Theater Metronom feiert umjubelte Premiere von Radio Methusa - Von Thomas Hartmann

Wahrlich besser als der Tod...

Wenn sie mit Radio Methusa auf Sendung gehen, dann bekommt das Leben von Conny, Falk und Edgar einen neuen Sinn. Dann können sie ihrem tristen Alltag im Wohncontainer (rechtes Bild) entfliehen Fotos: Hartmann ©Rotenburger Rundschau

Conny, Falk und Edgar sind alt. Sie haben ihr Leben lang gearbeitet. Die Rente reicht nicht für ein opulentes Leben voller Annehmlichkeiten. Die drei teilen sich eine viel zu enge Wohnstätte. Übereinander liegen sie in ihren Behausungen, die von den Ausmaßen fast an Särge erinnern. Doch immer wieder entkommen sie ihrem tristen Alltag und dem Leben in Erinnerungen. Dann nämlich, wenn sie on Air gehen: Das Trio betreibt einen Piratensender für Alte – Radio Methusa.

Premiere Theater Metronom
Premiere Theater Metronom
Premiere Theater Metronom
Premiere Theater Metronom
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Premiere Theater Metronom
Premiere Theater Metronom
Premiere Theater Metronom
Premiere Theater Metronom
Premiere Theater Metronom ©Rotenburger Rundschau

Karin Schroeder, Andreas Goehrt und Jan Fritsch feierten eine umjubelte Premiere im Theater Metronom. Von ihnen als "heiteres Singspiel mit lauter Musik“ angekündigt, boten sie ein akustisches Feuerwerk, das die Zuschauer herzhaft Lachen und anschließend noch lange Grübeln ließ. Das Thema mit dem sich die Schauspieler auseinandersetzen, ist das Alter. Über das hatten Conny, Falk und Edgar während ihres früheren Lebens eigentlich nie so richtig nachgedacht. Sie rutschten einfach hinein: Falk, der bei seinem letzten Engagement als verfolgter Hase auf der Bühne zusammenbrach, nachdem vorher sein Hüftgelenk den Geist aufgegeben hatte (herrlich nachgestellt vom humpelnden Goehrt – vor allem aber von Schroeder an der knackenden Handbohrmaschine und Fritsch an der quietschenden Kaffeemühle). Conny spielte 15 Jahre lang jeden Tag Miss Sophie im 90. Geburtstag, bis man ihr sagte, dass sie dafür zu alt sei. Und Edgar? Der große Instrumentalkünstler tingelt inzwischen als Bestattungsmusiker von Friedhof zu Friedhof. Doch im wahrsten Sinne hinter den Kulissen – nämlich gut versteckt auf der Rückseite ihres Wohncontainers – leben die drei wieder auf. Wenn sie ihr Studio unter Strom setzen, dann geben sie ihrem Leben einen neuen Sinn und den anderen Alten wertvolle Tipps. Beispielsweise, wie sie es durch ein bisschen Panikmache schaffen können, dass der Busfahrer genau vor ihrem Haus hält und nicht erst an der hunderte Meter entfernten Haltestelle. Oder wie es mit ein wenig künstlichem Blut im Mundwinkel funktioniert, aus dem völlig überfüllten Wartezimmer doch noch zum Arzt vorgelassen zu werden. Sie haben Verständnis für die Alten – aus eigenem Erleben. Sie senden für die alten Alten, für die Mittelalten und die jungen Alten. Der politisch korrekte Ausdruck: Menschen mit geriatrischem Hintergrund. Und was sie erleben, verpacken sie in Hörspiele. Die handeln von Problemen des Alltags, aber auch von Zukunftsangst und Abgeschobensein. Was passiert denn, wenn die Ampelphasen nicht ausreichen, um die Straße zu überqueren? Dann werden Krötenzäune aufgebaut. An denen können die Alten entlangglitschen, bis sie irgendwo aufgesammelt werden. Und die Werbung von Pro Geria? Wenn Radio Methusa nicht gerade auf Sendung ist und dafür der Dauerberieselung den Saft abklemmt, lockt die Organisation mit sorgenfreiem Rentnerleben, wenn die Pension erst einmal an Pro Geria abgetreten ist. Das ganz große Hörspiel widmet sich der Aufklärung über den Riesenschwindel – im Sendezentrum, vor der MS Nierenstein in Bremerhaven und in der Einrichtung in Casablanca. Conny ermittelt, Falk und Edgar halten die Stellung im Studio. Die drei Schauspieler zeigen Talente, die bislang kaum in den Vordergrund traten. Die Gesangsdarbietungen verblüffen. Als wären die Schauspieler und der Instrumentalist in diesem Genre zu Hause, hauen sie einen Song nach dem anderen raus – gut gespielt, toll gesungen und mit Texten, die einen auf die Schenkel schlagen lassen. Schamlos, rücksichtlos und hemmungslos singen sie von Themen, die Alte beschäftigen oder zumindest beschäftigen sollten. Und sei es, dass sie sich musikalisch darüber auslassen, wie es ist, wenn nachts die Blase drückt. Dass Schroeder Gitarre und Goehrt Schlagzeug spielen kann, mag dem einen oder anderen nicht bewusst gewesen sein - dass Fritsch fast alles spielt, schon eher. Aber es fasziniert, wie die drei es schaffen, mit einem Wust von Zusammengeklaubtem ganze Tonstudios mit Geräusch-Archiven zu ersetzen, wenn sie ihre Hörspiele untermalen. Beispielsweise, wenn Conny durch den Abwasserkanal kriecht, um zu Pro Geria vorzudringen: eine alte Gießkanne, in die sie hallend und ein wenig gurgelnd hineinspricht, ein Blechbecher, mit dem Goehrt den Eindruck vermittelt, in einer Tropfsteinhöhle zu stehen und schließlich die Schlange zu treffen, die Fritsch quasi ohne Instrument imitieren kann. Es hätte sich wohl gelohnt, die Augen zu schließen, und allein den Klang auf sich wirken zu lassen – wären da nicht die drei Schauspieler, die man keinen Moment aus den Augen lassen mochte, um nicht zu verpassen, wie sie im Stile des Improtheaters mit Elementen aus dem Beatboxen (allerdings Untersparte Beatboxing mit Haushaltsutensilien) auf der Bühne agieren. Bei dem Ideenreichtum, den sie bei Kulisse und Musik zeigen, wundert nicht, dass das ausgeklügelt konstruierte dreistöckige Wohncontainer-Studio sich plötzlich in die dampfende Sauna der Pro-Geria-Spitzenkräfte verwandelt. Und schon gar nicht, dass aus dem Nichts ein Peilwagen im Stile von R2D2 auf der Suche nach dem Piratensender über die Bühne flitzt. Ein Hörspiel über das Altwerden auf die Theater-Bühne zu bringen, das erscheint aussichtslos, will man einen Kassenschlager produzieren. Für das Metronom eine angemessene Herausforderung. Und das Ergebnis? Der Zuschauer erlebt einen köstlichen Abend, lässt ihn staunen und nachdenklich nach Hause gehen. Was könnte Theater mehr erreichen wollen?