Mindestens drei private Entsorger stecken ihre Claims ab - Von Roland Meyer

Wettlauf ums Altpapier

Die blauen 240-Liter-Tonnen werden alle vier Wochen geleert. Wer den kostenlosen Service nicht nutzen möchte, der soll den angelieferten Behälter einfach wieder abholen lassen, sagen die Unternehmen ©Rotenburger Rundschau

Jetzt hat der Krieg ums Altpapier auch den Landkreis Rotenburg erfasst: Mindestens drei Firmen bemühen sich, in möglichst vielen Städten und Gemeinden die ersten zu sein, die kostenlose blaue Tonnen an alle Haushalte verteilten. Ein Wettrennen, bei dem nicht nur Tourenplanungen und Gewinnerwartungen, sondern auch die Menge der zuvor ergatterten Behälter die Strategie bestimmen. Der Landkreis klagt, dass am Ende Vereine und Gebührenzahler die Dummen sein könnten. Er kündigt an, an seinem System der zentralen Container und Straßensammlungen festzuhalten.

Vor wenigen Wochen haben Gerichtsentscheidungen den Weg für die private Altpapiersammlung gegen den Willen von Kommunen frei gemacht. Und bereits zum Jahreswechsel hatte es einen Preissprung gegeben. Zahlten Papierfabriken bis dahin 50 bis 60 Euro je Tonne, sind es jetzt 80 bis 90 Euro. Beim momentanen Containersystem kommen im Kreis Rotenburg übers Jahr 10.500 Tonnen zusammen. Diese Menge lässt einen Umsatz von fast einer Million Euro erwarten. Jetzt schon. Entsorger erwarten etwa zehn Prozent mehr Rohstoff, wenn jeder Bürger bequem eine Tonne auf seinem Grundstück füllen kann. Und auch die Preise können ja noch klettern. Grundsätzlich darf jede Firma den Bürgern überall dort ihre Tonnen anbieten, wo sie es möchte. Zurzeit tobt der Altpapierkrieg in etlichen Landkreisen. Das führt zu einem für die Entsorger ärgerlichen Engpass: Die Industrie kann gar nicht so viele Behälter produzieren, wie die Unternehmen gerne kaufen würden. Wohl dem, der sich rechtzeitig eingedeckt hat. Problem Nummer zwei: Wenn die Haushalte gleich mehrere Tonnen verschiedener Entsorger erhalten, sind die Gewinnaussichten dürftig und die Bürger verwirrt oder sogar verärgert. Der eine würde vermutlich diese Tonne nutzen, der andere jene. Jede Firma aber müsste für die versprochene Leerung im Vier-Wochen-Rhythmus dennoch das gesamte Kreisgebiet abfahren. Also werden im Wettlauf Claims abgesteckt. Am lohnendsten sind natürlich die Städte. Firma RZS (Recycling Zentrum Stade) verteilt seit Ende der Woche mit Hochdruck Kübel in Bremervörde und umzu – so weit der eigene Vorrat reicht. Logistischer Vorteil: die Nähe zum Kreis Stade. Denn dort sammelt RKS bereits Papier ein. Schon ein, zwei Tage zuvor ist der Abfallkonzern Remondis (der von seiner Niederlassung in Rhade aus ohnehin die Gelben Säcke im Kreisgebiet abholt) in Zeven und Sittensen gestartet. Anfang dieser Woche will das Unternehmen seine Papiertonnen in Rotenburg verteilen, wie Sprecherin Monika Hotopp auf Anfrage mitteilt. Da möchte Firma Oetjen, die kreisweit den Hausmüll abfährt, möglichst schneller sein. "Das ist unser Markt“, sagt Frank Clausen, Leiter des Standorts Rotenburg. Oetjen betreibt bisher im Auftrag des Kreises die Papiercontainer. Jetzt werden viele Bürger wohl die bequemen Tonnen anderer Entsorger nutzen. Dem Platzhirschen kommen die plötzlichen Konkurrenten fast wie Diebe vor. Oetjen will gegenhalten – und eventuell nach und nach sogar dort blaue Tonnen verteilen, wo Remondis und Co schon waren. Die Hoffnung: Weil der mittelständische Betrieb seinen Sitz in Zeven hat, werden die Bürger Oetjen-Tonnen vorziehen – damit das mit dem Wertstoff zu verdienende Geld im Landkreis Rotenburg bleibt. Von Bremen aus schielt Firma Nehlsen (die im Raum Bremervörde und Zeven Haushaltsgeräte einsammelt) auf das Papier im Kreis Rotenburg. Das hat sie dem Kreishaus offiziell angezeigt. Im Moment konzentriert das Unternehmen seine Tonnenverteilung aber auf den Landkreis Friesland, wo sie bereits einen Vertrag für den Restmüll hat. Niederlassungsleiter Frank Kuhna vermutet, dass die interessanten Bezirke an Wümme und Oste abgesteckt sind, bevor Nehlsen einsteigen kann. Die Kreisverwaltung ist über die rasante Entwicklung alles andere als glücklich. War das Altpapiersammeln per Container früher ein Zuschussgeschäft (weil Firma Oetjen für ihre Arbeit bezahlt werden musste), gab es wegen der hohen Rohstoffpreise zuletzt einen Jahresüberschuss von rund 200.000 Euro. Fehlt der künftig als Einnahme, könnten letztlich die Gebühren für die Hausmüllabfuhr steigen, warnte die Abfallwirtschaft bereits Anfang März. Freilich: Bei einem Müll-Etat von elf Millionen Euro machen 200.000 Euro nicht einmal zwei Prozent aus. Härter erscheint das zweite Argument aus dem Kreishaus: Bisher sammeln in vielen Dörfern Feuerwehrleute, Schützen oder Sportler ab und an Altpapier ein. Der Kreis zahlt nach Gewicht. Zuletzt erhielten die Vereine auf diese Weise übers Jahr 100.000 Euro. Entsorgen die Bürger künftig fast alle Kartons und Zeitschriften über private Tonnen, wird diese Summe kräftig schmelzen. Schließlich: Was passiert, wenn die Altpapierpreise fallen und sich für die privaten Firmen das Sammeln nicht mehr lohnt? Dann wäre von heute auf Morgen wieder der Kreis in der Pflicht. Und die durch die Tonnen verwöhnten Bürger würde vermutlich keine billige Containerlösung mehr akzeptieren. Dann müsste der Gebührenzahler das teure Kübelsystem finanzieren. Landrat Luttmann: "Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert.“ – Die Reaktion des Landkreises soll in der öffentlichen Sitzung des Abfallausschusses am Donnerstag abgestimmt werden.