Die Wassermühle in Scheeßel ist ein mystischer Ort. Ihre Geschichte reicht weit zurück; erste sichere Belege ihrer Existenz stammen aus dem ganz frühen 16. Jahrhundert. Und wie das mit mystischen Orten so ist, gesellen sich zu den historischen Fakten Sagen und Legenden. Sie bilden den Rohstoff für eine Theaterinszenierung.
Das Projekt des Fördervereins Scheeßeler Mühle, der Kulturinitiative Rotenburg und der Theatergruppe der Kulturinitiative Sottrum gehört zum Geburtstagsprogramm für die Mühle. Die alte Dame soll 1507 an ihrem heutigen Standort an der Wümme errichtet worden sein, nachdem ihre Vorgängerin zerstört worden war. Allerdings lassen sich weder das genaue Geburtsdatum der bestehenden noch die Geschichte der Zerstörung einer früheren Mühle, die an einem anderen Standort betrieben wurde, historisch zweifelsfrei belegen. Zu viele Dokumente sind im Laufe der Jahrhunderte verschwunden. Was nun Historikern Kopfzerbrechen bereiten mag, ist für Kreative ein Segen. Gerade die Unklarheiten, die Vermischung von Legende und Wahrheit, sind es, die die Fantasie anregen und das Tor aufstoßen für künstlerische Interpretation. Auf diesem Humus erwuchs bereits einmal ein viel beachtetes Theaterstück: Im September 2003 präsentierten Laiendarsteller auf dem Mühlengelände das Drama "Die Versuchung – eine Reise durch die Nebel von Scheeßel“. Dieses Stück in leicht modifizierter Form steht nun unter dem gleichen Titel vor einem Comeback. "Diesmal wird die Geschichte an wechselnden Orten aufgeführt“, nennt Regisseur Dirk Rademacher einen wesentlichen Unterschied zur Präsentation von vor vier Jahren. Besonders spannend: Die Zuschauer, die dem Ensemble an verschiedene Orte folgen, bekommen auch Zutritt in das historische Mühlengebäude, in dem ein Teil der Story spielen wird. Da die anderen Spielorte unter freiem Himmel liegen, ist entsprechende Kleidung mitzubringen. Auch inhaltlich wird der Faden von 2003 weitergesponnen. Im Zentrum der Inszenierung steht abermals die aus uralter Zeit erhaltene Sage, derzufolge Zwistigkeiten zwischen den Söhnen des verstorbenen Müllers den Untergang der ersten Scheeßeler Mühle verursacht haben sollen. Der jüngere der beiden, ein laut Legende "übermütiger, gottloser und zänkischer Mann“, habe an einem Ostersonntag das Wasser so hoch gestaut, dass es über die Ufer trat. Sein Ziel sei es gewesen, den Gottesdienstbesuchern und dem ihm verhassten Pfarrer "ordentlich die Füße nass zu machen“. Doch die Sache geriet außer Kontrolle: Wie eine Strafe Gottes geschah es, dass der Damm, auf dem die Mühle stand, brach und das ganze Gebäude versinken ließ. Der ältere Bruder, der sich selbst unter den Kirchgängern befand, packte daraufhin seinen jüngeren Rivalen und warf ihn in die Fluten, auf dass er niemals wieder gesehen wurde. "Bei uns gibt es keinen guten und bösen Bruder. Die Charaktere sind ambivalent“, erklärt Rademacher. Das Stück entführt die Zuschauer just in jene Zeit, in der die Sage spielt: in das 15. Jahrhundert. Eine Archäologin begegnet dem Geist des verstorbenen Müllers, Vater der ungleichen Söhne, und wird von ihm zu einer Zeitreise eingeladen, hinein in den undurchdringlichen Nebel der Geschichte Scheeßels und seines Wahrzeichens, der Wassermühle. Die Proben zur Wiederauflage des Stückes sind bereits angelaufen, ebenso der Vorverkauf (Buchhandlung Wandel in Scheeßel). "Die Zahl der Zuschauer ist begrenzt“, stellt Mühlenwart Jan Müller-Scheeßel klar. Dies sei schon deshalb notwendig, damit auch bei den im Inneren spielenden Szenen alle Besucher einen freien Blick aufs Geschehen haben. Vorführungen wird es am 14., 15., 21., 22. und 23. September, jeweils um 20.30 Uhr geben. Unterstützt werden die Schauspieler vom Chor Stimmbande und den Akrobaten von Akro al dente. Für das Bühnenbild zeichnet Rolf Metzler, für die Produktion Rudi Müntefering und für die Maske Sabine Schubert verantwortlich. Passende Kostüme steuert das Freilichttheater Lilienthal bei, bei dem sich Regisseur Rademacher, ebenso bedankt wie bei der Sparkasse Scheeßel, die das ganze Projekt sponsert.