Wohin mit der Milch? Diese Frage beschäftigte im Sommer die Landwirte, als sie während des Lieferstopps das Produkt ihrer Arbeit in die Gülle laufen ließen. Nachdem gegen die ausdrücklichen Warnungen des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) im Bundesrat die Erhöhung der Quote beschlossen wurde, scheint die Frage nun die EU zu beschäftigen. Immerhin ist geplant, die Interventionsmenge zu steigern und die Exportsubvention wieder einzuführen.
"Die Lage spitzt sich zu“, sagt Ottmar Böhling, Landwirt in Borchel. "Wir bekommen je nach Molkerei nur noch 20 bis 24 Cent an Grundauszahlung und gleichzeitig wird die überschüssige Menge vom Staat aufgekauft, mit Steuergeldern subventioniert und außer Landes geschafft.“ Noch deutlicher fallen seine Formulierungen aus, wenn er daran denkt, dass dadurch möglicherweise mühsam aufgebaute Existenzen in der Dritten Welt vernichtet werden: "Da könnte ich kotzen!“ Genau wie sein Berufskollege Jörg Hüner aus Heelsen (Kreisteamleiter des BDM) sieht Böhling nur eine Möglichkeit: Die Politik muss die Beschlüsse zurücknehmen. Hüner: "Inzwischen hört man ja auch aus der Molkereiwirtschaft, dass das wohl ein Fehler war.“ Die Landwirte wehren sich gegen den Vorwurf, Planwirtschaft einführen zu wollen: Sie wollen den freien Markt - aber mit festen Regeln. "Unser Problem ist, dass wir mit 100.000 einzelnen Landwir ten keine Marktposition haben. Als Lieferanten können wir den Markt kaum wirksam beeinflussen.“ Darum sehen sie die Politik in der Pflicht, solange die Landwirtschaft in der bestehenden Form weiter gewünscht ist. Sonst könne es dazu führen, dass irgendwann ein paar wenige Agrarfabriken für die Produktion zuständig sind. "Von landschaftspflegerischen Aufgaben dürften die allerdings wenig halten“, sind Böhling und Hüner überzeugt. Was sich schon jetzt abzeichnet, schildert der Borcheler Milchbauer: "Wir bekommen nach und nach alle Liquiditätsprobleme. Es geht nur noch darum, wer am längsten durchhält.“ Und das sei keineswegs allein eine Frage der Betriebsgröße. Betriebe mit mehreren Beschäftigten hätten da manchmal die gleichen Probleme wie kleine Höfe in Familienhand. Dass von der Milchquotensteigerung nicht alle profitieren, sieht auch Heinrich Daseking vom niedersächsischen Landwirtschaftsministerium: "Wachstumswillige Betriebe brauchten jetzt keine Quoten hinzukaufen.“ Er gibt aber auch zu: "Manche Höfe konnten diese Möglichkeit wohl so nicht annehmen und umsetzen.“ Die aktuelle Preisentwicklung "hat nichts, oder nicht ausschließlich mit der Quotenerhöhung zu tun“, meint der Experte aus Hannover. Er sieht da auch die Finanzkrise als Ursache. "Der Preisdruck sorgt für einen Wettbewerb, der den Strukturwandel beschleunigen könnte. Keiner darf sich anmaßen, da Grenzen festzulegen“, sagt er. Für Hüner und Böhling heißt das: Wer nicht mehr kann, muss eben aufgeben. Daseking zählt Vorteile der Milchmengenerhöhung auf: Deutschland habe bislang häufig seine Quote übererfüllt und dafür an die EU Strafe zahlen müssen. Das sei nun erst einmal vorbei. Und: Den staatlichen Aufkauf von Milchpulver (Intervention) habe es immer schon gegeben. Allerdings reiche das bisherige Kontingent dafür wohl tatsächlich nicht mehr aus. (Böhling merkt an: "Dieses Steuerungsmittel wurde 2006 ausgesetzt, weil die direkte Beeinflussung durch den Staat gestoppt werden sollte. Stattdessen wurde die Flächenprämie eingeführt. Und nun ist das Instrument plötzlich wieder da.) In der "desolaten Marktsituation“ lasse die EU außerdem die Export-Förderung wieder aufleben, erklärt Daseking. Deutschland und Niedersachsen hätten keine Chance gehabt, den EU-Beschluss der Quotenerhöhung zu kippen, sagt er. Hätten sie die Mehrmengen nicht an die Landwirte weitergegeben, wären Lieferanten aus den Nachbarländern gerne bereit gewesen, Deutschland mit weiterer Milch zu versorgen, ist Daseking überzeugt. Ein Problem, das die Landwirte sehen: Zieht der Milchpreis irgendwann wieder an, wird das Milchpulver aus der Intervention auf den Markt gebracht und sorgt wieder für einen Preisverfall. Daseking spricht deutliche Worte: "Es darf auf lange Sicht nicht Aufgabe der Politik sein, in diesem Bereich gegenzusteuern.“ Und deshalb hält er es für richtig, auf dem Weg zur kompletten Abschaffung der Quote diese nach und nach zu erhöhen. Darum wird es demnächst noch vier weitere Steigerungen um jeweils ein Prozent geben.