Bürgermeister mahnt die Ausweisung eines Wohngebiets an - Von Wibke Woyke

"Schon fünf nach zwölf“

Werner Scholz, Bürgermeister Detlef Eichinger und Hans-Joachim Bruns (von links) mahnen: Rotenburg braucht ein neues Wohngebiet Foto: Woyke ©Rotenburger Rundschau

Wenn Detlef Eichinger auf den Stadtplan schaut, macht sich Stirnrunzeln breit. Nicht etwa, weil der Bürgermeister mit Rotenburgs Entwicklung der vergangenen Jahre unzufrieden wäre. Vielmehr besorgt ihn, dass in keiner Himmelsrichtung der Stadt aktuell ein neues Baugebiet geplant oder gar bereits ausgewiesen ist. "Der Handlungsbedarf ist groß“, mahnt Eichinger und gibt damit der Politik einen Wink mit dem Zaunpfahl.

Gemeinsam mit Kämmerer Hans-Joachim Bruns und Werner Scholz (Amt für Planung, Entwicklung und Bauen) gewährt Eichinger im Gespräch mit der Rundschau Einblick in die Entfaltung Rotenburg und die weiteren Aussichten. "Wir haben in der Stadt seit Jahrzehnten mit Augenmaß bei der Ausweisung von Wohn- und Gewerbegebieten agiert“, gibt er zu bedenken. Ein Mittelzentrum wie die Wümmestadt müsse sich stets dem Wettbewerb mit anderen Städten und Gemeinden stellen – und das sei geschehen. Dass Rotenburg beliebt bei potenziellen Neubürgern sei, davon ist der Rathauschef überzeugt. Und Zuzüge seien wichtig, denn auch vor Rotenburg mache der demographische Wandel nicht Halt. Die Entwicklung der Stadt, betont Eichinger, sei entscheidend, um Angebote und Einrichtungen verschiedenster Bereiche aufrechtzuerhalten – Stichworte: Kindergärten, Schulen, die Attraktivität des Einkaufsstandorts. All das beziehungsweise die Güteklasse werde beeinflusst durch die Einwohnerzahl. "Diesen Kreislauf dürfen wir nicht vergessen“, so Eichinger. Und noch etwas bedinge sich: neue Arbeitsplätze und Zuzüge (insbesondere auch qualifizierter Arbeitskräfte) – und daher seien ausreichend Gewerbeflächen für interessierte Firmen ebenso wichtig wie neue Wohngebiete. Doch genau in diesem Punkt macht sich der Bürgermeister Sorgen. Beispiel Baugebiete: Rund 50 an einem Baugrundstück Interessierte (davon eine Reihe von außerhalb) stünden zurzeit auf einer Liste der Stadt. Nur 15 freie Grundstücke in städtischer Hand gebe es laut Verwaltung zur Zeit jedoch überhaupt noch in Rotenburg – davon seien fünf reserviert. Macht faktisch zehn freie Plätze. "Wenn die weg sind, dann war’s das erst einmal mit Verkäufen“, sagt Eichinger, denn: Die Ausweisung eines neuen Wohngebiets gebe es momentan nicht. Das aber liege nicht an der Verwaltung, sondern an der politischen Richtung. "Ich halte den Kurs für schädlich“, sagt Eichinger und wenn es nach ihm geht, dann müsste fix das Ratsvotum her, ein neues Baugebiet an den Start zu bringen. Wo? Auch da gibt es bereits eine ganz konkrete Idee – nämlich im Bereich Stockforthsweg. Problem: Gerade jenes Gebiet im Grünen ist in den Köpfen mancher Ratsmitglieder eher eins für Besserverdiener. Dem aber tritt Eichinger entschieden entgegen. "Dort gibt es quasi Grundstücke nicht nur für den Chefarzt, sondern auch für die Krankenschwester“, betont er mit Blick auf verschiedene Gehaltsklassen. Das Baugebiet könnte in Abschnitte aufgeteilt und nach und nach realisiert werden, mit Grundstücken unterschiedlichster Größen. Insgesamt könnten laut Verwaltung 60 bis 70 Bauplätze entstehen. Die Kleingärten sollen übrigens erhalten bleiben. Eichinger will den Plan demnächst der Politik vorstellen. "Ich hoffe, dass die Verwaltung endlich grünes Licht bekommt, weitermachen zu können, denn Rotenburg muss sich entwickeln“, sagt er und betont, dass es ihm um ein "maßvolles Ausweisen“ gehe. Und auch die Verdichtung habe die Verwaltung stets im Blick, gerade in diesem Punkt sei in den vergangenen Jahren viel passiert, sagt Scholz. Um die Stimmungslage abzufragen, wie es mit Rotenburg weitergehen soll, hat Eichinger diverse Personen – unter anderem aus der Wirtschaft, aus Politik, Verwaltung und Handwerk sowie Kaufleute – zu einem Zukunftsworkshop geladen, der in Kürze stattfindet. Die Moderation übernimmt Katrin Fahrenkrug vom Institut für Raum & Energie. Von der Entwicklung Rotenburgs, meint der Bürgermeister, "hängen viele finanz-, stadtplanungs- und umweltpolitische Entscheidungen ab, die langfristig die Weichen für unsere Stadt stellen“. Vom Workshop erwartet er einen gewissen Input und eine Richtungweisung für die Ratsmitglieder. Doch selbst, wenn bald ein Wohngebiet ausgewiesen werden würde: Für 2013 sieht es laut Eichinger düster aus. Denn wenn die nun noch zehn zu verkaufenden Grundstücke weg sind – dann gibt’s keine städtischen mehr im kommenden Jahr zu veräußern. Die Planung eines neuen Wohngebiets koste mit Ankauf nötiger Flächen schließlich Zeit. "Es ist eigentlich schon fünf nach zwölf“, stellt Eichinger klar, der darüber hinaus darauf hinweist, dass dem städtischen Haushalt Einnahmen aus Grundstücksverkäufen gut zu Gesicht stünden. In den vergangenen zehn Jahren seien in der Kernstadt 190 kommunale Grundstücke verkauft worden – ein Beweis, dass Rotenburg begehrt sei (zum Vergleich: In Zeven sei es laut Verwaltung nur ein Drittel des Wertes gewesen, in Bremervörde noch weniger). Dazu kämen natürlich Verkäufe von privatem Grund und Boden. Eine Weiterentwicklung sei quasi "eine Daseinsvorsorge“ für die Stadt, auch weiter attraktiv zu bleiben. Eichinger: "Scheuklappendenkweise führt jedenfalls nicht nur zu Stillstand, sondern sogar zu Rückschritt.“