiodateien. Für Spieler mit schwachen Internetleitungen ist das durchaus ein Ärgernis, auch wenn das Paket nur gut 500 Megabyte groß ausfällt. Doch das ist schnell vergessen, wenn man sich auf Entdeckungsreise im alten Ägypten begibt, ganz und gar in diese faszinierende Welt eintaucht und beim Spielen völlig die Zeit vergisst. Zumindest so lange, bis die in der Reihe obligatorischen Spielabschnitte kommen, die in der nahen Zukunft spielen und die ein ums andere Mal nicht nur spielerisch irrelevant sind, sondern den Spieler auch aus der spannenden Vergangenheit reißen. Warum diese Abschnitte, deren spieleübergreifender Plott schon lange niemanden mehr interessiert (auch weil ihn kein Mensch mehr versteht), nicht einfach weggelassen werden, weiß auch nur noch Ubisoft.
Doch das alles sind nur kleine Ungereimtheiten am Rande. Im Kern ist „Assassins Creed: Origins“ die glanzvolle Wiederauferstehung einer Spielereihe, ein Meisterwerk, das man sich nicht entgehen lassen sollte.