(ww). "Ich hab‘ sie heiß ersehnt." Als Evelin Hüske und Sabine Morgner die Tür öffnen, hören sie als erstes diese nette Begrüßung. Die beiden Frauen haben das Glück, oftmals ähnlich freundlich aufgenommen zu werden: Als Mitarbeiterinnen der Patientenbücherei, die sich im Rotenburger Diakoniekrankenhaus befindet, sind sie einmal wöchentlich auf den ihnen zugeteilten Stationen unterwegs.
Für viele Patienten sind sie gern gesehene Gäste, bringen sie doch zumindest eine kleine Abwechslung in den Krankenhausalltag. Und das nicht nur durch das Verleihen von Büchern. Ein nettes Wort, ein kurzer Schnack - dafür haben die ehrenamtlichen Helferinnen Zeit. "Schließlich", erklären die Beiden, "ist das vorrangige Ziel, Kontakt zu den Menschen aufzunehmen." Bevor die zweistündige Runde über die Stationen beginnt, muss der rollende Bücherwagen bestückt werden. Auf Abwechslung wird dabei geachtet. "Wir haben von allem etwas dabei. Spannendes, Heiteres, Sachgeschichten. Auch Spiele haben wir im Angebot", berichtet Sabine Morgner und schiebt den Wagen gemeinsam mit ihrer Kollegin in den Fahrstuhl. Runter geht’s auf die erste Station, Zwischenstopp im Schwesternzimmer. Bücher werden abgeholt, die Patienten dort bei ihrer Entlassung abgegeben haben. Die Schmöker kommen allerdings nicht auf den Rollwagen, sondern werden in einer Extra-Tasche verstaut. "Bevor die weitergegeben werden können, müssen sie erst desinfiziert werden", erklärt Hüske. Weiter ins erste Patientenzimmer. Historische Romane - so der Wunsch einer Frau. Die Suche beginnt, ein zufriedenstellendes Werk wird nicht auf Anhieb gefunden. Vieles hat die Patientin bereits gelesen oder ist, wie sie sagt, "einfach nicht mein Ding". Aufgeben kommt für die Mitarbeiterinnen trotzdem nicht in Frage. Später, das versprechen sie, werden sie in der Bücherei nach einem geeigneten Werk auf die Suche gehen. Der Wunsch des nächsten Patienten kann schnell erfüllt werden: Heimatgeschichten. Ein Griff - das Passende ist gefunden. Im dritten Zimmer will dagegen niemand etwas ausleihen. "Hier komm‘ ich ja gar nicht zum Lesen", erklärt eine Frau und lacht. Für Abwechslung garantierten schon ihre Zimmergenossinnen. "Heute", meint Evelin Hüske später auf dem Flur, "sind wir ganz flott unterwegs." Welche Motivation hinter ihrer ehrenamtlichen Arbeit steckt? Kontakt zu Menschen aufzunehmen, da sind sich die Beiden einig. "Außerdem", so Hüske, "habe ich lange in Rotenburg gelebt. Dadurch ist eine besondere Beziehung zum Krankenhaus entstanden." Ein Krimi wird im nächsten Zimmer vergeben. Ein anderer Patient entscheidet sich für "Lebendige Heimat" und wirft dafür seine von zuhause mitgebrachten Zeitschriften gleich in die Ecke. Die "Maler aus dem Landkreis Rotenburg" finden einige Minuten später einen Abnehmer. Doch nicht jeder möchte ein Buch oder eine Zeitschrift. So mancher will einfach nur ausruhen, andere haben sich bereits von Angehörigen und Freunden mit Lesestoff beliefern lassen. Eine kurze Pause wird eingelegt, ein Schluck getrunken, dann geht’s weiter mit dem Rollwagen über die Flure und in die Zimmer. Eine besondere Aufgabe der Mitarbeiterinnen auf allen Stationen: Daumen drücken für eine baldige Entlassung. "Die Kontaktpflege, das Ansprechen der Patienten ist enorm wichtig", erklärt Lieselotte Barsoe, Leiterin der Patientenbücherei. "Bereits in den 50er Jahren", erklärt Barsoe, "haben Diakonissen Werke zur Ausleihe angeboten. Damals waren das vielleicht gerade einmal 200 Stück." Stark erweitert worden sei das Angebot 1975. "Geleitet wurde die Bücherei dann zunächst von einer ehrenamtlichen, ab 1980 von einer ausgebildeten Kraft." Im vergangenen Jahr sei die Stelle gestrichen worden, die Schließung des Bereiches habe gedroht. Barsoe: "Da hab ich mir gesagt: Das kann nicht sein, dass hier nicht weitergemacht wird." Daher habe sie die Leitung übernomen. Einige Mitarbeiterinnen seien ihr treu geblieben, weitere seien gesucht worden. Nicht jeder, erklärt sie, komme für die Aufgabe in Frage: "Liebe zu Büchern, Zuwendungsfähigkeit, Flexibilität, Aufgeschlossenheit. Diese Voraussetzungen sollten erfüllt sein. Und die Leute müssen zu uns passen." Derzeit unterstützen 15 Helferinnen im Alter von 20 bis 82 Jahre die Bücherei. Weitere seien willkommen. "Ziel ist es, jede Station zweimal wöchentlich zu besuchen." Neben der Ausleihe fallen noch weitere Arbeiten an. Bücher registrieren, einbinden, katalogisieren. "Jedes Exemplar nimmt rund 30 bis 45 Minuten in Anspruch, bis es eingestellt werden kann", so Barsoe. So manches Wochenende sei dafür schon draufgegangen: "Macht aber nichts. Hauptsache, es läuft." Neben der Bücherei im Diakoniekrankenhaus gebe es noch eine weitere in der Neurologie sowie in der Psychiatrie. Letztere sei allerdings völlig eigenständig. Rund 2.000 bis 2.500 Werke stünden den Patienten zur Verfügung. Barsoe: "Darunter viele Romane. Leicht lesbar, aber kein Schund." Evelin Hüske und Sabine Morgner sind inzwischen wieder auf Tour. Weitere Patienten warten auf ihren Besuch. Und auch zur Frau im ersten Zimmer geht‘s noch einmal zurück: Der heiß begehrte historische Roman konnte gefunden werden. Bild: Raus aus dem Fahrstuhl, rein in die Zimmer: Evelin Hüske und Sabine Morgner sind mit dem Rollwagen der Patientenbücherei unterwegs