(r/gm). "199 Sachen - das ist ja unglaublich", entfährt es Hauptkommissar Udo Diller, einem erfahrenen Autobahn-Schutzmann der alten Schule. Oft und lange hat der Gendarm Raser an der A1 kontrolliert. Dieser Wert ist angesichts der vielen und teils schweren Unfälle jedoch kaum fassbar, findet Diller.
Ein Audi-Fahrer hatte direkt hinter der engen Baustelle in Höhe Sittensen seinen dunklen Kombi beschleunigt. 100 Stundenkilometer sind auf den fünf Kilometer langen "Entspannungsstrecken" zwischen den Baustellen im Bereich Kalbe erlaubt. "Damit es nicht zu schweren Auffahrunfällen kommt", erläutert Dillers Kollege Bernd Schünke. Beide messen mit der neuesten Wunderwaffe, die die Niedersächsische Polizei vorzuweisen hat: dem Lichtschrankenmessgerät Eso 3.0, das jeden Raser auf der gesamten Fahrbahnbreite blitzschnell digital erfasst. Während Fernsehjournalisten von Spiegel-TV Kommissar Schünke über das Können des neuen Geräts befragen, piept es immer wieder: 181 Stundenkilometer, 153 Stundenkilometerh, 146 Stundenkilometer. Und das, obwohl nur wenige Kilometer von der Messstelle im Frühjahr ein Lkw-Fahrer und Anfang Mai ein sechsjähriges Kind und eine junge Frau bei Verkehrsunfällen starben und mehrere Personen schwer verletzt wurden. Im alten Golf II ist hinten ein Kindersitz befestigt, das dazugehörige Kind jedoch nicht im Auto. Gott sei Dank, könnte man sagen. Denn die junge Frau aus dem Raum Sittensen wurde gerade von einem Videoverfolgungswagen der Autobahnpolizei gestoppt. Schon in der engen Baustelle war der Golf aufgefallen. Wer hier die Lkw überholt, ist zu schnell, weiß Kommissarin Sabine Juschka zu berichten, "Kopilotin" im 250 Stundenkilometer schnellen Video-Omega. Die Lkw fahren bereits knapp über der Höchstgeschwindigkeit, eigentlich darf niemand an ihnen vorbei. Zumal viele Fahrzeuge, so auch ein E-Klasse-Mercedes, mit Spiegeln breiter als zwei Meter sind und damit auf dem Überholfahrstreifen gar nichts zu suchen haben. Hinter dem engen Abschnitt, Tempo 100 ist erlaubt, gibt die Fahrerin Gas, beschleunigt bis auf 150 Stundenkilometer und fährt dabei ziemlich dicht auf. Nicht nur das: Schon in der Baustelle hatte die Fahrerin die Hand mit dem Handy am Ohr und telefoniert auch noch. Unbestechlich zeichnet das Videogerät des unscheinbaren Omega das Fehlverhalten auf. Als die junge Frau mit dem Kindersitz sich den Film ansieht, gehen ihr schnell die Argumente aus. Die zuständige Bußgeldstelle wird prüfen, ob die Frau, die aus der Gegend und die Limits der Autobahn kennt, vorsätzlich so schnell unterwegs war. Dann verdoppelt sich das Bußgeld, berichtet Kommissarin Juschka. Schon bei fahrlässigem Rasen kommt auf den Fahrer des schwarzen Audi in Kalbe ein Bußgeld von mindestens 600 Euro plus Verwaltungsgebühren zu. Dazu gibt‘s vier Punkte in Flensburg und drei Monate ohne Fahrerlaubnis. Das volldigitale Einseiten-Messgerät Eso macht sich trotz erklecklichen Preises schnell bezahlt. Udo Dillers erkleckliche Bilanz der ersten vier Einsatztage: Über 700 Bußgeldanzeigen, 60 Fahrverbote bis zu drei Monaten und zehntausende Euro Bußgeld. Für Schichtleiter Knut Nagel ist noch lange nicht Feierabend. Kurz nach 6 Uhr morgens hat er seinen Dienst begonnen. Eigentlich sollte es nur bis mittags 13 Uhr gehen. Um 16 Uhr ist der Oberkommissar immer noch auf der Sittenser Wache. Während seine Kolleginnen und Kollegen versuchen, mit Kontrollen die Unfallzahlen zu senken, die sich seit Baubeginn verdoppelt haben, kümmert er sich mit dem Rest der Schicht um die Alltagsarbeit. Sieben Unfälle sind es an diesem Tag, davon drei mit Unfallflucht, die besonders arbeitsintensiv sind. Am Vortage waren es auch sieben, aber vier "Fluchten", wie die Polizisten das unerlaubte Entfernen von der Unfallstelle nennen, das auf der A1 inzwischen schon fast zum Volkssport geraten ist. Der Standardfall: Lkw kommt seitlich gegen Pkw und umgekehrt - einer von beiden fährt einfach davon. Um 11.35 Uhr rammt ein Sattelzugfahrer in Höhe Sottrum einen Kia auf dem Überholstreifen und fährt weg. Der 62-jährige Brummifahrer aus dem Bereich Heide bekommt schließlich doch ein schlechtes Gewissen. Er ruft seinen Chef an. Der ordnet unmissverständlich an, zur Polizei zu fahren. Gesenkten Hauptes erscheint er bei Knut Nagel auf der Wache. Nagel weiß auch schnell wieso: Deutlicher Alkoholgeruch wabert durch den engen Anzeigenaufnahmebereich. Ein Schnelltest gibt Gewissheit: 1,16 Promille Atemalkohol zeigt das Gerät an. Der Feierabend rückt nun für den Autobahnpolizisten in weite Ferne. Zumal gerade noch ein anderer Fall läuft: Rocker auf Harley-Davidson-Maschinen sollen auf die Scheiben eines fahrenden Fahrzeugs getrommelt und die Insassen gefährdet haben. Ein Soforteinsatz wird gestartet. Es stellt sich heraus: viel Wind um nichts. Es handelte sich nicht um Hells Angels, sondern um ein schwedisches Ehepaar, das mit der Fahrweise des Gegenübers nicht einverstanden war. Für Nagel ist immer noch nicht Feierabend, ein Lkw hat seine Ladung, Tonnen von Elektronikschrott, auf der Autobahn verloren, als er bremste. Grund: Die Türverriegelung war aufgebogen. Eine Fahrbahnreinigung steht an, zehn Kilometer Stau sind die Folge. Zusammengerechnet kommen die Sittenser Autobahnpolizisten an diesem Tage auf rund 20 Kilometer Stau. Unter anderem wegen eines Motorradfahrers, dem in Höhe Tiste die Kette gerissen war. Er flüchtete nur noch über die Leitplanke und ließ seine Maschine auf der Bahn liegen. 17 Uhr wird es, bis Knut Nagel nach elf Stunden Dienst zu seiner Familie nach Hause kann. Am nächsten Tag wird er wieder mit den Unbelehrbaren von der A1 zu tun haben.