VON ANDREA HILLMANN. Die Klingel am Eingang ertönt, der flackernde Monitor zeigt eine Frau, die von ihrem Mann gestützt wird. Andrea Schecker drückt den Türsummer. Das Paar betritt die Notaufnahme des Rotenburger Diakoniekrankenhauses. "Es geht los", japst die Frau, "es ist das zweite Kind, ich kenne den Weg zum Kreißsaal." Schecker, die seit neun Jahren im Hause beschäftigt ist, lässt die werdenden Eltern, nachdem sie sich vergewissert hat, dass die Frau noch selber laufen kann, passieren. Um die Anmeldungsmodalitäten kann sich der Vater später kümmern.
Der Rettungswagen fährt vor. Sanitäter bringen eine 95-jährige Frau mit Kreislaufproblemen. Die Patientin ist schlecht gelaunt und schimpft die ganze Zeit laut vor sich hin. Doch sie beruhigt sich recht schnell, als Schwester Marlies freundlich mit ihr spricht. Der diensthabende Arzt wird mit dem Pieper angefordert. In wenigen Augenblicken ist Dr. Christof Göbel da, um die Patientin zu versorgen. Noch während der Doktor im Untersuchungszimmer ist, füllt sich die Notaufnahme. Eine Frau tritt mit ihrem weinenden Sohn ein. Der Zwölfjährige blutet aus dem Ohr. "Es ist am Kopf verletzt worden, wie genau, weiß er nicht mehr", berichtet die Mutter. Sofort wird der Junge auf eine Trage gelegt und verschwindet, von Schwester und Arzt eskortiert, durch die Automatiktür in ein Behandlungszimmer. "Eine Samstagnacht in der Notaufnahme ist meistens recht turbulent", erzählt Krankenschwester Marlies Laabs. Die 52-Jährige aus Kirchlinteln hat viel Erfahrung. Seit 25 Jahren arbeitet sie überwiegend nachts im Diakoniekrankenhaus. "Am Wochenende kommen häufig Patienten mit Schnittverletzungen, Blessuren von Prügeleien, Verkehrsunfälle oder im Zusammenhang mit Alkohol", fährt die Kirchlintelerin fort. Marita Hesse kommt ins Schwesternzimmer. Dort riecht es nach einer Mischung aus starkem Kaffee und Desinfektionsmitteln. "Wir versuchen, einmal in der Nacht zusammen Pause zu machen, damit alles Wichtige besprochen werden kann", berichtet Schwester Marita, die seit 22 Jahren Nachtschicht im Hause arbeitet. Diese Schicht ist sie in der chirurgischen Ambulanz eingesetzt. Die Klingel läutet. Ein Mann betritt mit einem kleinem Mädchen die Aufnahme. "Ich bin der Vater von dem zwölfjährigem Jungen, der vorhin gekommen ist", sagt er und streicht sich nervös durch sein Haar. Vater und Tochter werden auf die Station 18 geschickt. Dort wurde das Kind mittlerweile aufgenommen. Schwester Marlies entdeckt in einem der Behandlungszimmer die vergessene Tasche der 95-Jährigen. Die wird der Besitzern auf die Station 6 nachgebracht. Es ist nach Mitternacht, das Telefon schrillt, Schwester Marlies stellt die Tasse auf den Tisch. "Krankenhaus-Notaufnahme ... ja, ..kommen sie bitte sofort." Ein 13-jähriges Mädchen wird gebracht. Es hat schon seit längerer Zeit hohes Fieber, das trotz Zäpfchen und Wadenwickel nicht sinkt. Da das Kind korpulent ist, bestehen Bedenken, der Kreislauf könne versagen. Die Rettungsleitstelle in Zeven, Florian Rotenburg meldet: Prügelei am Weichelsee, Rettungswagen ist ausgerückt. Minuten später meldet sich RW 5041 per Funk: "Keine Verletzte, wir fahren wieder. Die Streithähne haben sich verbrüdert und trinken jetzt zusammen." Noch während das Telefon auf zwei Leitungen läutet, erreicht der Rettungswagen 4041 aus Visselhövede die Notaufnahme, gleichzeitig klopft es an der Tür und eine Angehörige erkundigt sich nach ihrem Verwandten. Andrea Schecker bedient die Telefone, die Schwestern Marlies und Marita kümmern sich um die Wartenden. "Wir sitzen schon seit Stunden hier, ich möchte wissen, wie es meinem Vater geht. Hunger habe ich auch", beschwert sich eine Frau. Ihr wird erklärt, dass er nach der Untersuchung beim Ultraschall und beim Röntgen war. "Sobald alles ausgewertet ist, spricht der Arzt mit ihnen." Die privaten Keksbestände im Schwesternzimmer werden geplündert, damit die Tochter etwas in den Magen bekommt. Zeitgleich wird ein Mann aus dem Krankenwagen getragen. Er hat Krampfaderblutungen. Schwester Marlies empfängt den Patienten und findet durch gezielte Fragen schnell heraus, dass er blutverdünnende Mittel eingenommen hat. Zwischenzeitlich hat die Kollegin Schecker schon Kontakt zur Gefäßchirurgie aufgenommen. Während der Patient im Labyrinth der Krankenhausflure zur Weiterbehandlung verschwindet, werden die Daten von der mitgebrachten Krankenkassenkarte eingelesen. An der Tür schellt ein Paar. Die Frau humpelt in die Aufnahme. "Ich habe heute mit meinen Kindern Drachen steigen lassen, und mir wohl den Fuß vertreten", berichtet die Frau und fährt fort: "Nachmittags habe ich nichts bemerkt, erst abends kamen die Schmerzen." Etwas irritiert erkundigen sich die Krankenschwestern der Nachschicht: "Sie haben nicht bemerkt wie sie umgeknickt sind?" "Nein", erwidert die Gefragte. Der Arzt wird angepiept. Die Patientin wird untersucht und geröntgt. Da weder ein Bruch, eine Schwellung noch eine andere Verletzung diagnostiziert werden kann, wird die Frau mit einem Cremeverband entlassen. Die Krankenschwestern sind ich einig: "Es gibt Situationen, da sollte der diensthabende praktische Arzt vor Ort aufgesucht werden, aber nicht die Krankenhaus-Notaufnahme." Andrea Schecker moniert: "Für die Krankenkassen entstehen deutlich höhere Kosten, und hier wird Platz und Personal für echte Notfälle blockiert". Nachdrücklich betont sie: "Wir sind gern für die Patienten da, allerdings sollten sie auch tatsächlich in Not sein." Draußen beginnt schon die Morgendämmerung, als ein echter Notfall angekündigt wird. Die Meldung auf dem Display lautet: männliche Person, 60 Jahre, akute Atemnot, Lungenkarzinom, gleich auf Innere-Intensiv. Alle arbeiten Hand in Hand, um für seine Ankunft vorbereitet zu sein. Als der Rettungswagen 5042 das Krankenhaus erreicht, stehen Dr. Ulrich Zink und die Schwestern am Eingang, um schnell helfen zu können. Der Patient hat eine Atemmaske über Mund und Nase, sitzt aber aufrecht auf der Trage. Ängstlich schaut er das Helfer-Team an. Sofort wird er auf die Station 30 weitergeleitet. Etwa 15 Minuten später betritt Dr. Zink die Notaufnahme. Er wirkt bedrückt, weil er nicht mehr helfen konnte. Mit einer Zigarette in der Hand geht er vor die Tür. Die Nachtschicht neigt sich dem Ende zu. Die Kollegen von der Frühschicht haben jetzt Dienst. Der Rettungswagen 5041 ist auf dem Weg ins Krankenhaus. Er hat Opfer eines Verkehrsunfalls an Bord. Die Routine für das Eintreffen der Verletzten läuft an. Bild (groß): Andrea Schecker, Marita Hesse und Marlies Laabs (von links) sind seit vielen Jahren in der Notaufnahme des Rotenburger Diakoniekrankenhauses beschäftigt. Schnell und routiniert arbeiten sie Hand in Hand Bild (klein):Mit dem Rettungswagen 5042 bringen Bernd Burkert, Tomke Cordts und Nils de Boer (hinten stehend) eine Patientin in die Notaufnahme Fotos: Hillmann