Ein einziges Klassenfoto reicht und Dr. Gernot Breitschuh und Hans-Joachim Hartmann geraten ins Grübeln: Könnte das nicht Lehrer soundso sein und vor welchem Gebäude wurde das Bild eigentlich aufgenommen? Immer wieder werden die beiden Hassendorfer, die sich um das Gemeindearchiv kümmern, mit diesen Fragen konfrontiert.
Sobald jemand in Hassendorf seinen Dachboden entrümpelt und alte Sachen findet, sind die beiden Hobby-Historiker zur Stelle. "Das war auch der Grund, warum wir ein Archiv gegründet haben“, verrät Breitschuh, der lange Zeit Leiter des Rotenburger Instituts für Heimatforschung gewesen ist. "Ich wurde immer wieder von Leuten angesprochen, die alten Kram hatten und nicht wussten, was sie damit machen sollen. Vieles wird ja einfach weggeworfen, obwohl es eigentlich zu schade für die Müllkippe ist.“ Weil mit jedem alten Gegenstand, der weggeworfen wird, ein Stück der Ortsgeschichte verlorengeht, hat Breitschuh sich bei der Gemeinde dafür stark gemacht, dass ein Archiv eingerichtet wird, in dem alles das gesammelt wird, was sonst aus Gründen von Platzmangel weggeworfen werden würde. Seiner Bitte wurde nachgegeben und seit Juli 2009 wird das Kalthaus, Ecke Dorfstraße/Bergstraße, als Gemeindearchiv genutzt. Unterstützung bekommt er bei der Arbeit vom ehemaligen Bürgermeister Hans-Joachim Hartmann. "Wir machen das aus persönlichem Interesse“ sagt Hartmann und fügt hinzu: "Und irgendjemand muss es halt machen.“ Ob Briefe, Dokumente oder Bilder – jedes einzelne Stück wird von Breitschuh in einem ganz bestimmten System erfasst. "Dahinter steckt jede Menge Arbeit“, verrät er. "Aber da führt kein Weg dran vorbei, denn alle Sachen müssen hinterher auch wiedergefunden werden. Jedes Stück bekommt von mir eine Nummer und wird dann in ein Fundbuch eingetragen.“ Dabei sortiert Breitschuh thematisch: Es gibt Findbücher für Personen- und Familienangelegenheiten, Schulen, Vereine, Parteien, Wirtschaft und für die Gemeinde. So leicht, wie es klingt, gestaltet sich die Arbeit allerdings nicht, denn die beiden engagierten Hassendorfer bekommen immer wieder alte Fotos und wissen nicht, wer darauf zu sehen ist und wann das Bild aufgenommen wurde. Dann sitzen sie oft zusammen, grübeln und versuchen durch Vergleiche mit anderen Bildern und anhand von kleinen Details herauszufinden, von wann das Foto stammen könnte. "Das ist ein großes Problem für uns“, erklärt Breitschuh. "Aber ich freue mich immer sehr über schöne Fotos und bin dankbar für alle Dokumente, die uns gegeben werden. Denn nur so kann es uns gelingen, das Leben im Ort einzufangen.“ Ein großes Thema, mit dem sich Hartmann und Breitschuh im Rahmen ihrer Archivarbeit beschäftigt haben, sind die Flüchtlinge und Vertriebenen, die während des zweiten Weltkriegs und nach Kriegsende nach Hassendorf kamen. Ihnen haben die beiden Hobby-Historiker sogar ein kleines Büchlein gewidmet: Unter dem Titel "Flüchtlinge und Vertriebene in Hassendorf“ ist der erste Archivbericht erschienen, in dem Breitschuh die Ergebnisse seiner Archivarbeit zusammengefasst hat, um sie der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Unterstützt und beraten wurde er dabei von Hartmann. Anfang 1945 lebten in Hassendorf rund 400 Bürger. Im Laufe der darauffolgenden Jahre stieg die Zahl jedoch rapide an – nicht zuletzt weil mehr als 500 Flüchtlinge und Vertriebene in Hassendorf Zuflucht suchten – und auch fanden. "Das müssen damals fürchterliche Szenen gewesen sein“, erzählt Breitschuh. "Es wurden Wohnungsausschüsse gebildet, die dann von Haus zu Haus gingen, damit die Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf hatten.“ Einen Großteil des Wissens über die damalige Zeit hat Breitschuh aus den persönlichen Erinnerungen von Hartmann, der 1946 gemeinsam mit seiner Familie aus Ostpreußen vertrieben wurde und so nach Hassendorf kam. "In zehn Jahren etwa wird es keine Zeitzeugen mehr geben“, so Hartmann. "Viele Unterlagen und Ausweise wurden bereits weggeschmissen, deswegen müssen wir jetzt die wenigen Sachen, die es noch gibt, sammeln.“ Der erste Archivbericht soll nicht die einzige Schrift der beiden Hassendorfer bleiben. "Wir wollen auch etwas über Hausnummern schreiben“, verrät Hartmann. "Die Straßenbezeichnungen gibt es erst seit den 1970er Jahren und wir wollen schauen, was die Hausnummern über die Entwicklung des Ortes aussagen."