Bremen – Einst gelobt als großes Talent, dann wiederholt an andere Clubs verliehen, im Sommer zurückgekehrt, schon aussortiert worden – um dann doch noch einmal so richtig bei Werder Bremen durchzustarten: Niklas Schmidt hat seine eigentlich nicht mehr vorhandene Chance in der Vorbereitung genutzt und gilt an der Weser plötzlich als Hoffnungsträger.
Im Interview mit der DeichStube spricht Niklas Schmidt (23) über harte Lehrjahre, starke Standards – und einen fiesen Spruch von Robert Bauer, der ihm bis heute nachhängt.
Niklas Schmidt, wer schießt aktuell die besten Ecken auf der Welt?
Die präzisesten und besten Toni Kroos. Jede Ecke von ihm ist brandgefährlich. Die kommen nicht ganz so scharf, aber sehr gut auf den Kopf. Da hatte er da vorne mit Sergio Ramos natürlich auch einen, der nicht so schlecht ist mit dem Kopf.
Wer ist denn bei Werder Bremen der Ramos?
Ömer Toprak natürlich, der ist immer gut zu finden. Aber Felix Agu macht das auch gut, wir haben schon einige gute Kopfballspieler.
Schauen Sie sich Ecken und Standards bei anderen Spielen an?
Das eher nicht. Ich hatte das Glück, dass ich oft Teamkollegen hatte, die das gut konnten – wie zuletzt Sebastian Kerk in Osnabrück.
Sie haben schon in der Jugend bei Werder Bremen gespielt. Ist es dann etwas Besonderes, im Weserstadion die Ecken zu schießen?
Auf jeden Fall. Es war immer ein Traum von mir, hier mal von Anfang an zu spielen. Ich hatte Gänsehaut und habe mich tierisch gefreut.
Und Sie haben wie schon 2016 – damals nach einer Einwechslung – per Ecke ein Tor vorbereitet.
Wahnsinn! Ja, das klappt wirklich ganz gut hier.
Niklas Schmidt wohnte im Internat von Werder Bremen im Weserstadion
Was war diesmal anders im Vergleich zu 2016?
Ich bin reifer geworden. Damals war ich erst 18, da war das ganz anders. Inzwischen bin ich es schon etwas gewohnt, vor vielen Leuten zu spielen. Aber es war trotzdem wieder etwas Besonderes, weil es einfach das Weserstadion ist. Hier im Stadion habe ich im Internat gewohnt, wir wollten immer auf diesen Rasen.
Jetzt können Sie es ja verraten: Sind Sie nachts mal heimlich mit den Kollegen runter auf den Platz?
Der Gedanke war wirklich sehr oft da, aber wir konnten es dann doch nie umsetzen. Wir wurden immer gut bewacht (lacht).
Haben Sie in den fünf Jahren seit Ihrer Bundesliga-Premiere wirklich immer daran geglaubt, mit der Raute auf der Brust eines Tages zurückzukehren?
Natürlich kommt man irgendwann ins Grübeln, fragt sich: Wo geht es jetzt wohl hin? Gehe ich den Weg oder einen anderen? Die letzten zwei Jahre waren sehr wichtig für mich – auch menschlich. Ich kann mit vielen Situationen viel besser umgehen. Ich war früher oft sehr naiv und habe zu sehr an mich gedacht. Das ist jetzt ganz anders – nicht nur auf dem Platz. Das habe ich in Osnabrück gelernt. Ich bin wirklich dankbar, dass ich Menschen kennengelernt habe, die mich gefördert und ein bisschen an die Hand genommen haben. Jetzt bin ich so weit, dass ich den Weg alleine gehen kann.
Wer hat Sie denn an die Hand genommen?
Vor allem Daniel Thioune und Merlin Polzin (der damalige Trainer und Co-Trainer des VfL Osnabrück, Anm. d. Red.). Die mussten schon ganz schön was aushalten mit mir.
Was denn?
Wenn ich mal nicht gespielt habe, war ich nicht so angenehm. Sie haben mir das alles sehr gut erklärt, auch wohin es für mich gehen kann.
Sie haben von Naivität und Egoismus gesprochen: Hat es Ihnen Ihr Talent am Anfang Ihrer Karriere vielleicht zu leicht gemacht?
Wenn alles geklappt hat, war ich zufrieden, das war kein Problem. Aber wenn es nicht geklappt hat, waren für mich immer die anderen Schuld. Ich wollte immer der Beste sein und habe dann auch gerne mal mein Ding gemacht. Da stand ich mir selbst im Weg. Aber inzwischen habe ich viel dazugelernt.
Haben Sie noch Kontakt zu Robert Bauer?
Nein.
Sie grinsen schon, weil Sie ahnen, was jetzt kommt, oder?
Ich kann es mir vorstellen.
Robert Bauer hat im Juli 2017 im Training in Ihre Richtung gebrüllt: „Ich höre auf zu schreien, wenn du zehn Kilo abnimmst!“ Die „Bild“ hat daraus den „Dickmops-Eklat“ gemacht. Wie war das für Sie damals?
Mit Robert hatte ich überhaupt kein großes Problem. Ich fand es damals sogar bemerkenswert, dass er nach dem Training sofort zu mir gekommen ist und gesagt hat: „Hey, ich war etwas drüber. Da war ich nicht cool genug.“ Deswegen habe ich ihm das nicht übel genommen. Außerdem hat mich das Trainerteam gut geschützt, mich darauf vorbereitet, dass da in den Medien etwas kommen könnte.
Kam es dann auch. Sie wurden als übergewichtiger Jung-Profi abgestempelt.
Den Stempel trage ich heute noch auf meinem Körper.
Eigentlich ja nicht, wenn man Sie so anschaut.
Das stimmt. Aber in einigen Köpfen steckt das immer noch drin.
Damals hieß es, Sie würden 82 Kilogramm wiegen. Mögen Sie uns verraten, wie viel es heute ist?
Nein. Es bringt nichts, über das Gewicht zu reden. Es hat mich kaputtgemacht, auf diese Zahl zu gucken. Deswegen mache ich mir da nicht mehr so den Kopf. Für die Athletiktrainer ist es sicher wichtig, diese Zahl zu kontrollieren. Aber für mich ist es viel wichtiger, dass ich mich wohlfühle und guten Gewissens in den Spiegel schauen kann. Und natürlich, dass ich fit bin und 90 Minuten lang marschieren kann.
Niklas Schmidt gehörte im Saisonauftakt-Spiel von Werder Bremen gegen Hannover zu den Dauerläufern
Das können Sie, wie das Spiel gegen Hannover gezeigt hat, da gehörten Sie zu den Dauerläufern. Wie haben Sie das körperlich hinbekommen?
Es gab eine Phase in Osnabrück, in der ich nicht so viel gespielt habe. Zwei, drei Spieler haben dort vegan gegessen. Im ersten Lockdown habe ich versucht, zumindest nur noch vegetarisch zu essen. Das hat gut geklappt. Im zweiten Lockdown habe ich dann auf vegan umgestellt. Das ging überraschend einfach. Ich fühle mich damit total wohl, mir fehlt nichts.
Was ist das Beste daran, sich vegan zu ernähren?
Wir probieren viel aus, das macht echt Spaß. Zum Glück habe ich eine Freundin, die sehr gut kocht, ich bin nämlich nicht so der Koch.
Darf denn auch mal gesündigt werden – nach einem guten Spiel vielleicht?
Das gehört bei mir dazu. Nach einem Spiel ist schon mal eine Pizza oder eine Cola drin. Das ist kein Problem.
Zurück zum Fußball: Sportchef Frank Baumann hat kurz vor dem Start der Vorbereitung gesagt, dass Sie keine Zukunft mehr bei Werder Bremen hätten. Was haben Sie da gedacht?
Ich muss zugeben, da habe ich mit Werder Bremen abgeschlossen. Ich war im Urlaub, als mich mein Berater informiert hat, dass Werder nicht mehr mit mir plant. Da habe ich gedacht: „Okay, schauen wir uns halt woanders um.“ Doch in Corona-Zeiten war es nicht so einfach, einen Verein zu finden. Dann kam der Anruf, dass ich bei Werder mittrainieren kann. Dafür bin ich sehr dankbar. Für mich ist Fußball einfach Fußball, mir macht das Spaß, ich gebe immer Gas. Hier im Training war die Qualität noch einmal etwas höher, da konnte ich mich gut einbringen. Und ich hatte nichts zu verlieren.
Jetzt sind Sie ein Gewinner. Clemens Fritz hat als Leiter Profi-Fußball gesagt, dass Sie bleiben dürfen, wenn Sie denn wollen. Wollen Sie?
Dazu brauche ich nicht viel zu sagen. Ich identifiziere mich so sehr mit dem Verein. Ich fühle mich hier unglaublich wohl, weil ich sehr viele Leute kenne. Trainer, Mitarbeiter – ganz viele kamen auf mich zu und haben sich mit mir gefreut. Ich bin stolz, dass ich für einen so schönen Verein spielen darf.
Ist die Position des Achter-Zehners im System des Neu-Trainers Markus Anfang wie gemacht für Sie?
Ja. Aber es geht nicht nur um die Position. Wir können dort auch sehr variabel spielen. Wenn ich zum Einsatz komme, versuche ich immer, dem Spiel das zu geben, was unsere Mannschaft braucht. Mal ist es der Ballbesitz, mal ist es das schnelle Spiel nach vorne. Wenn ich auf dem Platz stehe, möchte ich das Spiel gerne lenken, das geht auf der Position ganz gut.
Wie sieht es dabei mit der Defensivarbeit aus, die Sie ja nicht so mögen sollen?
Das kann noch besser werden, aber es geht in die richtige Richtung. Auch da haben mir Daniel Thioune und Merlin Polzin in den Hintern getreten. Ich habe gelernt, wie und wo ich zu stehen habe, wann ich Tempo aufnehmen muss. Bei Markus Anfang wurde das auch verstärkt angesprochen.
Ihr Teamkollege Niclas Füllkrug hat über Sie gesagt, Sie seien so schön unbefangen, weil Sie nicht abgestiegen sind. Er hat offenbar die 2. Liga nicht so verfolgt. Wie sehr hat Sie der Abstieg mit Osnabrück beschäftigt?
Das tat wirklich weh, weil wir eine sehr coole Mannschaft hatten. Wir waren alle extrem traurig. Aber ich bin jemand, der sagt: Im Urlaub musst du die Vergangenheit abschütteln. Denn es ist passiert, du kannst es nicht mehr ändern. Man muss nach vorne schauen. Nur so kannst du dich richtig auf die nächste Aufgabe fokussieren.
Sie kennen die 2. Liga seit zwei Jahren, worauf kommt es an?
Die Liga hat sich durch die vielen großen Vereine verändert. Ich glaube, dass mehr Mannschaften Fußball spielen wollen. Das freut uns, weil wir das auch wollen. Natürlich gehört auch das Kämpferische dazu. In Sandhausen oder Heidenheim wird es für uns natürlich besonders schwierig. Die sind alle extra motiviert. Das kenne ich aus Osnabrück. Wenn da der HSV oder Stuttgart kamen, wollten wir unbedingt zeigen, dass auch wir gegen sie gewinnen können.
Niklas Schmidt will sich beim Thema Wiederaufstieg von Werder Bremen nicht festlegen
Kann Werder Bremen den direkten Wiederaufstieg schaffen?
Das ist schwer zu sagen. Wir versuchen, das Beste herauszuholen. Wenn der Kader irgendwann feststeht, können wir auch ein Saisonziel ausgeben.
Wir wirkt sich diese Ungewissheit mit dem Kader auf die Stimmung in der Mannschaft aus?
Gar nicht. Die Stimmung ist top. In der Kabine wird viel gelacht, auf dem Platz konzentriert gearbeitet. Man merkt überhaupt nicht, dass der eine oder andere vielleicht noch weg möchte.
Jetzt geht es nach Düsseldorf. Ist der Druck nach dem eher enttäuschenden 1:1 zum Auftakt gegen Hannover gestiegen?
Druck ist ein großes Wort. Wenn du dir selbst zu viel Druck machst, kann dich das hemmen. Obwohl ich noch ein junger Spieler bin, versuche ich, der Mannschaft im Spiel Ruhe und Sicherheit zu geben. Ich bin wie immer optimistisch vor Spielen und glaube, dass wir die drei Punkte holen können. (kni)