„Werder Bremen liegt nicht in Schutt und Asche“ - Andreas Hoetzel zieht zu seinem Ende als Aufsichtsrat Bilanz

Andreas Hoetzel scheidet aus dem Aufsichtsrat des SV Werder Bremen aus. Im Interview mit der DeichStube blickt er zurück.
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Bremen – Fast fünf Jahre lang gehörte Andreas Hoetzel zum Aufsichtsrat des SV Werder Bremen. Am Donnerstag ist Schluss, das neue Kontrollgremium nimmt seine Arbeit auf.

Hoetzel blickt im Interview mit der DeichStube auf eine wahrlich nicht einfache Zeit zurück. Der 64-Jährige gesteht Fehler ein, hebt aber auch Positives hervor und ärgert sich über das Verhalten der „Ü70-Fraktion“.

Andreas Hoetzel, auch die Aufsichtsräte werden von Werder eingekleidet, was machen Sie nun mit Ihrem Anzug mit der Raute auf dem Sakko?

Der kommt auf jeden Fall nicht in die Altkleidersammlung (lacht). Nein, nein – den werde ich bei der Aufstiegsfeier anziehen.

Wann wird das sein?

Ich hoffe nach dieser Saison. Das wird nicht einfach, wir sind noch eine Mannschaft im Werden. Im vergangenen Jahr sind die Teams aufgestiegen, die schon länger zusammen waren. Wir müssen zusammenwachsen. Je schneller das gelingt, desto eher steigen wir auf.

Wie sehr hängt Ihnen der Abstieg noch in den Kleidern?

Der wird dort immer hängen bleiben, weil der Abstieg für Werder nach über 40 Jahren ganz, ganz bitter ist und unseren Ausstieg als Aufsichtsräte befördert hat.

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Wären Sie ohne Abstieg geblieben?

Wir hätten sicher noch einmal kandidiert.

Es heißt aber auch, dass einige Aufsichtsratsmitglieder Ihre Kandidatur zurückgezogen haben, weil sie eine Kampfabstimmung scheuten. Denn es sollte erstmals mehr Kandidaten als Plätze geben.

Das stimmt so nicht. Wir wurden schon im vergangenen Jahr vom Wahlausschuss gefragt, ob wir uns so einer Wahl stellen würden. Alle haben das bejaht.

Was ist bei Ihnen größer: Die Enttäuschung, bei Werder nicht mehr mitgestalten zu können, oder die Erleichterung, nicht mehr so in der Kritik zu stehen?

Die Erleichterung ist nicht groß, weil Kritik einfach dazugehört. Die halte ich aus. Außerdem gingen die vielen Gespräche auf der Straße nie unter die Gürtellinie. Und die Enttäuschung? Na ja, ich hätte mir schon einen anderen sportlichen Verlauf gewünscht und dann auch gerne weiter mitgestaltet. Nun machen es andere – und das ist gut so.

Sie haben bei ihrer Rede auf der Mitgliederversammlung Fehler des Aufsichtsrats und der Geschäftsführung eingestanden, aber auch betont, dass dieselben Personen den Club wieder stabilisiert haben. Das klang so, als würden Sie den Ende Mai angekündigten Rückzug bereuen.

Nein, die Entscheidung war richtig. So ein Abstieg ist eine dramatische Zäsur und bedingt zweierlei: Es dürfen nicht alle gehen, damit man handlungsfähig bleibt, aber es dürfen auch nicht alle bleiben. Es muss nach so einem Abstieg auch ein Signal der Erneuerung geben. Wir benötigten nach dem Abstieg umgehend einen neuen Trainer, hohe Transfererlöse und waren mitten in der Platzierung der Anleihe. Dafür braucht es eine handlungsfähige Geschäftsführung.

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Welche persönliche Verantwortung verspüren Sie für den Niedergang des SV Werder?

Ich halte das Wort Niedergang für falsch. Wir haben es mit einer dramatischen sportlichen Niederlage zu tun, das müssen wir eingestehen. Die wirtschaftliche Situation ist aber im Wesentlichen durch Corona verursacht worden. Für einen anderen Teil haben aber auch wir die Verantwortung zu tragen.

Für welchen?

Für unsere strategische Entscheidung im Sommer 2019. Da sind wir wohl überlegt ins Risiko gegangen, haben eben nicht wie sonst Spieler gewinnbringend verkauft, sondern haben die Mannschaft zusammengehalten. Nach 53 Punkten in der Vorsaison und mit einem jungen, sympathischen und erfolgversprechenden Trainer haben wir gedacht, dass es jetzt klick machen kann, wir die Chance haben, wieder ins obere Drittel, also nach Europa vorzudringen. Das war eine Fehleinschätzung.

Dieses Risiko war wenig hanseatisch, gleichzeitig gab es stets den Ruf, endlich mehr zu riskieren, um wieder nach oben zu kommen.

Das ist die ewige Misere rund um Werder mit Erwartungshaltung, Anspruchsdenken und Realität. Ich finde es gut, dass es nach wie vor die Erinnerungen an Deutsche Meisterschaften gibt, dass das im Stadion besungen wird und es diesen Wunsch gibt, an alte Zeiten anzuknüpfen. Aber die Realität ist eine andere. Trotzdem musst du auch mal die Chance ergreifen, weil du es sonst nie schaffen wirst.

Würden Sie gerne eine Entscheidung als Aufsichtsrat rückgängig machen?

Wir hatten einen schönen Traum und haben uns zu lange nicht eingestanden, dass er nicht funktioniert – das war die Trainerfrage. Wir waren zu ehrgeizig und haben uns dabei überschätzt – das war der Sommer 2019. Und wir haben uns zu früh gefreut – das war das 2:0 in Bielefeld, nach dem wir elf Punkte Vorsprung hatten. Danach hat uns die Wachsamkeit gefehlt.

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Sie haben 2016 bei Ihrer Wahl in den Aufsichtsrat gesagt, dass Sie Werder Türen in die Wirtschaft – speziell auch in China – öffnen können. Was ist daraus geworden?

Wir haben nicht den einen Investor finden können, der als strategischer Partner an Werder interessiert ist, zu uns passt und eine Summe investiert, die uns andere Handlungsmöglichkeiten eröffnet hätte. Bremen hat keinen Konzern, der zu einem großzügigen Kurs Anteile kauft, wie es Daimler beim VfB Stuttgart getan hat. Es wird hier auch keinen Lars Windhorst mit seinen vielen Millionen wie bei der Hertha geben. Wir brauchen einen Partner, der uns zehn, 20 Prozent unserer Anteile abkauft. So eine Summe haben wir nun auch durch die Anleihe erzielt. Mir sind 18 Millionen Euro von so vielen verschiedenen Anlegern lieber als von einem Investor.

Diese Anleger kassieren aber auch jedes Jahr über sechs Prozent an Zinsen.

Deswegen möchte die Geschäftsführung finanziell in die Lage kommen, die Anleihe vorzeitig zurückzuzahlen. Wir müssen uns vor allem selbst helfen.

Als der Aufsichtsrat vor knapp fünf Jahren zusammengestellt wurde, haben Sie von einem Orchester gesprochen, das sehr gut harmonieren wird. Es seien schließlich erfahrene Unternehmer wie Kurt Zech, Marco Fuchs und Thomas Krohne dabei. Dazu in Marco Bode ein Ex-Profi, in Axel Plaat ein Finanzexperte und schließlich Sie als Kommunikator. Ist das Ergebnis nun nicht ernüchternd?

Der Abstieg verstellt den Blick auf den ganzen Kosmos Werder. Die Werder-Welt liegt nicht in Schutt und Asche, sondern ist sehr lebendig, sie verändert sich. Es wird modernisiert und digitalisiert, mit dem neu gestarteten Strategieprozess stellt sich Werder für die Zukunft auf. Es ist so viel Richtiges unterwegs, das bei einer Rückkehr zum sportlichen Erfolg wieder sichtbar wird. Worum wir uns aber dringend kümmern müssen, ist die Zukunft des Leistungszentrums. Da waren wir auf einem guten Weg, sind aber durch Corona und die finanziellen Folgen gestoppt werden. Wir müssen schnell entscheiden: Macht eine Millionen-Investition direkt an der Weser angesichts des Klimawandels überhaupt noch Sinn? Müssen wir uns einen anderen Standort suchen?

Werder-Boss Klaus Filbry ist neulich im Magazin „11 Freunde“ mit den Worten zitiert worden „Die heile Werder-Familie, von der alle immer schwärmen, hat es nie gegeben“. Sie hingegen haben bei der Mitgliederversammlung betont, wie wichtig diese Werder-Familie sei. Wie passt das zusammen?

Klaus Filbry und ich meinen exakt dasselbe. Die Betonung in seinem Satz liegt auf dem Wort „heile“. Wir haben uns nicht gegenseitig den Kopf getätschelt und Artigkeiten ausgetauscht. Wir haben nicht abgenickt und den Mund gehalten. Diese Mär, die vor allem von den Herren aus der Ü70-Fraktion verbreitet wird, dass die Werder-Familie inzwischen nur aus Kumpanei und Vetternwirtschaft besteht, ist völlig falsch. Ich finde es gut, dass es die Werder-Familie gibt. Da gibt es Streit, da gibt es Konkurrenz, aber dabei immer einen guten, einen wertschätzenden Umgang miteinander. Dieses Familiäre muss sich Werder unbedingt erhalten.

Meinen Sie mit der Ü70-Fraktion Willi Lemke und Klaus-Dieter Fischer?

Klaus-Dieter Fischer nicht. Bei seiner Verbundenheit zum Verein denke ich immer, dass ihn die Sorge um Werder umtreibt. Bei anderen Herren aus der Ü70 habe ich den Verdacht, dass es mehr um das Scheinwerferlicht und den schnellen Applaus geht.

Andreas Hoetzel: Aufsichtsrat bei Werder Bremen „intensiv, kritisch und hartnäckig“ wie kaum anderswo

Sie sind gut mit Marco Bode befreundet. Wie eng dürfen Aufsichtsräte miteinander verbunden sein?

Wir sind uns ähnlich in der Arbeitsweise, verstehen uns gut – nicht mehr und nicht weniger. Und noch etwas: Ich kenne durch meinen Beruf viele Aufsichtsräte und habe keinen erlebt, in dem die Diskussionen so intensiv, so kritisch und hartnäckig geführt worden sind wie bei Werder. Aber stets im respektvollen Umgang miteinander.

Das Thema Fußball ist ja auch emotionaler.

Mag sein, das spielte aber keine Rolle. Wir waren Aufsichtsräte, die nicht einfach nur zur Kenntnis genommen haben. Wir haben die Kontrolle wahrgenommen, waren aber auch strategische Sparringspartner für die Geschäftsführung. Also Aufsicht und Ratgeber.

Thomas Krohne hat das Gremium wenige Wochen vor dem Ende vorzeitig verlassen und Marco Bode öffentlich dafür kritisiert, dass er Frank Baumann gestützt hat. Sind Sie enttäuscht von ihm?

Ein wenig schon. Das tat nicht mehr not.

Wie sehr ist Marco Bode als Werder-Legende beschädigt und wie kann es für ihn weitergehen?

Der Blick in den Rückspiegel wird in ein paar Jahren keinen beschädigten Marco Bode zeigen. Marco wird immer ein Teil der Werder-Familie sein, weil er Ehrenspielführer ist. Er hat eine großartige Karriere als Spieler und eine tolle Lebensleistung als Aufsichtsrat hinter sich. Marco wird sein Verhältnis zu Werder neu sortieren müssen. Da wird am Ende weniger Verantwortung stehen, aber nicht weniger emotionale Nähe.

Was würden Sie noch gerne für Werder machen?

Mit Werder den Blick nach vorne richten. Wiederaufsteigen. Im Stadion dabei sein, Erfolge bejubeln und mit Niederlagen gelassener umgehen. (kni)

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