Die Überschrift "Stur, hochnäsig und arrogant" des Rundschau-Berichts über das Arbeitsmarktportal Arrow des Landkreises Rotenburg habe mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Dennoch nehme man die im Bericht und in den folgenden Leserzuschriften geäußerte Kritik ernst. Das sagen Arrow-Leiter Jens Lüth und Ellen Prieß, Mitarbeiterin des Rechtsdienstes der Behörde. Zu Einzelfällen dürften sie aus Datenschutzgründen keine Stellung nehmen. Es sei aber möglich, die allgemeinen Hintergründe zu erläutern.
Lüth gesteht zu, dass es bei der Bearbeitung von Anträgen "zu Verzögerungen gekommen ist. Das will ich nicht schönreden, aber um Verständnis bitten". Vor einem Jahr sei man davon ausgegangen, dass es kreisweit etwa 3.500 Bedarfsgemeinschaften geben werde. Daraufhin sei die Zahl der Mitarbeiter kalkuliert worden. In Wirklichkeit gebe es heute aber mehr als 5.200 solcher Bedarfsgemeinschaften. Daher habe man nach und nach mehr Mitarbeiter angestellt und werde das auch noch weiter tun. Das brauche aber seine Zeit. Werden mehr Bedarfsgemeinschaften betreut, gibt es auch mehr Widersprüche. Deren Vielzahl liege außerdem daran, dass sich die Rechtslage zu Hartz IV wegen des großen Umfangs der Reform erst nach und nach entwickele, sagt Lüth. Und weil von einem in den Nachrichten verkündeten Kabinettsbeschluss bis zur Rechtskraft eines neuen Gesetzes Monate vergehen, würden manche Kunden Ansprüche für berechtigt halten, die es noch gar nicht seien. Die hohe Zahl der Widersprüche ist nur die eine Seite. Die andere sei, dass es beim Arrow im Herbst krankheitsbedingte Ausfälle gegeben habe, sagt Lüth. Daher sei es in diesem Bereich ebenfalls zu Verzögerungen gekommen. Seine Behörde habe darauf zweifach reagiert: Erstens sei auch hier mehr Personal eingestellt worden. Und zweitens habe man besonders dringende Fälle in der Bearbeitung vorgezogen. "Das Problem ist natürlich, dass sich jeder als dringender Fall empfindet." Lüth und Prieß verwahren sich gegen den Vorwurf, dass Arrow würde absichtlich erst einmal niedrige Bescheide ausstellen, um Geld zu sparen, bis über einen Widerspruch entschieden wird. Der Vorwurf sei wenig logisch, denn wer Widersprüche provoziere, mache sich doch selbst unnötig Arbeit. Angesichts der hohen Belastung hätten die Mitarbeiter ein großes Interesse an Effizienz. "Und effizient ist, wenn man jeden Antrag nur einmal anfassen muss." Selbstverständlich gebe es keine Anweisung von Dezernenten oder dem Landrat, durch Druck auf Kunden Mittel einzusparen. Lüth und Prieß widersprechen dem von Betroffenen geäußerten Eindruck, die Arrow-Mitarbeiter seien stur und wenig kompetent. Selbstverständlich würden zum Beispiel Betriebskosten bei Selbstständigen und Freibeträge für Zuverdienst nicht verwechselt. Beide hingen aber miteinander zusammen und beeinflussten sich gegenseitig. Und an Kosten für die Wohnung würden zurecht ausnahmslos nur Zinszahlungen und nicht die Tilgung anerkannt, weil man sonst das Bilden von Vermögen fördern würde. Viele Leserbriefschreiber haben dem Arrow vorgeworfen, dass ihnen nicht erläutert wurde, wie ihr Bescheid zustande gekommen ist. Dazu haben Lüth und Prieß zwei Anmerkungen. Zum einen könnten Ratgeberliteratur und Internetseiten den Betroffenen nur grobe Anhaltspunkte über ihre Ansprüche liefern. Die Bescheide unterschieden sich häufig von den so ermittelten Zahlen, weil "die Wirklichkeit viel komplizierter ist". Aus jedem Bescheid gehe im Anhang aber klar hervor, "wofür was gezahlt wird", sagt Prieß. Und wem das nicht genüge, dem würden die Sachbearbeiter nähere Erläuterungen geben. Wenn Leserbriefschreiber diese Bereitschaft bestritten, stehe Aussage gegen Aussage. Darauf habe man keine Einfluss. Denkbar sei jedoch, dass manche Kunden im Gespräch so erregt seien, dass sie die Erläuterungen als solche nicht wahrnähmen oder verstünden, sagt Lüth. Thema eheähnliche Lebensgemeinschaften: Auf diesem Feld gebe es naturgemäß nie Beweise, sagt Lüth. Die Darlegungspflicht, dass es sich nicht um ein eheähnliches Verhältnis handelt, liege beim Antragsteller. Entscheiden könne man stets nur aufgrund von Indizien. Dass man da nicht willkürlich vorgehe, zeige sich daran, dass es trotz der Vielzahl der Fälle bisher nur einen einzigen Fall gegeben habe, in dem das Gericht zu einer anderen Einschätzung gekommen sei, ergänzt Prieß. Im übrigen gebe es ja nicht nur den Vorwurf, dass das Arrow zu streng sei, sagt Lüth. Erst im Herbst hätten Medienvertreter darauf gedrungen, dass die Behörde doch genau hingucken solle, um Sozialmissbrauch zu vermeiden. Weder Kritik von der einen noch von der anderen Seite ändere jedoch die Praxis des Arrow. "Wir treffen unsere Entscheidungen nicht nach Wetterlage." Überhaupt kein Verständnis hat Prieß dafür, wenn ALG-II-Empfänger darüber klagen, dass sie sich einen Rechtsstreit mit der Behörde finanziell nicht leisten könnten. "Das Gerichtsverfahren ist frei und vorm Sozialgericht gibt es keinen Anwaltszwang." Wenn das Arrow verliere, müsse es auch die gegnerischen Anwaltskosten bezahlen. Bedürftige könnten außerdem Prozesskostenhilfe beantragen. (Wenn der Fall da in einer Art Vorpüfung für aussichtsreich gehalten wird, werden die Anwaltskosten unabhängig vom Ausgang des Verfahrens übernommen.) Eine weitere Möglichkeit sei, erst einmal die allgemeine Rechtsberatung des Gerichts in Anspruch zu nehmen. Bis über einen Widerspruch, eventuell sogar vor Gericht, entschieden wird, vergeht Zeit. Wovon sollen Bedürftige da leben? Prieß: "Jeder kann Mittellosigkeit geltend machen und einen Abschlag bekommen. Das passiert auch regelmäßig." Wer mit seinem Abschlag nicht zufrieden sei, könne beim Sozialgericht Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen. Zum Datenschutz: "Jeder Zufluss an Geld, den jemand hat, ist Einkommen. Deshalb müssen wir dem nachgehen", sagt Prieß. Das Arrow benötige Kontoauszüge, um sich schnell einen Überblick über die finanzielle Situation des Antragstellers zu verschaffen. Sie am Empfangstresen zu kopieren, sei nur ein Serviceangebot im Sinne des Kunden. Denn dann könne der wieder gehen und der Sachbearbeiter sehe die Unterlagen später in Ruhe durch. Wer gegen das Kopieren sei, könne auch im Wartezimmer Platz nehmen, bis der Sachbearbeiter Zeit hat. Warum müssen Antragsteller bei ihren Vermietern Bestätigungen über den Eingang von Mietzahlungen einholen? Immerhin kann es doch sehr unangenehm sein, wenn Vermieter und vielleicht Nachbarn erfahren, dass man von Hartz IV lebt. Dazu Prieß: "Den Formularen sieht man nicht an, für welche soziale Einrichtung sie bestimmt sind." Viele Leserbriefschreiber klagen darüber, dass sehr intime Daten bereits am Empfangstresen abgefragt werden, so dass fremde Menschen in der langen Warteschlange alles mithören können. Lüth sagt, dass das Arrow einen Diskretionsabstand markiert habe, ähnlich wie bei Banken. Und dort würden ja auch sehr persönliche Dinge besprochen. Außerdem soll die Schlange in der Geschäftsstelle in der Großen Straße kürzer werden. Um das zu erreichen, will das Arrow demnächst Kunden zurück an die Mühlenstraße überweisen und auch seinen Standort am Weicheler Damm für den Kundenverkehr öffnen. Verschwinden Anträge und Unterlagen beim Arrow? Einige Leserbriefschreiber behaupten das. Prieß und Lüth widersprechen. Probleme entstünden jedoch, wenn die Kunden ihre Briefe ungenau adressierten. Dann könne nur schwer zugeordnet werden, für welche Abteilung und welchen Sachbearbeiter sie gedacht sind. Mitunter durchliefen sie daher einige Stationen. Immer wieder behaupten ALG-II-Leute, dass das Arrow Unterlagen verlange, die sie schon längst beigebracht hätten. Sie vermuten Verzögerungstaktik. Könnte man dem nicht begegnen, indem man den Kunden den Eingang der Belege quittiert? Prieß sagt, wer wolle, könne einen Eingangsstempel erhalten. Sachbearbeiter sind nicht zu erreichen, nehmen das Telefon nicht ab, klagen Kunden. Lüth erklärt das mit Schwierigkeiten an der Telefonanlage: Trotz besetzter Leitungen hätten Anrufer ein Freizeichen zu hören bekommen. Inzwischen habe man das Problem von kleinen Ausfällen abgesehen im Griff. Werden Zahlungen kommentarlos eingestellt? Nein, sagt Lüth. Dazu komme es nur dann, wenn zum Ablauf des Bewilligungszeitraums kein neuer Antrag gestellt wurde. Denn ohne Antrag habe das Arrow keine Grundlage für Zahlungen. Zum Vorwurf, das Arrow kümmere sich nicht genug um Vermittlung: "Der Arbeitsmarkt gibt es leider einfach nicht her, jedem ein Angebot zu machen", sagt Lüth. Immerhin aber hätten im vergangenen Jahr 763 Langzeitarbeitslose einen Platz im ersten Arbeitsmarkt gefunden und 121 einen Ein-Euro-Job angetreten. 1.973 Kunden hätten an Seminaren teilgenommen. Fazit: "Es ist eine ganze Menge passiert, wenn auch nicht genug." Zu den Seminaren wird auch das so genannte Basis-Profiling gerechnet, das manche Leserbriefschreiber als entwürdigend, sinnlos und teuer kritisieren. Was soll es beispielsweise, Ingenieure und Abiturienten Diktate schreiben zu lassen? Lüth: "Für die Vermittlung ist es wichtig, Kompetenzen zu erkennen und Defizite aufzuspüren, an denen noch gearbeitet werden muss." So stelle sich etwa manchmal heraus, dass einige Kunden noch nach der alten Rechtschreibung schreiben - nicht gerade eine Empfehlung für Arbeitgeber. "Das Profiling ist keine Schikane. Die Stoßrichtung ist: zu helfen." Übrigens werde selbstverständlich auch hier der Datenschutz beachtet. Keine Erkenntnisse über Menschen gelangten nach außen. Werden ältere Arbeitslose aus der Statistik gedrängt? "Niemand muss die 58er-Regelung annehmen", sagt Lüth. In diese Richtung werde nicht gedrängt, sondern nur mitunter beraten. "Wer das nicht in Anspruch nimmt, bleibt in der Vermittlung." "Wir arbeiten hart daran, kundenorientiert umzugehen", sagt Lüth zum Abschluss. "Und das Wort Kunde wird bei uns nicht in Anführungsstrichen geschrieben." Das schließe nicht aus, dass es im Einzelfall auch mal zu bedauerlichen Fehlentscheidungen gekommen sei und komme. Das sei menschlich. Alle Kunden sollten zu einem möglichst reibungslosen Ablauf beitragen, wünscht sich der Amtsleiter. Dazu gehöre erstens, ein wenig Verständnis für Wartezeiten zu haben, zumal das Arrow mehr Personal einstelle und einen weiteren Standort öffne. Zweitens sollten nur vollständige Unterlagen und unterschriebene Anträge abgegeben und rechtzeitige Mitteilungen gemacht werden, wenn sich die persönlichen Verhältnisse ändern. Drittens schließlich sollten die Leute Termine vereinbaren und nachfragen, falls sie Entscheidungen nicht verstehen.