Gerd Brockmann (SPD) möchte Chef im Kreishaus werden - Von Roland Meyer

Der wieder Feuer fing

Wer ist Gerd Brockmann? Was treibt den 55-jährigen Buxtehuder, Landrat in Rotenburg werden zu wollen? Welche Erfahrungen bringt er mit? Und was zum Beispiel soll unter seiner Regie anders laufen? Im Gespräch in seinem Wohnzimmer versucht der Sozialdemokrat, Antworten zu geben.

Brockmann wird 1951 in Hamburg geboren. Geschwister hat er nicht. Die Ehe seiner Eltern wird recht bald geschieden. Der kleine Gerd bleibt bei der Mutter, einer Arzthelferin. Die Kindheit ist geprägt von Umzügen und der Tatsache, dass die Mutter oft nicht da ist, sondern arbeiten muss. Das zwingt zu früher Selbstständigkeit. Trotz der Herkunft aus dem arbeiterähnlichen Milieu - "ich hatte vor Augen, wie meine Mutter ackern musste" - besucht Gerd Brockmann ein Gymnasium. Die Oberstufenzeit fällt in die 68er-Jahre. "Viele junge Lehrer mit Feuer von der Uni, Sit-Ins, große Demos in den Städten, Brecht und Pinter im Deutschunterricht, viele Diskussionen", erinnert er sich. Das habe ihn sicher mit geprägt. Nach Abi und Wehrdienst zieht es den jungen Mann an die Hochschule. Leider erhält er keinen Platz für Architektur. Um die Zeit zu nutzen, schreibt er sich in Hamburg für Volkswirtschaftslehre ein. Und ist begeistert. Einerseits inhaltlich, denn das Studium ist breit gefächert - etwas Juristerei, Rechnungswesen, Mathe, BWL. Andererseits atmosphärisch - die viele Freiheit. Brockmann spezialisiert sich auf den Bereich öffentliche Finanzen und hängt nach dem Abschluss drei Jahre Doktorandenzeit an. Das Thema seiner damaligen Untersuchung wird einer der roten Fäden in seinem politischen Leben bleiben: "Die Auswirkungen der Gebietsreform auf die Ausgabenpolitik der Gemeinden." Eines der Probleme nämlich, die die erzwungenen Zusammenschlüsse zu Samtgemeinden und neuen Kreisen herbeiführen, ist für den jungen Doktor die mangelnde Identifikation der Bürger mit diesen Gebilden. Hautnah zu spüren bekommt er das später als Dezernent im Rheinland, wohin es ihn nach acht Jahren als Sanierer städtischer Unternehmen und Wirtschaftlichkeitsberater der Stadt Wolfsburg 1989 zieht. In St. Augustin, einer nach einem Kloster benannten Retortengemeinde zwischen Bonn und Siegburg mit künstlichem Zentrum auf der grünen Wiese, ist Brockmann zuständig für Wirtschaftsförderung, Liegenschaften, das Ordnungs- und Verkehrsamt sowie die Kämmerei. Er merkt schnell: Die Politiker identifizieren sich nur mit ihren kleinen Dörfern, nicht mit St. Augustin. Motto: Bekomme ich mein Schwimmbad, kriegst du deine Bücherei. Brockmann zieht aus dieser Beobachtung Konsequenzen, die sein politisches Wollen noch heute bestimmen. Erstens im Kleinen: Er möchte als Landrat Sportvereine, Schützen, Trachtengruppen und so weiter trotz knapper Finanzen möglichst im bisherigen Umfang unterstützen. Denn solche Vereinigungen stärkten den Zusammenhalt der Dörfer und sorgten dafür, dass Menschen sich einbringen - "und wenn da was kaputt geht, ist das mit noch so viel Geld nicht zu heilen". Zweitens geht es dem Kandidaten um Identifikation auch im Größeren: "Die einseitige Ausrichtung des Landkreises Rotenburg auf die Metropolregion Hamburg ist ein Fehler." Denn zum einen nütze dieser Zusammenschluss in erster Linie den zentrumsnahen Kreisen Stade, Harburg und Lüneburg. Und zum anderen seien viele Menschen aus dem westlichen Kreis Rotenburg doch eher nach Bremen orientiert - und das alltägliche Leben der Menschen müsse man doch in der politischen Ausrichtung berücksichtigen, damit eine Region sich findet und selbstbewusst und stark wird. Nach den Stationen Wolfsburg und St. Augustin fühlt sich Brockmann erfahren genug, noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Bei der (aus seiner heutigen Sicht problematischen) Entscheidung, 1993 für die SPD als hauptamtlicher Bürgermeister in Wedel zu kandidieren, spielt aber auch der einfache Wunsch mit, wieder im Norden zu leben. Brockmann gewinnt und regiert die 30.000-Einwohner-Stadt bis 1999. Dann verliert er die neue Wahl. Warum? "Weil vom ersten Tag an an meinem Stuhl gesägt wurde", meint er. Und erläutert: Die Wedeler SPD habe 1993 drei eigene mögliche Kandidaten gehabt - einen Landtagsabgeordneten, einen Fraktions- und einen Parteichef. Nur weil keiner die Mehrheit hinter sich habe versammeln können, habe man ihn als Externen geholt, quasi als Platzhalter. Der 1999er Wahl sei so ein jahrelanger interner Kampf vorangegangen, mit entsprechenden Blessuren. Und als dann der zweite Mann aus dem Rathaus - parteilos, aber von der CDU unterstützt - ebenfalls als Bürgermeisterkandidat angetreten sei, habe er als Bewerber aus der zerstrittenen SPD keine Chance gehabt. In die Wedeler Jahre fällt Brockmanns Trennung von seiner Frau. Eine Wunde, die heute gut vernarbt erscheint. Er berichtet, dass er sich mit seinen beiden erwachsenen Töchtern und den mittlerweile drei Enkelkindern prima versteht. Und er selbst lebt seit vielen Jahren in einer neuen Beziehung, in der er sich sichtlich wohl fühlt. Nach der Niederlage kehrte der Ex-Bürgermeister Wedel den Rücken und zog zu seiner Freundin Kerstin Arndt nach Wilhelmsburg. Weil deren heute 15-jähriger Sohn Benni in dem Hamburger Problemstadtteil unter Gewalt an der Schule zu leiden hat, wechselt die kleine Familie vor knapp drei Jahren ins beschauliche Buxtehude. Nach dem Abschied aus der Politik heißt es zunächst, sich beruflich neu zu orientieren. Denn mit 49 Jahren will Brockmann die Hände noch nicht in den Schoß legen. Er macht sich schließlich selbstständig als Versicherungsagent. Als solcher macht der Buxtehuder Bekanntschaft mit dem Sittenser Sozialdemokraten Ulrich Stabenau. Man mag sich. Drehen sich die privaten Gespräche anfänglich etwa um Katzen (Brockmann hat drei Stück) oder die gemeinsame Leidenschaft Handball, wird bald über Politik gesprochen. Brockmann fängt wieder Feuer und bewirbt sich bei der Kreis-SPD als Landratskandidat. Bedingung freilich: Die ganze Partei müsse hinter ihm stehen, nicht wie damals in Pinneberg... Die Sozialdemokraten nominieren den Mann mit großer Mehrheit. Glaubt man den einschlägigen Reden, sind sie froh über den Blick von außen und gleichermaßen angetan von seinen wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Kenntnissen und der Fähigkeit, lange zuzuhören, dann Schlüsse zu ziehen und Handlungsoptionen zu entwickeln. Den Bewerber wiederum reizen an dem Job die Gestaltungsmöglichkeiten an der Nahtstelle zwischen Verwaltung und Politik und die vielen Begegnungen. Sollte er gewinnen, freut Brockmann sich auf die Mitarbeiter im Kreishaus, auf die er "sehr offen zugehen" will. Er vertraue auf deren Können und Einsatzbereitschaft, sagt er. Klagen, etwa über das Hartz-IV-Amt Arrow, hätten sehr wahrscheinlich ihre Ursache nicht in den Sachbearbeitern, sondern in falschen Vorgaben aus der Verwaltungsspitze: "Der Fisch stinkt vom Kopf her." Bild: Gerd Brockmann und Kerstin Arndt wohnen in Buxtehude. Geschäftlich wurde der erfahrene Verwaltungsmann mit Sozialdemokraten aus Sittensen bekannt - und zum Landratskandidaten gekürt Foto: rm Vier Fragen an die beiden Landratskandidaten Brockmann und Luttmann: 1. Stichwort Arrow: Die Gesetze sind das eine, die Umsetzung und der Umgang mit Ermessensspielräumen sind das andere. Läuft in Ihren Augen in der Hartz-IV-Behörde alles richtig? Und wenn nicht: Wo muss ein neuer Landrat steuernd eingreifen? 2. Alle freuen sich auf den neuen Autobahnanschluss Elsdorf. Nur: Sowohl die Auffahrten als auch die Umgehungsstraße für Elsdorf müssen aus der Region finanziert werden. Was sollte der Kreis dazu beitragen? Und ist es zu bezahlen, die Umgehung bis Wistedt und Hofkoh zu führen? 3.Von 2007 bis 2012 fließen fast eine Milliarde Euro aus Brüssel in den Bezirk Lüneburg. Flugplätze, Straßen, Museen, Freizeitseen, Heimathäuser - alle Kommunalpolitiker sind scharf auf saftige Zuschüsse für Projekte in ihren Gemeinden. Wenn es nach Ihnen geht: Wofür sollte das Geld vorrangig ausgegeben werden? 4. Wo sehen Sie den wesentlichen Unterschied zu Ihrem Gegenkandidaten? Antorten: 1. Der Kreis wird der großen Verantwortung für Menschen, die ohnehin schon stark gebeutelt sind, offensichtlich nicht gerecht. Das liegt nicht an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich sicher ehrlich bemühen. In meinen Gesprächen mit Betroffenen und ihren Betreuern habe ich oft erfahren, dass Entscheidungsspielräume in der Regel nicht zugunsten der Menschen genutzt werden, sondern eher das Ziel verfolgt wird, Haushaltsmittel einzusparen. Finanzpolitik hat aber der Sozialpolitik zu dienen, nicht umgekehrt, zumal Achtung der Menschenwürde und Datenschutz keinen finanziellen Mehraufwand erfordern. Dies durchzusetzen ist Aufgabe der Verwaltungsführung, das heißt des Landrats persönlich. 2.Ein weiterer Autobahnanschluss ist für Kreis und Gemeinden gleichermaßen sehr zu begrüßen. Mit einer beherzten Wirtschaftsförderung kann sich die AS Elsdorf zu einem wirtschaftlichen Kristallisationspunkt für den Kreis und seine Gemeinden entwickeln. Deshalb müssen sich beide Seiten auch an der Finanzierung jenes Anteils beteiligen, der nicht über GVfG- und/oder aus Konvergenzmitteln der EU gedeckt werden kann. Dabei gehe ich selbstverständlich davon aus, dass eine weiträumige Umgehung auch Wistedt und Hofkoh entlastet und so den Wunsch der Menschen vor Ort respektiert. 3.Klar, dass jeder scharf auf die EU-Gelder ist, und gerade deshalb ist es wichtig, dass sich Kreis, Städte und Gemeinden rechtzeitig abstimmen, denn gefördert werden nur regional bedeutsame Projekte. Ohne Zweifel gehört Elsdorf (siehe oben) dazu, allerdings bieten die infrage kommenden drei Förderprogramme ein weitaus größeres Spektrum, etwa Verbesserung des ÖPNV nach Bremen und Hamburg, Sicherung der Eisenbahninfrastruktur, Ausbau des Tourismus, Ausbau der Breitband-Technologie oder Maßnahmen zur Energieeinsparung, um nur weniges zu nennen. Ich hätte mir von Anfang an mehr Transparenz gewünscht, um Bürger und Bürgerinnen, Vereine und Verbände zeitig einbinden zu können. Ich hoffe nicht, dass es dafür im Oktober schon zu spät ist. 4.Grundsätzlich äußere ich mich nicht zu anderen Kandidaten. Stattdessen will ich betonen was ich - natürlich zusammen mit Mitarbeitern und Politik - erreichen will: Ich will einen zukunftsfähigen Kreis, der vor allem in den Bereichen Familie, Bildung sowie Arbeit und Wirtschaft fortentwickelt wird. Ich will, dass der Kreis sich stärker nach Bremen öffnet, dass Ganztagsschulen mit gesicherter Schülerbeförderung eingerichtet werden und dass die Jugendhilfeplanung fortgeschrieben und endlich umgesetzt wird, um nur einiges zu betonen. Das sind Vorhaben, die Zeit und Mut brauchen, vielleicht sogar Visionen; vor allem aber die guten Ideen der Menschen außerhalb und innerhalb des Kreishauses: Deshalb freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Herrn Luttmann.